Hausbesuch bei Friedrich Nicolai - Deutsche Stiftung Denkmalschutz lud in berühmtes Zentrum der Berliner Aufklärung ein

Das Nicolaihaus in der Brüderstraße 13 (Berlin-Mitte) hat sich zu einem einzigartigen Wissenschafts- und Kulturstandort entwickelt und lädt zu Vorträgen, Lesungen und Konzerten ein.

Friedrich Nicolai (1733-1811) prägte wie kaum ein anderer das geistige Leben in Berlin. Das Exlibris mit den niedlichen Putten klebt in vielen seiner Bücher.

Die Rezensionen in der „Allgemeinen deutsche Bibliothek“ wurden in ganz Europa gelesen. Wer wissen wollte, wo etwas von Belang publiziert wurde, konnte sich in der Vierteljahresschrift gut informierten. Das von Otto Lessing geschaffene Lessing-Denkmal im Berliner Tiergarten ehrt mit Reliefs am Sockel den Dichter Ewald von Kleist, den Philosophen Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai als Vertreter der Berliner Aufklärung. Der Genius schwingt vor Nicolais Bildnis die Geißel der Zensur, die aber ihm und seinen Freunden nichts anhaben kann.

Das Haus in der Brüderstraße sah viele illustre Gäste, hier pflegte der vielseitig beschäftigte Verleger und Schriftsteller ein vorbildliches Familienleben. Die Grafik stammt aus dm Jahr 1785.

Dieter Beuermann und Ingrid Scheurmann berichteten am Tag des offenen Denkmals über Friedrich Nicolais Leben und Nachleben und aus der wechselvollen Geschichte seines Wohn- und Verlagshauses.

Wie durch ein Wunder hat die barocke Eichentreppe alle Krisen und Kriege überstanden. Von grünem Linoleumbelag aus DDR-Zeiten befreit (über den sich der bei der Denkmalpflege in dieser Zeit beschäftigte Verfasser stets geärgert hat), wüsste sie von illustren Gästen und festlichen Zusammenkünften erzählen.

Die Räume in der ersten Etage geben eine Anmutung, wie es hier zu Nicolais Zeiten zugegangen ist.

Im Hof des Nicolaihauses fanden in DDR-Zeiten Theateraufführungen und Konzerte statt, an einer Wand fasst die Bronzetafel die Geschichte des einzigartigen Ensemble zusammen.
Fotos/Repros: Caspar
Berlin ist mit Wohn- und Atelierhäusern, die an Künstler, Gelehrte und Schriftsteller erinnern, nicht gerade reich gesegnet. Zu viele Orte dieser Art wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört oder fielen später der Spitzhacke zum Opfer. Eine Ausnahme bildet das Schadowhaus in der Schadowstraße 10 unweit des Brandenburger Tors, in dem der Bildhauer. Grafiker und Akademiedirektor Johann Gottfried Schadow bis zu seinem Tod im Jahr 1850 lebte und arbeitete . Der Deutschen Bundestag ließ das Gebäude vor einigen Jahren sanieren und restaurieren und nutzt es für seine Büros, weshalb ein Besuch nicht einfach ist. Die Schadow Gesellschaft Berlin hat hier ihren Sitz und spürt in einem ihrer Blauen Hefte der Geschichte dieses Ortes nach. Wir freuen uns, dass mit der Übernahme des Nicolaihauses Brüderstraße 13 in Berlin-Mitte 2010 durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz ein Juwel der Berliner Bau- und Geistesgeschichte aus dem Dornröschenschlaf geweckt wurde und mit ihm die Gegend rund um den Petriplatz mit dem neuen Archäologiehaus PETRI Berlin spürbar aufgewertet wird. Zu nennen ist auch das Knoblauchhaus im Schatten der Nikolaikirche, das in der Biedermeierzeit von kulturell interessierten Unternehmern bewohnt wurde. Die Stiftung Stadtmuseum lädt hier zu einem Rundgang ein und zeigt, wie hier das „gehobene Bürgertum“ gelebt und Geselligkeit gepflegt hat. An den Bildhauer Georg Kolbe erinnert sein als Museum genutztes Atelier- und Wohnhaus in der Sensburger Allee in Berlin-Westend. Das Brecht-Haus in der Chausseestraße 125 neben dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte war Wohnhaus von Bertolt Brecht und Helene Weigel und beherbergt ein ihnen gewidmetes Museum sowie Archive zu beiden Künstlern sowie das Literaturforum im Brechthaus.
Ausstellungen, Lesungen, Konzerte
In dem historischen Gebäude, das vor über 200 Jahren Zentrum der Berliner Aufklärung war, beherbergte in DDR-Zeiten das Institut für Denkmalpflege. Im Juli 2010 hatte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz das Nicolaihaus vom Liegenschaftsfonds Berlin gekauft und es ab 2012 sanieren und restaurieren lassen. In den ehemaligen Repräsentationsräumen der ersten Etage ist Platz für Ausstellungen, Lesungen, Tagungen, Kammerkonzerte und festliche Zusammenkünfte. Im Erdgeschoss links neben dem Eingang gibt es einen großen Vortragssaal. Das das nach dem Auszug der Denkmalpflege s zwischenzeitlich von der Stiftung Stadtmuseum für seine Theaterausstellung genutzte und danach einige Jahre leer stehende Haus wurde vom Dach bis Keller in enger Abstimmung mit dem Landesdenkmalamt saniert und restauriert. Möglich war der Kauf des Nicolaihauses, weil der Stiftung eine bedeutende Erbschaft zugefallen war. Das als Wissenschaftsstandort und Kulturzentrum genutzte Gebäude befindet sich in einem hervorragenden Zustand. Im Hof wächst ein großer Nussbaum, und an den Wänden ranken sich Weinreben.
Über eine sorgsam restaurierte Eichentreppe aus der Barockzeit geht es ins Obergeschoss, wo ein Gedenkort für den ehemaligen Hausherren und Namensgeber Friedrich Nikolai als Schriftsteller Aufklärung, Verleger, Geschäftsmann, Gastgeber für das geistige Berlin vor und nach 1800 und Vater von acht Kindern, eingerichtet ist, die alle vor ihm starben. Bein Tag des offenen Denkmals sprachen Dieter Beuermann, der Chef des wieder in die Brüderstraße 13 gezogenen Nicolai Verlags, Ingrid Scheurmann (Denkmalstiftung) über Nicolai und seine Zeit sowie über die Geschichte des Hauses und seiner Bewohner und die Gäste, die sich hinter der vornehmen Fassade als Gäste des Verlegers die Klinke in die Hand gaben.
Lessingmuseum wurde 1936 von den Nazis aufgelöst
Im Gedenkraum für Friedrich Nicolai ist zu erfahren, dass es im Erdgeschoss die Nicolaischen Buchhandlung gab und 1910 das Lessing-Museum ins Nicolaihaus einzog. Es war den 1933 an die Macht gelangten Nazis nicht zuletzt wegen der freundschaftlichen Beziehungen des Hausherrn zu dem jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn und zu dem um Toleranz und Mitmenschlichkeit bemühten Dichter Gotthold Ephraim Lessing ein Dorn im Auge, weshalb es 1936 aufgelöst wurde. Die Exponate sind verschollen. Wenn das eine oder andere wieder auftauchen sollte, wäre das für die Denkmalstiftung und die Lessing-Forschung ein großer Glücksfall.
Der Schriftsteller, Aufklärer, Verleger, Geschäftsmann, Gastgeber für das geistige Berlin vor und nach 1800 und Vater von acht Kindern, die alle vor ihm starben, ist in dem Gebäude allgegenwärtig. Beim Tag des offenen Denkmals am 14. September 2025 sprachen Dieter Beuermann, der Chef des wieder in die Brüderstraße 13 zurück gekehrten Nicolai Verlags, und Ingrid Scheurmann (Denkmalstiftung) sprachen über Nicolai und seine Zeit sowie über die wechselvolle Geschichte des Hauses, seine Bewohner, Gäste und das „Berliner Dreigestirn“ Friedrich Nicolai, Gotthold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn, das weit über Berlin, Preußen und Deutschland hinaus strahlte. Zu Zeiten von Nicolai traf sich in der Beletage das gelehrte und literarische Berlin zu geselligen Runden. Unter den Gästen waren befanden sich der Grafiker Chodowiecki, der Bücher des Nicolai Verlags illustrierte, und der Bildhauer Schadow, der unter eine eindrucksvolle Büste des Gastgebers schuf, ferner der Architekt Schinkel, die Brüder Humboldt, der Dichter der Befreiungskriege Theodor Körner und viele andere. An Bewohner und Gäste erinnern sechs Schrifttafeln an der Hausfassade.
Gefürchteter und geachteter Kritiker
Vor über 200 Jahren entwickelte sich Berlin durch kräftiges Zutun von Friedrich Nicolai zu einem Brennpunkt der deutschen Aufklärung und nach Leipzig zum wichtigsten Verlagsort weit und breit. Friedrich Nicolai war ein streitbarer und kompromissloser Schriftsteller und Verleger und einer, der die deutsche Literaturkritik ins Leben rief. Im Gedenkraum sind ehrende Worte über der von Schadow geschaffenen Nicolai-Büste wie diese zu lesen: „Er war schon ein außergewöhnlicher Mann, eine Jahrhundertfigur. Doch war es durchaus kein Zufall, dass ihn viele seiner Zeitgenossen mehr gefürchtet als geachtet haben und dass er zur Zielscheibe schärfster Attacken wurde“, schrieb 1994 der streitbare Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, dem es ähnlich erging wie Friedrich Nicolai. Im gleichen Raum wird Nicolai in einem Brief von 1774 an Gotthold Ephraim Lessing so zitiert: „Aber die Freiheit, über alles, was mir nicht gefällt, freymüthig meine Meinung sagen zu dürfen, ist ein Vorrecht eines jeden vernünftigen Menschen, dem ich nicht entsagen will.“
Mit Kritik konnte Johann Wolfgang von Goethe offenbar nicht gut umgehen. Vor allem wenn sie ihn betraf und auch aus Berlin kam, wehrte sich der Dichter heftig. „Die eigensinnig fordernde Kritik hab' ich mir stets vom Leibe gehalten; wer mich nicht mag, dem kann ich nichts geben, mit dem ist es bald ein klares Verhältnis. Wer mich aber durchaus anders will, als ich bin, der versucht es, mich unter freundlichen Worten zu erwürgen; der ist mein schlimmster Feind, weil er spricht, als ob er mein Freund wäre“ heißt es in „Gespräche. Mit einem Ungenannten“ (1819). Nicht ganz ernst gemeint war Goethes Forderung in dem Gedicht „Der Rezensent“: „Da hatt’ ich einen Kerl zu Gast, / Er war mir eben nicht zur Last; / Ich hatt just mein gewöhnlich Essen. / Hat sich der Kerl pumpsatt gefressen, / Zum Nachtisch, was ich gespeichert hatt. / Und kaum ist mir der Kerl so satt, / Tut ihn der Teufel zum Nachbar führen, / Über mein Essen zu räsonieren: / ,Die Supp’ hätt können gewürzter sein, / Der Braten brauner, firner der Wein.' / Der Tausendsakerment! / Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.“
Platz ganz oben am Literaturhimmel
Die Herausgabe der „Allgemeinen deutschen Bibliothek“ (AdB) zwischen 1765 und 1806, in der belletristische, naturwissenschaftliche und andere Neuerscheinungen besprochen wurden, war im Wesentlichen Nicolais Werk. Als die preußische Zensur in der Zeit König Friedrich Wilhelms II., des Nachfolgers Friedrichs II., die AdB verbot, machte Nicolai für einige Jahre in Lübeck weiter und gab sie, nachdem die Gefahr vorüber war, wieder in Berlin heraus. „Wenn er nichts anderes geleistet hätte als die Herausgabe dieser großartigen Sammlung - ihm wäre ein Platz ganz oben am Literaturhimmel sicher“, sagt Beuermann. Untersuchungen hätten ergeben, dass die von namhaften Autoren verfassten Buchbesprechungen so gut und aussagekräftig sind, dass man ihnen auch heute kaum etwas hinzufügen muss. Der Verleger besaß nach der Königlichen Bibliothek die größte Bücher- und Schriftensammlung in Berlin mit 16000 Bänden, dazu kam eine bedeutende Galerie von Gemälden und Grafiken, die in den vergangenen zwei Jahrhunderten in alle Winde verstreut wurde.
Hervorzuheben ist, dass die über 240 Bände umfassende Gesamtausgabe der AdB mit handschriftlichen Anmerkungen des Herausgebers dank der Initiative und Großherzigkeit von Dieter Beuermann nicht irgendwohin, sondern in die Berliner Staatsbibliothek gelangte, wo Nicolais Nachlass noch auf seine wissenschaftliche Erschließung wartet. „Junge Leute, die ich für Dissertationen begeistern wollte, sprangen wieder ab, weil sie die alte Schrift nicht entziffern konnten“, bedauert der Verleger, der aber die Hoffnung nicht aufgibt, dass dieser einmalige Schatz irgendwann doch noch gehoben wird. Lange in seiner Bedeutung unterschätzt, werde Nicolai als Autor und Aufklärer national und international wieder entdeckt, und da füge es sich gut, dass sein Haus in der Brüderstraße ein Ausgangspunkt für diese Bemühungen geworden ist. Ingrid Scheurmann fügt hinzu, dass die große Ausstellung „Was ist Aufklärung?“ von 2024 im Deutschen Historischen Museum Berlin die Leistungen von Nicolai und der anderen Berliner Aufklärer nicht angemessen gewürdigt habe, und sie hofft, dass sich diese „Unterbelichtung“ ändert.
Ärger mit Goethe im fernen Weimar
Zu Nicolais Lebensgeschichte gehören die Mühen um junge Schriftsteller und andere Künstler, die gern auch wegen der guten Bewirtung in das Haus an der direkt zum Schloss führenden Brüderstraße kamen. Dieser war ein wohlhabender Mann, von dem erzählt wird, er habe den französischen Besatzern unaufgefordert eine hohe Talersumme in die Kontributionskasse gezahlt. Denn er wollte sich wie alle anderen Berliner an der Zwangsabgabe an die Sieger der Schlacht von Jena und Auerstedt im Oktober 1806 beteiligen. Erwähnt sei auch, dass sich Nicolai mit dem allseits als „Dichtergott“ verehrten Johann Wolfgang von Goethe anlegte und von diesem im „Faust“ als „Proktophantasmist“ (Steißgeisterseher) verspottet wurde. Nicolai hatte sich erlaubt, Goethes populäres Werk „Die Leiden des jungen Werther“ zu parodieren und dem Helden ein hohes Alter und ein Leben in „Freuden“ anzudichten. Goethe ärgerte, dass sich jemand erlaubte, seinen Erfolgsroman auf die Schippe zu nehmen. In einem Spottgedicht ließ der Weimarer Nicolai und die Welt wissen, ein schöner Geist sei gekommen und habe auf das Grab des Selbstmörders geschissen. „Und sprach zu sich bedächtiglich: / ,Der gute Mensch, wie hat er sich verdorben! / Hätt er geschissen so wie ich, / Er wäre nicht gestorben!'“
15. September 2025