Paläste, Fabriken und Hütten - Friedrich Nicolai stellte 1785 Berliner Sehenswürdigkeiten und Versorgungseinrichtungen vor



Für seine vielen Bücher verwendete Friedrich Nicolai ein ausdrücklich seinen Freunden gewidmetes Exlibris. Die Büste aus roter Terrakotta ist ein Werk von Johann Gottfried Schadow und ist im Nicolaihaus Brüderstraße 13 ausgestellt.



Wer sich auf den Weg nach Berlin und Potsdam machte, fand in Friedrich Nicolais von Zeit zu Zeit aktualisierte Reisebeschreibung über Sehenswürdigkeiten und Bauwerke hinaus gehende Informationen. Wer Glück und eine verlässliche Kutsche samt Begleitung, kam gut ans Ziel. Die Grafik zeigt eine Reisegesellschaft in Sachsen, kenntlich an den kurfürstlich sächsischen königlich-polnischen Post- oder Distanzsäulen.



Nicht weit vom Königlichen Schloss hatte Friedrich Nicolai in der Brüderstraße 13 sein Wohn- und Verlagshaus. Der von ihm ausführlich beschriebene Bau erlebte vor einigen Jahren als Humboldt Forum seine Wiedergeburt. Das Nicolaihaus - hier auf einer Postkarte von 1913 - hat sich zu einem bedeutsamen Kultur- und Wissenschaftsstandort entwickelt. Zurückgekehrt ist auch der Nicolai Verlag.



Der Augsburger Zeichner, Kupferstecher und Verleger Johann Stridbeck der Jüngere besuchte 1690/1691 die Haupt- und Residenzstadt an der Spree und fertigte 20 Zeichnungen an, die in der Berliner Staatsbibliothek verwahrt werden. Hier ist kurfürstliche Schloss vor seinem Umbau durch Andreas Schlüter in einen königlichen Palast zu sehen.



Der Zusammenbruch der halbfertig erbauten Deutschen Kirche, auch Dom genannt, im Jahr 1781 war ein großes Unglück, auf das Nicolais Berlin-Buch näher eingeht.



Die zu Beginn des 18. Jahrhunderts erbaute Synagoge in der Heidereuter Gasse unweit der Rosenstraße und Spandauer Straße in Berlin-Mitte überstand den Novemberpogrom 1938, wurde aber im Zweiten Weltkrieg zerstört und danach abgetragen.



Die Königliche Oper Unter den Linden ist ein Werk von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff und wurde Friedrich II. und den Musen gewidmet.



Friedrich Nicolai sah sich auch in den Umgebungen von Berlin um und beschreibt unter anderem das Schloss Schönhausen, in dem die von ihrem Gemahl Friedrich II. getrennt lebende Königin Elisabeth Christine residierte.

Repros: Caspar

In der Zeit der Aufklärung
kamen Bücher in Mode, die ihre Leser zu Wanderungen durch Städte und Landschaften mitnahmen und sie über deren Aussehen und Geschichte aufklärten. Solche Schriften sollten Lust auf das Reisen machen, das damals noch sehr beschwerlich, teuer und unsicher war. Wer sich eine Kutsche nicht leisten konnte, versuchte es mit „Schusters Rappen“, also zu Fuß. Es wird erzählt, dass sich viele Gasthöfe und Unterkünfte in einem jämmerlichem Zustand befanden und bessere Hotels kaum bezahlbar waren. Erzählt wird auch von unsicheren und schlammigen Straßen, auf denen man nur mühsam voran kam. Gut beraten war, wer sich bewaffnete, denn überall lauerten Räuber, Diebe und Mörder. Es soll Leute gegeben haben, die vor einer längeren Reise ihr Testament machten und glücklich waren, heil ans Ziel und zurück in die Heimat zu kommen.
Ziel der Reiseführer von damals war es, die tief sitzende Scheu vieler Menschen überwinden helfen, sich aus den eigenen vier Wänden und der Stadtmauer hinaus in die weite Welt zu bewegen und neue Leute und Gegenden kennenzulernen. Die in wachsender Zahl publizierten Fremden- und Reiseführer noch ohne Bilder halfen dabei. Berühmt wurde in der kaum überschaubaren Reihe solcher Nachschlagewerke der „Baedecker“ im roten Einband. Dieser nach dem Buchhändler und Schriftsteller Karl Baedecker (1801-1859) benannte Reiseführer wurden wegen ihrer Gründlichkeit, Zuverlässigkeit und Informiertheit sehr geschätzt.

Mit dem Baedecker durch die Welt
Der in Koblenz lebende Namensgeber begann in den 1830er Jahren, seine Reiseführer zu verfassen und herauszubringen. Für ihn galt das Prinzip, nur das zu beschreiben, was er und seine Mitarbeiter persönlich gesehen haben. Große Mühe verwandte er auf die ständige Aktualisierung und, wo nötig, Berichtigung seiner Nachschlagewerke, in denen neben Sehenswürdigkeiten aller Art auch für Reisende so wichtige Angaben über Hotels, Verkehrsverbindungen und andere nützliche Informationen vermerkt waren. Dieser Service sorgte für die große Popularität des Baedecker.
Einer, der schon vor Baedecker über seine Reisen im Stil eines Fremdenführers berichtete und alles Merkwürdige, also des Merkens und Besichtigens Würdige notierte und publizierte, war Friedrich Nicolai (1733-1811). Der berühmte Berliner Verleger, Schriftsteller und Buchhändler war Gastgeber anregender Gesprächsrunden mit Dichtern, Gelehrten, Architekten, Malern und anderen Zeitgenossen in seinem Wohn- und Verlagshaus Brüderstraße 13 (siehe Eintrag auf dieser Internetseite vom 15. September 2025). Er hatte das nach ihm benannte und heute von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz sowie dem Nicolai Verlag genutzte Haus nicht weit vom Königsschloss für die enorme Summe von 32.500 Talern erworben und es für seine Bedürfnisse umgestalten und erweitern lassen. Baumeister Carl Friedrich Zelter legte im Hof eine hölzerne Galerie an, um die Räume des gesamten ersten Stocks „auf schickliche Weise“ miteinander zu verbinden.
Als Regionalhistoriker und gut beobachtender und kenntnisreicher Reiseschriftsteller leistete Nicolai Pionierarbeit. Auch heute wird aus seiner „Beschreibung der königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, aller daselbst befindlicher Merkwürdigkeiten, und der umliegenden Gegenden“ zitiert. Eine mit 229 zeitgenössischen Abbildungen versehene Ausgabe aus dem Verlag Philipp Reclam jun. erschien 1987 in Leipzig (387 Seiten, ISBN 3-379-00195-3) beruht auf der dritten, völlig umgearbeiteten Ausgabe von 1786. Mit einem Nachwort und einer Lebensbeschreibung des Autors von Karlheinz Gerlach versehen, enthält der repräsentative Band eine Auswahl aus der etwa 1300 Seiten umfassenden Beschreibung der beiden Residenzstädte sowie ihres Umlandes. Wer das Original lesen möchte, kann die Ausgabe von 1786 im Besitz der Berliner Stadtbibliothek benutzen, das über einen reichen Fundus an Drucken und Handschriften zur Stadt- und Landesgeschichte verfügt. Gerlach hat 1983 Auszüge aus Nicolais berühmtem Buch in der elften Folge der vom Kulturbund der DDR herausgegebenen Reihe „Miniaturen zur Geschichte, Kultur und Denkmalpflege Berlins“ veröffentlicht.

Unermessliche Lebensfülle
Der Schriftsteller, Diplomat und kritische Zeitzeuge Karl August Varnhagen von Ense fand 1842 für Nicolais Werl diese lobenden Worte: „Eine meiner liebsten Beschäftigungen ist das Erforschen der historischen Örtlichkeit Berlins. Mir wird ganz heimisch dabei zumut, warm und behaglich, ein Zauber der Vergangenheit belebt mir die Gegenwart. Unermessliche Lebensfülle liegt in einem solchen Boden, übergroß ist schon das, was man weiß und erforschen kann, nur ahnen kann. Die Beschreibung Berlins von Nicolai ist mir in dieser Hinsicht unschätzbar, das Buch liegt mir in dieser Zeit fast immer zur Hand, nebst Fidicin, König und andern verwandten Schriften.“ Ludwig Geiger, Literatur- und Kulturhistoriker sowie Vertreter des Reformjudentums, befand, eb Nicolais Beschreibung mache durch seine Schlichtheit, Reichhaltigkeit und Zuverlässigkeit einen höchst wohltuenden Eindruck. „Alles wird ruhig, kurz, einfach dargestellt, mit Behagen und Vertrauen folgt man dem unterrichteten und unterrichtenden Führer. Schon wegen dieser Leistung verdient Nicolai in einer Geschichte Berlins einen Ehrenplatz.“
Friedrich Nicolai lädt, alte Beschreibungen, Urkunden und Chroniken nutzend, zu einer Reise durch die wechselvolle Geschichte der brandenburgisch-preußischen Haupt- und Residenzstadt ein und erwähnt große und kleine Sehens- und Merkwürdigkeiten an Spree und an Havel. Er beschreibt die königlichen Schlösser in Berlin und Potsdam, betritt Adelspaläste und Kirchen, flaniert auf Straßen und Plätzen, besichtigt Manufakturen und Fabriken und sieht sich auch in den Hütten der so genannten kleinen Leute um. Der Autor beginnt der grauer Vorzeit begonnene Stadtgeschichte und unternimmt eine Wanderung durch Vorstädte und einzelne Stadtteile, die seit Mitte des 17. Jahrhunderts um die Haupt- und Residenzstadt angelegt wurden. Ausführlich geht Nicolai auf den damals die Stadt dominierenden Militärstand und einzelnen Regimentern.

Welt von gestern und heute
Indem Nicolai die Welt von gestern und heute beschreibt, geht er auch auf Konflikte der Einwohner mit den hier residierenden Markgrafen, Kurfürsten und Königen ein. Das mittelalterliche Berlin ist für ihn eine Siedlung mit einfachen Holzhäusern von wenig gutem Zustand. Das Schloss sei lange Zeit in den armseligsten Umständen gewesen und und fast völlig verfallen, und der Lustgarten sei nur ein dürrer Sandfleck gewesen. Überall habe Unrat auf den Straßen gelegen, und die Schweine, die sich die Bewohner hielten, hätten im Dreck und verstopften Kanälen gewühlt.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) wandelte sich das Bild der Doppelstadt Berlin-Cölln. Es entstanden die Straße Unter den Linden und neue Vorstädte, und auch das mittelalterlich anmutende Schloss wurde unter Andreas Schlüter in einen barocken Palast verwandelt. Nicolai erwähnt Straßen, Plätze und einzelne Bauten, die nach ihren Besitzern aus dem Adel und dem wohlhabenden Bürgertum benannt sind. Da und dort stellten Manufakturen Textilien her, aber auch Erzeugnisse aus Silber und anderem Metall sowie aus Keramik und ab 1763 in großem Stil auch aus Porzellan. Dass Nicolai in seinem Stadtbuch auch solche Betriebe würdigt, ist bemerkenswert und macht es zu einem einzigartigen Nachschlagewerk, wenn es darum geht, tiefer in die Berliner Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts und davor einzudringen. Bei Reiseführern dieser Art erwartet man eigentlich solche Themen nicht, auch nicht, wo es Gefängnisse, Friedhöfe, Hospitäler einschließlich der Charité, Brücken und andere Einrichtungen ohne höheren Kunstwert gibt. Der Autor erwähnt die Ritterakademie und Gymnasien sowie Stadt- und Marktplätze, ja auch, dass die ehemalige Hurengasse den angenehmer klingenden Namen Rosenstraße erhielt und der Scharfrichter seiner Arbeit nicht mehr in der Stadt, sondern an ihrem Rand nachgeht.

Ruhm der berlinischen Judenschaft
Friedrich Nicolai geht in seinem Berlin-Buch näher auf die Französische und die Böhmischen Kolonie, also auf die religiös motivierte Einwanderung vor und nach 1700, und die jüdischen Bewohner ein, die zu seiner Zeit aus vier- bis fünfhundert Familien bestanden und mehr oder weniger gut durch königliche Privilegien geschützt sind. „Die Juden leben größtenteils von der Handlung. Die reichsten Häuser haben verschiedene nützliche Fabriken und Manufakturen angelegt; sie haben auch Anteil an den hiesigen Handelskompanien und führen ansehnliche Wechselbanken. [...] Die freien Künste sind ihnen erlaubt, und es gibt unter ihnen Maler, Stempelschneider und Petschierstecher. Man muss überhaupt von der berlinischen Judenschaft rühmen, dass unter derselben verschiedene Gelehrte, viele Leute vom Geschmacke und Liebhaber schöner Wissenschaften angetroffen werden. Sie haben zwei Buchdruckereien, in welchen hebräische Bücher gedruckt werden. Sie genießen freie Religionsübung und haben im Jahre 1700 bis 1714 eine öffentliche Synagoge gebauet. Ihre Armenanstalten sind sehr löblich.“
Das Verlags- und Buchdruckwesen, die Herstellung von Kutschen und Sänften und viele andere Gewerke standen an der Spree in hoher Blüte. Friedrich Nicolai widmet diesen Themen viele auch heute lesbare Seiten. Weiter geht es bei Friedrich Nicolai mit der Stadtverwaltung, dem Polizeidirektorium und dem Stadtgericht, und auch das damals recht heikle Thema der Stadtreinigung sowie die Lebensmittelversorgung und das Marktwesen unter freiem Himmel waren ein Thema. Wer sich für Berlin in der Zeit Friedrichs des Großen und seine Kaufmannschaft sowie die dort befindlichen Fabriken sowie Textilmanufakturen und weiter Produktionsstätten interessiert, wer große Handelsfirmen kennenlernen und wer wissen möchte, wer von ihnen auf den damaligen Messen vertreten war, findet in dem Buch interessante Angaben. Sie sind Grundlage weiter führender Untersuchungen, denn die Geschichtsschreibung hat dem Wissen des ausgehenden 18. Jahrhunderts viele neue und dieses vielfach korrigierende Erkenntnisse hinzugefügt.

Milde Stiftungen und Armenpflege
Breiten Raum nehmen in Nicolais Buch Themen wie Religion, milde Stiftungen, die Armenpflege und der Umgang mit Waisenkindern ein, hinzu kommen das Schulwesen sowie die Akademien der Wissenschaften und der Künste und gelehrte Gesellschaften, über die der Verfasser einiges aus eigener Kenntnis beisteuern kann. Bibliotheken und Kunstsammlungen erfreuten sich der besonderen Gunst des Königs, und so lobt Nicolai, dass in Berlin „fast über alle Wissenschaften Vorlesungen gehalten [werden], welche sowohl jungen Studierenden Gelegenheit geben, in den ihnen nötigen Wissenschaften gründlichen Unterricht zu erhalten, als auch andere Liebhaber der Gelehrsamkeit alles Standes veranlassen, sich mit verschiedenen Wissenschaften zu beschäftigen.“ Das geschah in einer Zeit, als die Stadt noch keine Universität besaß. Ihre Gründung 1810 auf Initiative von Wilhelm von Humboldt durch König Friedrich Wilhelm III. hat Nicolai noch erlebt. Er starb ein Jahr später.

25. November 2025