Streitfall moderne Kunst
Alte Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel setzt sich mit der Secessionsbewegung um 1900 auseinander



Auf der Treppe der Alten Nationalgalerie steht das Reiterdenkmal König Friedrich Wilhelms IV., der sich als Förderer der bildenden Kunst und Architektur einen Namen machte. Was aktuell zum Thema Secessionen in dem Kunsttempel gezeigt wird, dürfte dem „Romantiker auf dem Thron“ kaum gefallen haben.



Die Werke der Secessionisten – hier Max Slevogt, Käthe Kollwitz und Fritz von Uhde - wurden um 1900 nicht für würdig befunden, dass man sie in den heiligen Hallen der Alten Nationalgalerie ausstellt, weshalb andere Gebäude gesucht und gefunden werden. Die vieler Hinsicht aus dem Rahmen fallenden Werke der Sezessionisten und anderer Maler erhielten nach dem Ende der Monarchie 1918 im Kronprinzenpalais Unter den Linden in Berlin eine würdige Heimstatt, bis die Nationalsozialisten nach 1933 sie als so genannte entartete Kunst auch hier vertrieben.



Die von Thomas Theodor Heine gestaltete rote Dogge wurde zum Logo der Münchner Satirezeitschrift „Simplicissimus“, die sich auch für moderner Kunst einsetzte. Auf ungewöhnliche Weise warben Plakate für die Ausstellungen in Wien und Berlin.







Die zu den Secessionsausstellungen in Wien, München und Berlin geschaffenen Plakate sowie die Gemälde und Skulpturen aus der Zeit vor und nach 1900 sind spektakulär und finden in der Alten Nationalgalerie gebührende Aufmerksamkeit.



Die von Paolo Troubetzkoy geschaffene Büste des österreichischen Malers Giovanni Segantini aus dem Jahr 1896 erregte schon damals großes Aufsehen und tut es auch heute.





Wer die Alte Nationalgalerie besucht, wird die Harmonie zwischen Raum, Gemälden und Skulpturen als wohltuend empfinden.



Die Kolonnade entlang der Museumsinsel wurde in den vergangenen Jahre akribisch nach historischen Vorlagen rekonstruiert und lädt wie der Museumshof zu allen Tages- und Nachtzeiten zu Kulturveranstaltungen und zum Verweilen ein. (Fotos: Caspar)

In der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel wird noch bis zum 22. September die sehr gut besuchte Ausstellung „Secessionen - Klimt, Stuck, Liebermann“ gezeigt. Sie widmet sich erstmals in diesem Umfang der Frage, wie um 1900 in den Kunstmetropolen München, Wien und Berlin um bildende Kunst gestritten und von Malern und Bildhauern ganz neue Werke n geschaffen und präsentiert wurden. Zu sehen sind n abgedunkelten, aber gut ausgeleuchteten Räumen etwa 200 Gemälde, Grafiken, Drucke, Bücher, Plakate und Skulpturen bekannter und auch weniger bekannter Meister, darunter auch etlicher Frauen. Ihre Werke sind in Räumen zu Themen wie Das moderne Porträt, Begegnung mit der Natur, Private Einblicke, Leben auf der Straße und nicht zuletzt Blick auf Kinder und Arbeiter ausgestellt, mit denen sich die Avantgarde mit der akademischen Kunst anlegte.

Aufbruch in die Moderne

Mit dem Aufbruch in die Moderne drängten sie nach inhaltlicher und institutioneller Freiheit und Neuausrichtung ihrer Themen. Verschiedene Künstler und Künstlerinnen versuchten sich in Symbolismus, Jugendstil und Impressionismus und zeigten ihre Werke in Ausstellungen, die unterschiedlich aufgenommenen wurden und auch auf Widerstand bei den „Etablierten“ trafen. Dass sie von Kaiser Wilhelm II. und seinen Hofkünstlern als Rinnsteinkunst verteufelt wurden, haben die Betroffenen als eine Art Ritterschlag empfunden und auch in ihrer Publizistik kund getan. In der Alten Nationalgalerie sind rund 200 Arbeiten von 80 Künstlern und Künstlerinnen zu sehen. In Kooperation mit dem Wien Museum zeigt die Schau Gemälde und Grafiken von Gustav Klimt in einem in Berlin ungewohnt großem Umfang.

Die Ausstellung unterstreicht, als Abspaltungen von traditionellen Künstlervereinigungen und überkommenen akademischen Strukturen seien die Secessionisten neuartigen Zusammenschlüsse nach individueller künstlerischer Freiheit sowie nach internationale Vernetzung gewesen. „Die bedeutendsten Secessionen im deutschsprachigen Raum entstanden innerhalb weniger Jahre und mit personellen Überschneidungen 1892 in München, 1897 in Wien und schließlich 1899 in Berlin. Bis heute werden diese mit den jeweils prägenden Künstlern Franz von Stuck, Gustav Klimt und Max Liebermann sowie ihrem Schaffen verbunden.“ Die Secessionen stünden für die große Vielfalt an künstlerischen Positionen und das Nebeneinander individueller Stile und Richtungen. Die Gegenüberstellung der drei einflussreichsten Secessionen verdeutliche die gemeinsamen Ambitionen und Ziele jenseits der spezifischen lokalen Ausprägungen. Als Vereinigung fortschrittlich Gesinnter seien die Secessionen zu Wegbereitern der modernen Kunst geworden.

Schenkung an preußischen König

Wilhelm I., der am 2. Januar 1861 als Nachfolger des auf der Freitreppe der Alten Nationalgalerie reitenden Königs Friedrich Wilhelm IV. auf den preußischen Thron bestiegen hatte, dankte im Februar 1861 den Erben und versprach, die Gemäldesammlung ganz im Sinne des patriotischen Stifters zu hegen, zu erweitern und dem Publikum zugänglich zu machen. Damit war der Weg frei für die Anlage einer deutschlandweit einzigartigen Sammlung von Gemälden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, zu der sich alsbald die passenden Skulpturen gesellten.

Die Alte Nationalgalerie gehört zu den bekanntesten Museen in der Hauptstadt. Gegründet wurde sie 1859 durch ein großzügiges Geschenk von 262 Gemälden aus dem Besitz des Berliner Bankiers und Konsuls Joachim Heinrich Wilhelm Wagener an den preußischen König Wilhelm I., den späteren Kaiser Wilhelm I. Der Monarch eröffnete am 22. März 1861 in der Akademie der Künste Unter den Linden die erste Ausstellung der Bilder als Wagenersche und National-Galerie. Genau 150 Jahre später würdigen die Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz und ihre Nationalgalerie den edlen Spender Ausstellung. Wagener hatte nach eigenem Bekunden für seine Sammlung weit über 100 000 Taler aufgewandt, damals eine ungeheure Summe. Er interessierte sich nicht nur für deutsche Maler seiner Zeit, sondern fügte seiner ab 1815 aufgebauten Galerie Arbeiten französischer, englischer, italienischer und anderer Meister hinzu. 1859 bestimmte er, dass seine Bilder nach seinem Tod an Wilhelm I von Preußen fallen sollen und bat ihn, die Sammlung zu verstärken und fortzuführen. Wageners Ziel war eine nationale Galerie, „welche die neuere Malerei auch in ihrer weiteren Entwicklung darstellt, und den Zweck, der mir bei Begründung der Sammlung vorgeschwebt hat, vollständiger erfüllt, als dies während der kurzen Lebensdauer des Einzelnen möglich ist“.

DER DEUTSCHEN KUNST

Für die sich schnell vergrößernde Nationalgalerie entwarf Friedrich August Stüler ein wie ein antiker Tempel gestaltetes Gebäude auf der Berliner Museumsinsel, das von Johann Heinrich Strack vollendet und 1876 eröffnet wurde. Zwar verkündet die Giebelinschrift in vergoldeten Buchstaben DER DEUTSCHEN KUNST, doch geht die Galerie weit darüber hinaus und enthält hochkarätige Gemälde und Skulpturen großer ausländischer Künstler. Auf drei Etagen sind Gemälde und Skulpturen aus der Zeit zwischen Französischer Revolution (1789) und Erstem Weltkrieg (1914)versammelt. Nahezu alle Künstler, die in dieser Zeit Rang und Namen hatten, sind vertreten. Darunter befinden sich viele Meister der klassischen Moderne, die mit dem Kunstgeschmack der Kaiserzeit kollidierten, nicht in den Genuss staatlicher Förderung kamen und auch nicht in dem Kunsttempel auf der Museumsinsel ausstellen durften, sondern sich andere Räume suchen mussten und welche fanden.

Seine historische Gestalt erhielt in den vergangenen Jahren der Kolonnadenhof vor der Alten Nationalgalerie und dem im rechten Winkel dazu stehenden Neuen Museum zurück. Die Säulenhalle umschließt eine gärtnerisch gestaltete Fläche, die mit einem Springbrunnen sowie Bronzefiguren geschmückt ist. Damit haben die Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz einen Platz mit antiker Anmutung und einen einzigartiger Ort zum genussvollen Verweilen auch in jenen Stunden zurückgewonnen, in denen die Staatlichen Museen geschlossen sind. Bei der Wiederherstellung des klassizistischen Umgangs haben die Bauleute originale Fragmente verwendet, so dass das Erscheinungsbild weitgehend dem der Erbauungszeit entspricht. Wie die gesamte Museumsinsel gehört auch der Innenhof als eingetragenes Gartendenkmal zum UNESCO-Welterbe, was der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ihren Staatlichen Museen die Pflicht auferlegt, besonders sorgfältig mit der historischen Substanz umzugehen.

4. September 2023