„Lufft-Gesichter“ über Stralsund
Berliner Kunstbibliothek zeigt mit Bildern und Drucken aus der Barockzeit, wie seltsame Himmelserscheinungen gedeutet wurden





An dem Kupferstich sind nur die Fischer und andere Leute im Vordergrund echt, die Luftschlacht am Himmel aber ist reine Sinnestäuschung, die den Druckern und Verbreitern der Flugschriften manchen harten Taler eingebracht haben dürfte.



Im Stralsunder Rathaus liegen interessante Dokumente zum Thema „UFO 1665“ und weitere mehr oder weniger spektakuläre Ereignisse der Stadt- und Landesgeschichte.



Die Medaille von 1715 bildet die Könige von Polen, Dänemark und Preußen sowie die von einem Festungsgürtel umgebenen Hansestadt Stralsund ab.



In einer von Matthäus Merian illustrierten Lutherbibel aus dem Jahr 1704 sieht man, wie ein Engel einen Stein auf die Erde fallen lässt und damit ein schreckliches Unglück anrichtet.



Der Brand der von Donner und Blitz getroffenen Stralsunder Nikolaikirche im Jahr 1670 folgte der Erlass einer strengen Stadtordnung, mit der man solche Katastrophen verhindern und die Menschen zu einem gottgefälligen Leben anhalten wollte.



Die Grafik aus dem 17. Jahrhundert schildert,wie sich eine Rakete unserem Globus nähert, rechts ist zu sehen, wie himmlisches Feuer die sündige Welt entzündet.



Was Menschen droht, wenn sie kein gottgefälliges, lupenrein moralisches Leben führen, schildert diese aus der Barockzeit stammende Grafik.



Die Bilder von den fliegenden Schiffen waren nicht ganz aus der Luft gegriffen, denn über 100 Jahre vor dem ersten bemannten Ballonflut hatte der Jesuit Francesco Lana Terzi den Entwurf eines Flugbootes publiziert, der europaweit Furore machte. Dass das Vorhaben nicht realisiert werden konnte, so ist auf einer Tafel zu lesen, habe der Euphorie keinen Abbruch getan. (Fotos: Caspar)

Wir müssen nicht alles glauben, was uns in den Medien, im Internet und an anderen Orten in Bild und Schrift serviert wird. Vieles ist erstunken und erlogen, weit her geholt oder unverhältnismäßig aufgebauscht. Allerdings wird den Fake News allzu gern geglaubt, selbst die unwahrscheinlichsten Dinge werden unkritisch weitergegeben. So war es auch anno 1665, als sechs Fischer beim Heringsfang am Himmel über Stralsund „Erschröckliches“ zu sehen glaubten. In der uralten Hanse-, Werft- und Hafenstadt, die im Ergebnis des Dreißigjährigen Kriegs (1618 bis 1648) mit Vorpommern sowie der Insel Rügen, den Odermündungen und Stettin schwedisch geworden war, machte die Kunde von den fliegenden Schiffen und anderen „Lufft-Gesichtern“ machte schnell die Runde. Alsbald war in damaligen Zeitungen und in dicken Chroniken, fantasievoll ergänzt, zu lesen, dass es da am helllichten Tag einen Luftkampf wie bei einem Gefecht auf hoher See gegeben hat. Gegen Abend will man über der Stadt noch eine dunkelgraue Scheibe gesehen haben.

Fischer in Angst und Schrecken

Die bis 27. August 2023 in der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz am Kulturforum gleich neben der Gemäldegalerie und dem Kunstgewerbemuseum laufende Ausstellung „UFO 1665 - Luftschlacht über Stralsund“ zeigt Bilder und Drucke aus dem Besitz der Berliner Staatsbibliothek von damals und schildert die erstaunliche Medienkarriere, die die „Gesichte“ der Fischer in den folgenden Jahren unternahmen. Sie zeigt, welche abenteuerliche Denkmuster und Kommunikationsstrategien bis heute in der Berichterstattung über UFOs und andere unerklärliche Phänomene eine Rolle spielen und wie sehr sich Zeitgenossen dagegen wehrten, natürliche Ursachen für sie zur Kenntnis zu nehmen oder einzugestehen, einem Schwindel aufgesessen zu sein.

Flugblätter und dicke Bücher schildern, was die Stralsunder Fischer in Angst und Schrecken versetzt hat. Ein langer Vogelschwarm habe sich in der Luft in große Orlogschiffe verwandelt. Diese Kriegsschiffe hätten „so hefftig aufeinander geschossen / daß auch für (gemeint ist wegen, H. C.) Dampf und Rauch die Schiffe zu vielenmalen nicht hätten können gesehen werden / wann aber der Rauch etwas verzogen / hätten sie deutlich die Schiff-Ruder und Gallionen verlohren / die Masten und Stangen über Bort gefallen / und trefflich durchschossen worden.“

Göttliches Vorzeichen

Die Schiffsmannschaften da oben im Himmel und ihr Anführer seien schwarz gekleidet gewesen. Irgendwann seien sie nach Norden abgesegelt, nur ein Schiff habe sich nach Süden bewegt und über Stralsund „ein sichtbarlich Feuer“ abgegeben. Zwar hätten die Männer Flaggen gesehen, doch konnten sie nicht erkennen, was sie bedeuten. Auch hätten sie die vielen Fahrzeuge da oben nicht zählen können. Ihnen sei es vorgekommen, dass der jüngste Tag, also das in der Bibel voraus gesagte Ende der Welt, heran gebrochen ist, und sie seien vor Schrecken krank geworden. Der Bericht versichert, dass sie Fischer „warhafftige“, also glaubwürdige Bürger seien, was auch ihre Befragung durch einen Oberst und einen Doktor ergeben habe. Die Schilderun endet in der Hoffnung, Gott möge dieses Wunder zum Besten wenden. Die damaligen Medien bemächtigten sich des Themas, Stralsund war in aller Munde. Dass die als göttliches Vorzeichen gedeutete Himmelserscheinung ein Naturphänomen, zum Beispiel eine atmosphärische Spiegelung, sein könnte, lag damals außerhalb jeglicher Vorstellung.

Kometen und Höllenqualen

In der Ausstellung werden Bücher und Flugschriften gezeigt, in denen die Stralsunder Fischer und andere Zeitgenossen mit ihren Wundergeschichten zu Wort kommen. An den Wänden des abgedunkelten Saals kann man Reproduktionen von Bildern und Drucken aus dem 16. und 17. Jahrhundert betrachten, die sich mit blutigem Regen, explodierenden Luftbällen, fliegenden Schiffen oder feurigen Kometen befassen. Mit ihnen hat man den von Aberglauben und Höllenangst befallenen Menschen Höllenqualen angedroht, wenn sie kein gottgefälliges Leben führen. Der erzürnte Gott werde „die heftig versündigte Welt“ mit entsetzlichen Feuerkugeln und Missgeburten bestrafen, wenn sich die Menschen nicht zur Buße und Besserung locken und anreizen lassen wollen, heißt es auf einem dieser Flugblätter.

Die Stralsunder Polizei- und Kleiderordnung von 1670 wurde konkreter. Nach dem Brand der Nikolaikirche richtete sie eine furchteinflößende Drohkulisse auf und kündigte ein Strafgericht apokalyptischen Ausmaßes an, wenn nicht bestimmte Verhaltensmaßregeln eingehalten werden. In Beschreibungen des Ereignisses hat man einen Zusammenhang mit der Zerstörung Babylons durch einen gigantischen Mühlstein vermutet, wie er in der Offenbarung des Johannes geschildert wird. Die Vorschrift sah vor, dass Hochzeitsveranstaltungen des ersten Standes auf 60, die des zweiten Standes auf 40 und des dritten Standes auf 24 Personen beschränkt sein sollen. Wer dagegen verstieß, ging das Risiko ein, Gottes Zorn auf die ganze Stadt zu ziehen. Ob sich die Leute nach solchen Anweisungen richteten und etwa bei Trauerfeiern Maß und Mäßigung an den Tag legte, könnte in Chroniken zu finden sein.

Blick in die Gegenwart

Die sehenswerte und lehrreiche Ausstellung klingt mit einem Blick in die Gegenwart aus. Sie geht auf Videos und Berichte von Sichtungen rätselhafter „Unidentified Aerial Phenomena“ (UAPs/UFOs), besser bekannt als Fliegende Untertassen, durch das US-Militär ein, bei denen diskutiert wird, ob sie physikalisch erklärbare Naturphänomene sind oder Hightech-Drohnen chinesischer oder russischer Bauart sind. Es gibt auch Zeitgenossen, die Außerirdische oder Besucher aus der Zukunft vermuten. Wie dem auch sei, sicher ist, dass für die erstaunliche Medienkarriere von „UFO 1665“ ausschlaggebenden Faktoren bis heute nichts von ihrer Macht und Anziehungskraft verloren haben und uns weiter beschäftigen werden.

6. Mai 2023