Sternstunden und verhängnisvolle Momente
Deutsches Historisches Museum befasst sich mit der Frage „Was wäre gewesen, wenn...“ und wie es zu Kriegen und Katastrophen kam



Das Zeughaus Unter den Linden in Berlin ist für einige Jahre wegen Umbau und Sanierungsarbeiten geschlossen, dafür aber zeigt das DHM im Pei-Bau nebenan regelmäßig Sonderausstellungen.





Die Dokumentation über markante Zäsuren, Wendepunkte und wichtige Momente unserer jüngeren Geschichte und die Frage, wie es unter bestimmten Bedingungen hätte auch anders kommen können, ist bis zum 24. November 2024 zu sehen.



Unbekannte haben auf den Kopf von König Friedrich Wilhelm IV. geschossen, zu sehen ist die Bronze mit weiteren Hinterlassenschaften von der Monarchie bis zur Gegenwart im Peu-Bau des Deutschen Historischen Museums.



Wann immer Regierungen Opposition witterten, wann immer sich das Volk gegen Elend und Ausbeutung sowie die ihm von „oben“ verordnete Unmündigkeit zur Wehr setzte, wurden Soldaten in Marsch gesetzt und die Gerichte angerufen.



Die Züchtung von Untertanen, hier eine Aufnahme mit Werner Peters im Defa-Film „Der Untertan“ nach dem Roman von Heinrich Mann, war eine wichtige Aufgabe der Innen-, Kultur- und Schulpolitik während der Kaiserzeit und wirkte auch nach Abschaffung der Monarchie bei vielen Deutschen weiter.



Die Germania aus Marmor symbolisiert mit Schwert und Palmenwedel das 1871 durch eine „Revolution von oben“ gegründete deutsche Kaiserreich. Seine Verfassung sicherte die preußische Dominanz im Reich, gab aber auch der Bevölkerung in beschränktem Maße die Möglichkeit, durch Wahlen und politisches Engagement Einfluss auf das Geschehen im Lande zu nehmen.



Im Hof des Bendlerblocks an der Stauffenbergstraße in Berlin wurden am Abend des 20. Juli 1944 Klaus Schenk Graf von Stauffenberg und einige seiner Mitstreiter erschossen. In der Bundesrepublik dauerte es lange, dass sie und die Überlebenden des Naziterrors als aufrechte Patrioten anerkannt wurden.



„Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“ war in der DDR wenig hinterfragter Slogan. Als es mit ihr zu Ende ging, haben Spötter aus „siegen“ das Wort „siechen“ gemacht. (Fotos/Repros: Caspar)

Das Deutsche Historische Museum Unter den Linden zeigt im Pei-Bau die Ausstellung „Roads not Taken Oder: Es hätte auch anders kommen können“. Es geht um nicht genutzte historische Gelegenheiten, um die Geschichte in positivem Sinne voran zu bringen und Unheil abzuwenden. Die Ausstellung zur ewig aktuellen Frage „Was wäre gewesen, wenn...“ beginnt, ungewöhnlich für eine solche Veranstaltung, im Jahr 1989 und führt über mehrere Etappen zurück in das Revolutionsjahr 1848/49. Raphael Gross, der Präsident des Deutschen Historischen Museums, bezeichnet sie als Experiment, das in seinem Haus so noch nie versucht wurde. Die in engem Austausch mit dem Historiker Dan Diner entstandene Schau konzentriere sich auf markante Zäsuren, Wendepunkte und Momente der deutschen Geschichte, „in denen wesentliche Ereignisse auch eine ganz andere Richtung hätten einschlagen können. Für eine kurze Zeitspanne gab es Möglichkeiten eines anderen Wegs.“ Gezeigt werde, welche anderen Optionen, Möglichkeiten und Ereignisse hätten eintreten können und warum die Geschichte so verlaufen ist und nicht anders. „Üblicherweise bleiben wir aber ausschließlich bei den tatsächlich eingetretenen Ereignissen. Diese Ausstellung ist das Wagnis, Geschichte anders zu zeigen.“

Die Ausstellung lädt ein, Schlüsselmomente der vergangenen 175 Jahre anhand von Dokumenten, Bildern und Karikaturen, Äußerungen von beteiligten Personen und gegenständlichen Hinterlassenschaften aus der Zeit der Monarchie, der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur sowie der beiden deutschen Staaten kennenzulernen. Sie schildert, woran es gelegen hat, dass es Ereignisse mit katastrophalen Folgen gab, und wer die Protagonisten und Interessen hinter diesen Entwicklungen waren. Die Sternstunden, Wegemarken, Kipppunkte und Zeitenwenden beginnen beim Mauerfall 1989, dem Grundlagenvertrag von 1972 und dem Mauerbau von 1961 und reichen zurück zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik 1949. Dokumentiert werden der Kalte Krieg, der die Nachkriegszeit geprägt hat, und die Währungsreform von 1948, die Wiederaufbauhilfe für die westlichen Besatzungszonen und die Folgen der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945. Interesse verdient auch die Art und Weise, wie die siegreichen Westmächte den Westdeutschen die Demokratie mit zum Teil rigiden Maßnahmen, „beibrachten“. Die diese Umerziehung erlebten, erwiesen sich in überwiegender Mehrzahl zu ihrem eigenen Vorteil als gelehrige Schüler.

Hitler ließ sich nicht einrahmen

Breiten Raum nehmen in der Ausstellung die Zeit des Nationalsozialismus 1933 bis 1945, der Zweite Weltkrieg und der Massenmord an den Juden und anderen nicht ins rassistische Konzept der Nazis passenden Menschen ein und wie es dazu kam, dass Hitler vor nunmehr 90 Jahren an die Macht gelangen konnte. Die Ausstellung unterstreicht nachdrücklich, dass sich seine Steigbügelhalter gründlich in der Hoffnung täuschten, ihn und seine Leute „einzurahmen“, wie der deutschnationale Medienmogul Alfred Hugenberg Anfang 1933 sagte. Weiter zurückgehend werden die Risiken, Spannungen und politischen Chancen in der nach dem unblutigen Abgang der deutschen Fürsten und dem verlorenen Ersten Weltkrieg (1914-1918) gegründeten Weimarer Republik beleuchtet und auch gezeigt, wie die Weltwirtschaftskrise von 1929 den Aufstieg der Nazipartei beschleunigte. Dass viele Deutsche der jungen Republik den Garaus wünschten und sich in angeblich gute alte Zeiten zurück sehnten, wird ebenfalls an Beispielen geschildert. Am Ende blicken die Besucher auf die Einigungskriege von 1864 bis 1871 und die Reichsgründung am 18. Januar 1871 und erfahren, warum die Revolution von 1848/9 scheiterte. Wäre sie anders verlaufen, hätte sie die von vielen Menschen erhoffte Freiheit und Demokratie gebracht, so aber führte sie zum Triumph der Fürsten. Deutlich wird, dass eine Niederlage oder Fehlentwicklung die Grundlage neuer Probleme bildete. Zu sehen ist, dass der Erste Weltkrieg und seine Ergebnisse das Fundament für den Aufstieg rechter und linker Kräfte und den Triumph der Nationalsozialisten bildeten.

Leben am seidenen Faden

Die Ausstellung führt zu glücklichen und tragische Momenten unserer Geschichte und zu Situationen voller Angst, Ungewissheit und Hysterie. Sie ruft in Erinnerung, dass unser Leben und Fortbestehen da und dort am seidenen Faden hing, etwa als in den 1950er Jahren ein Atomkrieg drohte und sich die Lage im geteilten Deutschland und damit zwischen den Machtblöcken gefährlich zuspitzte. Nicht vergessen wird, dass eine unbedachte Äußerung des SED-Funktionärs Günter Schabowskis am 9. November 1989 die Grenze könne „ab sofort“ passiert werden, zur Maueröffnung wider Willen führte und die schon zuvor durch mutige Bürgerproteste ins Wanken gebrachte SED-Herrschaft im Orkus der Geschichte verschwinden ließ. Es gehört zu den Glücksmomenten unserer Geschichte, dass dabei kein Schuss fiel und die Führung in Moskau die Füße still hielt.

Nicht alle in Frage kommenden Glücksmomente und verhängnisvollen Entwicklungen unserer neueren Geschichte können im Pei-Bau behandelt werden. So ist es auch nicht möglich zu sagen, was gewesen wäre, wenn das Attentat des Grafen Klaus Schenk von Stauffenberg am 20. Juli 1944 auf Hitler Erfolg gehabt hätte. Manche Gäste fragen sich, wie denn die deutsche Geschichte verlaufen wäre, hätte Stauffenberg mit seinem Anschlag Erfolg gehabt. Vermutlich wären viele Soldaten und Zivilisten nicht gestorben, und sicher hätte es nicht mehr so viele Bombenangriffe auf deutsche Städte gegeben. Schwer vorzustellen ist, dass sich die vom Nazi-Ungeist verseuchten Volksgenossen quasi von einem Tag zum anderen in gute, von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ beseelte Deutsche verwandelt hätten. Nazi- und Kriegsverbrecher und Millionen Profiteuren des Hitlerregimes hätten sich kaum dem neuen Führung angeschlossen. Der Aufbau eines neuen demokratischen Deutschland wäre, zumal ja noch Krieg war, äußerst schwierig verlaufen. Und ob die Alliierten mit den todesmutigen Männern und Frauen des 20. Juli in Waffenstillstandsverhandlungen eingetreten wären, kann wie vieles andere nicht beantwortet werden.

Putins Drohung mit Atomwaffen

Man könnte noch weitere Fragen stellen, etwa die, was gewesen wäre, wenn der sowjetische Diktator Josef Stalin nicht am 5. März 1953, vor nunmehr 70 Jahren, sondern später gestorben wäre und wie die Welt aussehen würde, hätte es 1962 während der Kuba-Krise einen mit Atomwaffen geführten Schlagabtausch zwischen Ost und West gegeben. Dass der sowjetische Diktator Putin und seine Propagandisten heute auf ihr atomares Waffenarsenal verweisen und drohen, mit Atomraketen binnen weniger Minuten Westeuropa und damit auch Deutschland zu erreichen, ist einer Gründe, warum sich die deutsche Regierung so schwer tut, der Ukraine jene Waffen zur Verfügung zu stellen, die sie zur Abwehr russischer Truppen und Rückeroberung besetzter Gebiete benötigt. Aber das ist ein Thema, mit dem sich das Deutsche Historische Museum sicher irgendwann später bei einer Fortsetzung von „Roads not Token“ befassen wird.

23. Januar 2023

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