„Unsere Mauern brechen, unsere Herzen nie“
Bei einem Besuch des Luftschutzbunkers am Berliner S-Bahnhof Gesundbrunnen notiert

Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb der Gesundbrunnen-Bunker erhalten, weil seine Sprengung die U-Bahn und die Häuser in der Umgebung hätte gefährden können. Ralf Rohrlach führte unlängst Besucher durch die Katakomben.

Es klingt wie ein Witz, doch die Parole in der Berliner Trümmerlandschaft „Wir grüßen den ersten Arbeiter Deutschlands: Adolf Hitler“ war ernst, todernst gemeint.

Die so genannte Volksgasmaske 40 war nützlich, aber sie half nicht immer und überall.

Um Brandbomben schnell unschädlich zu machen, sollte man auf Dachböden genügend Wasser vorrätig haben. Mit bunten Bildern und Befehlen hielt das NS-Regime die „Volksgenossen“ zur Wachsamkeit an.

Funde aus Bunkern im Berliner Regierungsviertel sowie Kriegsschrott und andere Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkriegs sind an verschiedenen Stellen im Gesundbrunnen-Bunker ausgelegt. Zu sehen sind verrostete Waffen, zerschmolzene Gläser, zerbrochene Keramiken und andere aus Kellern zerbombter Häuser geborgene Gegenstände.

In einem zweiten Bunker nördlich des Bahnhofs Gesundbrunnen zeigt der Verein Berliner Unterwelten mit einem Modell sowie Fotos und Dokumenten, wie sich Hitler und sein Stararchitekt Albert Speer die „Welthauptstadt Germania“ vorstellten und was der Bombenkrieg von Berlin übrig ließ, hier das Haus Vaterland am Potsdamer Platz.

Der so genannte Zoobunker wurde ab 1940 unter Leitung von Albert Speer gebaut. Hier suchten tausende Berliner vor Bombenangriffen Schutz. Das monumentale Betonbauwerk diente als Leitstelle zur Abwehr der Luftangriffe und Kunstdepot und verfügte über eine eigene Wasser- und Stromversorgung. Die Sprengung zog sich von 1946 bis 1948 hin.
Fotos/Repro: Caspar
Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 ging das Leben auf den Berliner Straßen, in den Cafés, Kinos und Theater weiter, als sei nichts geschehen. Unterbrochen wurde das bunte Treiben abends und in der Nacht durch sich mehrende Todesnachrichten von den Fronten und Bombenalarme, die im Laufe des Krieges zunahmen und zu schweren Zerstörungen führten. Vorerst aber verkündete die Goebbels-Propaganda eine Siegesmeldung nach der anderen, und Kinofilme sorgten bei den meisten Menschen für gute Stimmung. In den Wochenschauen sah man nur lachende Wehrmachtssoldaten und vorrückende Panzer. Hitler sonnte sich bei Paraden als größter Feldherr aller Zeiten. Wer kritische Fragen nach dem Warum und Wohin dieses Krieges stellte, wer gar mit Flugblättern gegen ihn aufrief und „Feindsender“ hörte und dabei erwischt wurde, wurde wegen Defätismus und Landesverrat vor dem Volksgerichtshof angeklagt und hingerichtet. Noch nie sprach Hitlers politisches Tribunal so viele Todesurteile aus wie nach Kriegsbeginn.
Goebbels fordert Entlassung von Göring
Hitler, Goebbels und andere Naziführer schoben der von Reichsmarschall Hermann Göring geführten Luftwaffe die Mitschuld an den verheerenden Bombenangriffen der Briten und Amerikaner auf Berlin und weitere Städte zu. Vergeblich versuchte der Propagandaminister, dessen Amtssitz bei einem Luftangriff Mitte März 1945 zerstört wurde, bei Hitler die Entlassung, ja Bestrafung seines Intimfeindes Göring zu erreichen. „Der Führer ist, wie ich schon betonte, jetzt eher geneigt, Göring eine gewisse Entschuldigung zuzubilligen. Ich halte das für absolut untunlich. Es ist geradezu lachhaft, einen Mann, der das Reich in eine derart tödliche Krise gebracht hat, jetzt noch Verständnis entgegenzubringen. Er trägt die Schuld an unserem Verfall, und er muss schon aus historischen Gründen daraus die Konsequenz zu ziehen“, schrieb Goebbels am 28. März 1945 in sein Tagebuch. An anderer Stelle betonte er, Hitler halte vorläufig an Göring fest, obwohl er ihn menschlich und in seiner sachlichen Arbeit auf das Schärfste verurteilt. In der gegenwärtigen Kriegsphase könne er, Hitler, sich eine so weitgehende Personalveränderung nicht leisten. Dass niemand der Göring ersetzen könne, stimme nicht, so Goebbels, denn „wir haben mindestens ein Dutzend Männer, die es auf jeden Fall besser machen, als es Göring gegenwärtig tut.“
Während Goebbels über die Zerstörung des in einem ehemaligen Palais untergebrachten Propagandaministeriums lamentiert, ist ihm das Schicksal der vielen Bombentoten und der Menschen, deren Häuser zerstört wurden, egal. Er gab die Parole „Unsere Mauern brechen, unsere Herzen nie“ aus und glaubte, dass die Deutschen sich angesichts der Bombardements und die vielen Toten und Verletzten noch enger um Hitler scharen werden.
Deutschstunde der besonderen Art
Davon war bei einem Rundgang durch den Luftschutzbunker im Berliner S-Bahnhof Gesundbrunnen die Rede. Eingeladen hatte zu dieser „Deutschstunde der besonderen Art“, wie ein Teilnehmer sagte, die Arbeitsgemeinschaft für die historischen Kirchhöfe und Friedhöfe Berlins e. V. Geführt von Ralf Rohrlach, erkundete die Gruppe treppauf treppab die im Zweiten Weltkrieg gebauten Katakomben tief in der Erde, in denen tausende Berliner samt Kindern bei Bombenangriffen Schutz suchten. Zu sehen waren Aufenthaltsräume mit harten Holzbänken und Doppelstockbetten, aber auch „Aborte“ genannte Toiletten für Frauen. Die Firma Metro Klo verwendete Torf, der Moorgase ausströmte und die Fäkalien so behandelte, „dass man sie trocken mit einer Tüte wegtragen konnte“, wie Rohrlach sagte.
Die Tour begann in einem großen Raum, in dem Fotos an der Wand intakte beziehungsweise nach 1945 gesprengte Luftschutzbunker zeigen. Leuchtstreifen an den Wänden sollten bei Ausfall von Elektrizität bei der Orientierung helfen. Angeblich waren sie so hell, dass man eine Zeitung lesen konnte. Ralf Rohrlach berichtete, dass man sich beim Einsatz von chemischen Kampfstoffen nicht sicher sein konnte, ob ob man nicht doch zu Schaden kommt. Allerdings seien die Giftgase im Zweiten Weltkrieg nicht angewendet worden, weil sie sich nicht steuern lassen und die eigenen Leute treffen konnten. Die dicken Betonwände zwischen den Kammern waren als Druckwellenbrecher gedacht und durch Stahltüren verschlossen, die heute aber nicht mehr existieren.
Gestapo hatte überall ihre Augen und Ohren
Stickig muss es in den 48 Kammern gewesen sein, Luftfilter und Ventilation reichten bei den hier ausharrenden Menschenmassen nicht aus. Sie sprachen einander Mut zu und versuchten, die gedrückte Stimmung mit Durchhalteparolen und Witzen wie „Berlin war eine Stadt der Warenhäuser, denn da waren Häuser und dort waren Häuser“ aufzuhellen. Niemand wagte ein offenes Wort über die Sinnlosigkeit des Krieges zu sagen, der von Nazideutschland ausging und dorthin zurück kehrte. Die Gestapo hatte überall ihre Augen und Ohren und schlug unbarmherzig zu, wo immer Kritik am Regime laut wurde.
Zum Schutz der Bevölkerung wurden in Berlin zahlreiche ober- und unterirdischen Bunkeranlagen gebaut – so im Tiergarten (Zoobunker), im Volkspark Friedrichshain, am Anhalter Bahnhof und Bahnhof Gesundbrunnen, im benachbarten Humboldthain sowie in anderen Stadtteilen errichtet. Wie sich zeigte, reichten die Kapazitäten dieser Anlagen beziehungsweise durch Umbau und Verstärkung in Luftschutzbunker umgewandelten Gasometer bei Weitem nicht aus. Einige Bunker wurden nach dem Krieg gesprengt, andere stehen noch und können mit Resten der ursprünglichen Ausstattung besichtigt werden. Der Verein Berliner Unterwelten bietet Führungen an, darunter auch am nördlichen Eingang des Bahnhofs Gesundbrunnen vor dem Gesundbrunnen Center die Besichtigung der Ausstellung „Mythos Germania – Vision und Verbrechen“, die anhand von Fotografien, Dokumenten und einem Modell Hitlers wahnwitzige Umbaupläne für Berlin thematisiert.
Aus dem Dornröschenschlaf erweckt
Die Schutzräume im U-Bahnhof Gesundbrunnen für Reisende und Anwohner erstrecken sich auf mehreren Etagen. In den engen Räumen waren unzählige Menschen eingezwängt, sie hörten das Summen der Lüftungsanlagen, das Dröhnen der Flugzeuge sowie das Einschlagen der Bomben in der Umgebung. Der Bunker wurde nach dem Krieg geplündert und fiel danach in einen Dornröschenschlaf. 1998 vom Verein Berliner Unterwelten wiederentdeckt, wurden die Räume in ein Museum zum Thema Bombenkrieg und Luftschutz umgewandelt. Eine Kammer war für Mutter und Kind, genannt MUKIBU (Mutter-Kind-Bunker) bestimmt. Wie vor 80 Jahren sind Hinweisschilder für die Notbeleuchtung, Rettungswege, Luftfilter und Verhaltensmaßregeln aufgehängt. In einer Vitrine liegen Handbücher zum Luftschutz sowie Kinderspielzeug und Brettspiele alle zu diesem Thema,, ferner Kerzen, die Luftschutzzeitung „Sirene“ sowie Gasmasken sogar für Pferde.
Beim Rundgang wird darauf hingewiesen, dass währen des Kriegs in den Abendstunden und nachts Verdunklung Pflicht war. Wer dagegen verstieß, ja wer gar die Gelegenheit nutzte, um während eines Bombenalarms in Wohnungen und Läden einzudringen, um etwas zu stehlen, wurde als Volksschädling angeklagt und verlor unweigerlich den Kopf, unabhängig davon, und wenn es nur ein Stück Brot war. Zur Abschreckung wurde über die Exekutionen in den Zeitungen ausführlich berichtet. In der Hinrichtungsstätte Plötzensee sind solche Fälle dokumentiert.
Silberbesteck aus der Reichskanzlei
An anderer Stelle sind Reste von Silberbestecks aus der Reichskanzlei und dem zerbombten Restaurant Lutter & Wegner am Gendarmenmarkt sowie geschmolzenes Glas, zerbrochene Keramik und Haushaltsgegenstände ausgelegt. An den Wänden sieht man Farbfotos von Malereien aus dem so genannten Fahrerbunker neben Hitlers Reichskanzlei, in dem SS-Leute ihre Visionen von einem „germanischen“ Leben nach dem Krieg an die Wand malten. Zu sehen sind überdies Reste einer großen Stierfigur aus Marmor am Bunker im Humboldthain sowie verrostete Pistolen, Gewehre, Granaten, Brandbomben, zerschossene Helme und Reste der berühmten Verschlüsselungsmaschine Enigma. Der Rundgang führt in eine Krankenstation mit Betten, einem Waschbecken sowie Spritzen, Operationsbesteck und eine Hausapotheke. An der Wand appelliert ein Aushang unter dem Motto „Die Heimatfront steht“ an den Durchhaltewillen der Zivilbevölkerung.
In den Räumen zum Thema Nachkriegszeit und Wiederaufbau wird das Berliner Notprogramm vorgestellt. Zu sehen sind Fotos mit Trümmerfrauen sowie eine mit Steinen beladene Trümmerlore, aber auch Stahlhelme, aus denen man Kochtöpfe und Siebe gemacht hatte, sowie in Milchkannen umgewandelte Granathülsen. Für Kinder, die an der Führung teilnahmen, war eine nachgebaute Rohrpost ein besonderes Erlebnis. Währen sie mit Sendungen quer durch den Raum beschäftigt waren, konnten die Erwachsenen auf einer Karte sehen, dass Berlin zahlreiche Rohrpostleitungen besaß, die in Windeseile Briefe, Postkarten und kleine Päckchen von hier nach dort schickten.
Depot der Senatsreserve
In den frühen 1940er Jahren wurden unweit des S-Bahnhofs Gesundbrunnen ein Hochbunker mit vier Flaktürmen gebaut. Bei seiner Verteidigung bis in die ersten Maitage 1945 hinein gab es viele sinnlose Opfer. Als man 1948 versuchte, ihn zu sprengen, hatte man nur bei den beiden südlichen Flaktürmen Erfolg. Da den anderen Türmen nicht beikommen war, wurden sie mit Trümmer- und Industrieschutt verfüllt. Später hat man das Areal in einen Landschaftspark umgewandelt. In den späten 1980-er Jahren erhielten die beiden Flakbunker Aussichtsplattformen, auf die man über eine steile Treppe gelangt. Einige Anlagen wie der Luftschutzbunker in der Kreuzberger Fichtestraße im damaligen West-Berlin, der ursprünglich ein Gasometer war, dienten nach dem Krieg angesichts der großen Wohnungsnot als provisorische Unterkünfte für Familien, wurden aber auch als Depots der so genannten Senatsreserve mit Lebensmitteln und anderen wichtigen Gütern für Krisen- und Kriegszeiten genutzt.
LITERATURTIPP: Dietmar und Ingmar Arnold mit Farbfotografien von Frieder Salm: Dunkle Welten. Bunker, Tunnel und Gewölbe unter Berlin. Ch. Links Verlag Berlin, 4. aktualisierte Auflage 1999. ISBN 3-86153-189-5
8. April 2025