„Friede sei ihr erst Geläute“
Ungewöhnliches Denkmal im Schatten der Bernauer Marienkirche
Im Außenbereich der mittelalterlichen Marienkirche in Bernau bei Berlin erinnert ein Findling mit einer Inschriftenplatte daran, dass hier Wanderhandwerker mit dem Glockenguss beschäftigt waren. Bei archäologischen Grabungen wurden Reste ihrer Werkstatt gefunden.
Die Grafiken aus dem 18. Jahrhundert zeigen, in welche Formen man Glocken gegossen hat und wie eine Dämmgrube aussah.
Das 2016 eingeweihte Glockenspiel der Berliner Parochialkirche wurde von der holländischen Gießerei Petit & Fritsen in der gleichen Art gegossen wie das Glockenspiel, das am 24. Mai 1944 bei der Zerstörung der Kirche unterging.
Fotos/Repro: Caspar
Kirchen ohne Glocken sind nicht vorstellbar. In alten Zeiten ließen sich die Gemeinden ihren Guss viel Geld kosten. Es gab aber auch fromme Vermächtnisse und Stiftungen, die das nötige Geld mit dem Ziel zur Verfügung stellten, vor Gott bestehen und ins Paradies einziehen zu können. Ganz weltlich ging es in Glockengießereien zu. Glocken sagen nicht nur viel über vergangene Zeiten und die Gegenwart, sondern auch über uns selbst. Auf unnachahmliche Weise hat Friedrich Schiller seine Empfindungen bei der Ansicht von Glocken zu Papier gebracht. 1788 hat er eine Glockengießerei in Rudolstadt besucht und von dort „einen sehr begeisternden Stoff zu einem lyrischen Gedicht“ mitgebracht. Es dauerte ein Jahrzehnt, bis er das „Lied von der Glocke“ schrieb, das mit diesen Worten beginnt und ausklingt: „Fest gemauert in der Erden / Steht die Form aus Lehm gebrannt. / Heute muss die Glocke werden! / Frisch, Gesellen, seid zur Hand! / Von der Stirne heiß / Rinnen muss der Schweiß, / Soll das Werk den Meister loben; / Doch der Segen kommt von oben. […] Jetzt mit der Kraft des Stranges / Wiegt die Glock mir aus der Gruft, / Dass sie in das Reich des Klanges / Steige, in die Himmelsluft. / Ziehet, ziehet, hebt! / Sie bewegt sich, schwebt, / Freude dieser Stadt bedeute, / Friede sei ihr erst Geläute.“
Feinste Haarrisse verdarben den Klang
Im Schatten der Bernauer Marienkirche liegt ein Findling mit einer eingelassenen Bronzeplatte. Sie berichtet, dass 1999 bei Bauarbeiten auf dem ehemaligen Friedhof am Kirchplatz Reste von zwei historischen Glockengießereien entdeckt wurden - ein bis dahin einzigartiger Fund in Brandenburg. Die Grabung förderte neben Resten von Gussformen auch die so genannte Dämmgrube sowie eine Feuerungs- und Lüftungsanlage und Metallschlacke zutage. „Vermutlich waren es Wanderhandwerker, die die Glocken für eine Kirche in unmittelbarer Nähe gossen, da ein Transport der Glocken große Schwierigkeiten mit sich brachte. Schon feinste Haarrisse verdarben den Klang“, erzählt die Inschrift auf dem Glockendenkmal. Im Straßenpflaster ist die Fundstelle als Mosaik markiert, und auch auf der Inschriftenplatte erkennt man Einzelheiten. Stein und Inschrift sind ein seltenes Beispiel, dass im öffentlichen Raum auf eine außergewöhnliche Entdeckung bei Ausgrabungen hingewiesen wird.
Schauen wir nach Berlin, dann sehen wir im Turm der Parochialkirche unweit des Alexanderplatzes ein Glockenspiel. Es ist ein Nachbau für das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Carillon, wie man solche Instrumente auch nennt. Seit 2016 erklingt es wieder wie zur Zeit der Preußenkönige Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I., die das Gotteshaus nach Plänen von Johann Arnold Nering und Martin Grünberg hatten erbauen lassen. Der Unternehmer Hans Wall, der überall in Berlin und außerhalb der Stadt Toilettenhäuschen und Plakatwände installiert hat, sah bei einem Spaziergang, dass die Klosterstraße und die Kirche ohne den Turm unfertig sind. Der durch ihn, die Stiftung Klassenlotterie, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz sowie unzählige private Spender finanzierte Wiederaufbau des „Singeuhrturms“ sei für ihn das schönste Projekt gewesen, das er jemals angepackt hat, sagte Wall bei der Weihe. Bei feierlichen Gelegenheiten werden die großen und kleinen Glocken vom Organisten mit Pedalen angeschlagen, hingegen übernimmt an gewöhnlichen Tagen diese Arbeit ein Uhrwerk. Wenn stets um 9, 12 und 15 Uhr das Glockenspiel mit Kirchenliedern und Chorälen anstimmt wird, versammeln Menschen und hören andächtig zu.
„Singeuhren“ in Berlin und Potsdam
Die Weihe der Parochialkirche 1703 in Gegenwart der Königsfamilie erfolgte noch ohne Turm, der erst zwölf Jahre aufgesetzt war. 1713 hatte es einen Thronwechsel gegeben, und der neue Herrscher, Preußens Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., schmückte diesen Turm mit einem Glockenspiel, das der Volksmund „Singeuhr“ nannte und am 1. Januar 1715 zum erstenmal zu hören war. Gefertigt von holländischen Spezialisten, bestand es aus 37 Glocken. Das Glockenspiel wurde am 24. Mai 1944 samt Turm durch einem Bombentreffer in sich zerstört.
Ob es auch zum Einbau des Glockenspiels der am 14. April 1945 zerbombten und 1968 auf Befehl der SED-Führung abgetragenen Potsdamer Garnisonkirche kommt, ist ungewiss. Der Turm steht schon, und für 2025 ist geplant, ihm die barocke Spitze aufzusetzen. Dort war bis zur Zerstörung das Glockenspiel und eine kleine Kammer eingebaut, in der der Organist und Carillonneur Choräle und Lieder spielte. Als letztes tat das Otto Becker. Im Museum, das im wiederaufgebauten Turm eingerichtet wurde, wird auch an den berühmten Organisten und Glockenspieler liebevoll erinnert.
5. Januar 2025