Luden, Schränker, Ringvereine - Kaum ein Tag verging im alten Berlin,
dass nicht geraubt und gemordet wurde /
Ernst Gennat kam vielen Verbrechern auf die Spur

Im Polizeihistorischen Museum am Platz der
Luftbrücke 6 wird gezeigt, wie die
Brüder Sass Schneidbrenner zum Öffnen
von Banktresoren benutzten. Die Auslobung einer hohen Summe zu ihrer Ergreifung
hatte keinen Erfolg.

Zu sehen sind im Polizeimuseum Einbrecher- und Mordwerkzeuge,
Schusswaffen,,Verbrecheralben, Totenschädel, Uniformen und andere
Hinterlassenschaften aus der langen
Berliner Kriminalitäts- und Polizeigeschichte.

Mehr als 30 Jahre lang war der Regierungs- und
Kriminalrat Ernst Gennat (3. von links) einer der begabtesten und
erfolgreichsten Kriminalisten Deutschlands. Wegen seiner Körperfülle nannte man
ihn „Buddha der Kriminalisten“ oder „Voller Ernst“.

Das Bild rechts zeigt das von Gennat entwickelte
so genannte Mordauto.

Fritz Lang ließ in seinem Kriminalfilm „M“ aus
dem Jahr 1931 auch so genannte schwere Jungs aus den Ringvereinen als Komparsen
mitwirken. Auf dem Rücken mit einem „M“ für Mörder gezeichnet, jagt halb Berlin
den Verbrecher, wobei die Ringvereine der Polizei zuvorkommen.

Gustav Gründgens spielt den „Schränker“
genannten Chef eines dieser Vereine und fordert seine Kumpanen auf, schneller
als die Polizei zu sein, was dann auch gelingt.
Fotos/Repros: Caspar
Wo viele Menschen auf engem Raum
zusammengepfercht leben, wo der Gegensatz von arm und reich zum Himmel
stinkt, wo gesellschaftlicher Aufstieg von der Herkunft und Bildung und vor
allem vom Geld und „Verbindungen“ abhängen, da ist auch das Verbrechen nicht
weit. Die Geschichte der Berliner Kriminalität und ihrer Bekämpfung füllt
etliche Bücherregale, und im Tempelhofer Polizeipräsidium ist diesem Thema
sogar ein Museum gewidmet. Straßenräuber, Serienmörder,
Sittlichkeitsverbrecher, Einbrecher, Hochstapler, Attentäter, Schmuggler und
Erpresser machten täglich von sich reden. Die Zeitungen befriedigten
ausführlich und detailliert die Neugier ihrer Leser.
Nach dem Ersten Weltkrieg sorgten spektakuläre
Einbrüche der Brüder Sass für Aufsehen. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend,
hatten Franz und Erich Sass schon als junge Burschen Bekanntschaft mit dem
Jugendamt und der Polizei gemacht. Sie verlegten sich Mitte der 1920-er Jahre
auf Geldbeschaffung mit Hilfe modernster technischer Methoden. Anfang 1929
gelang ihnen, in die Stahlkammer der Diskontobank am Wittenbergplatz
einzudringen. Nachdem sie unbemerkt einen Tunnel von einem Nachbarhaus zum
Keller der Bank gegraben hatten, gelangten sie durch einen Luftschacht in den
Tresorraum, wo sie fast alle Schließfächer ausräumten. Die Beute soll über zwei
Millionen Reichsmark betragen haben.
Moderne Untersuchungsmethoden
Die Berliner Kriminalpolizei war damals auf
neuestem Stand, sie bediente sich ungewöhnlicher Methoden bei der
Verbrechensbekämpfung und -aufklärung, Sie hatte überall ihre Spitzel und
Zuträger positioniert und galt den Verfolgungsbehörden anderer Länder als
Vorbild. Zwar wurden die auf das Knacken von Panzerschränken spezialisierten
und daher auch Schränker genannten Brüder Sass von der Polizei beobachtet, doch
konnte man ihnen die Verbrechen nicht nachweisen. 1932 ging das Duo nach
Dänemark, wo es weitere Raubzüge unternahm. Nachdem man sie geschnappt hatte,
wurden sie 1934 zu vier Jahren Gefängnis verurteilt und nach der Haftentlassung
1938 an das Deutsche Reich ausgeliefert, in dem mittlerweile die sich als
Saubermänner gebärdenden Nationalsozialisten an der Macht waren. Erneut wurde
den Brüdern der Prozess gemacht. Zu 13 beziehungsweise 11 Jahren Zuchthaus
verurteilt, kamen sie ins Konzentrationslager Oranienburg, wo sie am 27. März
1940 ermordet wurden. Eine Zeitungsnotiz behauptete, sie seien „bei Widerstand“
erschossen worden. Tatsächlich wurden sie auf Befehl von Hitler ermordet.
Neben dem Scheunenviertel nördlich vom
Alexanderplatz gehörte der Kiez rund um den Schlesischen Bahnhof (heute
Ostbahnhof) zu den besonders verrufenen Gegenden der Reichshauptstadt. Der
Gerichtsreporter Moritz Goldstein schrieb 1929, hinter der Jannowitzbrücke
beginne die Unterwelt, die sich von der Welt der Bürger „nur durch seine
unentrinnbare Trostlosigkeit unterscheidet“. Die Kriminalität hatte hier
Ausmaße wie kaum in einem anderen Stadtbezirk angenommen. Zahlreiche
Taschendiebe, Abzocker und Betrüger waren jenseits der glitzernden Großstadt
unterwegs. Hier blühte die von Luden, also Zuhältern, überwachte und gesteuerte
Prostitution. Für die Polizei war der Kiez so gefährlich, dass
sicherheitshalber zwei Beamte Streife liefen.
Mordserie am Schlesischen Bahnhof
Über Jahre verfolgte die Berliner Kripo
ungeklärte Mordfälle, doch erst 1921 konnte sie einen gewissen Karl Großmann
als „Mörder vom Schlesischen Bahnhof“ dingfest machen. Er soll mehr als 20
Frauen umgebracht haben. Der Sohn eines Lumpensammlers war gelernter Fleischer,
arbeitete aber auch als Hausierer und verbüßte mehrere Jahre im Gefängnis. Am
Schlesischen Bahnhof besaß er einen Wurststand, wo er vermutlich seine Opfer,
Prostituierte und allein reisende Frauen, ansprach und sie zu sich nach Haus
einlud. Nach dem Ersten Weltkrieg, als in Berlin alles drunter und drüber ging
und die Polizei auch zahlreiche politische Morde aufklären musste, fand man im
Engelbecken und im Luisenstädtischen Kanal 23 zerstückelte Frauenleichen.
Großmann wurde am 21. August 1921 auf frischer Tat in seiner Wohnung neben
seinem letzten Opfer gefasst. Die Kripo fand außer der Leiche mehrere
Frauenkleider, einen blutigen Sack und menschliche Körperteile. Das Gericht
konnte Großmann drei Morde zuordnen, doch wird die wirkliche Zahl erheblich
höher angegeben. Vor dem Ende der Hauptverhandlung erhängte sich der Angeklagte
am 5. Juli 1922 ab einem Bettlaken in seiner Zelle.
Zwar war damit die Akte über eine der
schrecklichsten Mordserien in Berlin geschlossen, die Verbrechen aber gingen
weiter. Denn es machten Verbrecherorganisationen, die so genannten Ringvereine,
von sich reden. 1890 wurde in Berlin der Reichsverein ehemaliger
Strafgefangener gegründet. Ursprünglich zur finanziellen Unterstützung der
Familien von Personen, die im Gefängnis saßen, gebildet, nahmen die
Hilfsorganisationen mit Vereinsstatuten und eigenem Ehrenkodex nach und nach
Merkmale der organisierten Kriminalität an. Für bewaffnete Überfälle,
Prostitution, Einbrüche, Erpressungen. Alkoholschmuggel und andere Verbrechen
zuständig, lieferten sich die Ringvereine mit der Polizei regelrechte
Schlachten, die die Medien genussvoll ausmalten.
Der Polizei wird nichts verraten
Eisernes Schweigen gegenüber der Ordnungsmacht
war oberstes Gebot, und wenn es darauf ankam, gaben sich die Vereinsbrüder, die
sich untereinander an einem Siegelring erkannten, gegenseitige Alibis und
engagierten teure Anwälte. Lange war es nicht möglich, den Ringvereinen das
Handwerk zu legen, das gelang erst den Nationalsozialisten im Jahr 1934. Als
Anfang 1933 darüber gerätselt wurde, wer denn das Berliner Reichstagsgebäude
angezündet hat, tippte man hinter vorgehaltener Hand auf die Brüder SASS, womit
die SA und SS als blutbesudelte Terrororganisationen der Nazis gemeint waren.
Nach außen hin gaben sich die Ringvereine den
Anschein ehrenwerter Gesellschaften, prunkten mit teuren Autos, Banketten in
exklusiven Restaurants und viel Schmuck auf und genossen bei manchen Berlinern
Sympathie, weil sie, wie der legendäre Robin Hood, die Reichen schröpften. Im
Kriminalfilm „M - Eine Stadt sucht einen Mörder“ von 1931 bemühte sich der
Regisseur Fritz Lang um größtmögliche Authentizität, Da die Polizei bei der
Fahndung nach dem Kindermörder der Halb- und Unterwelt zu nahe kommt und ihre
Arbeit stört, machen sich die Ganoven ebenfalls auf die Suche. Mit einem weißen
M auf der Schulter gezeichnet, wird der Kindermörder Hans Benkert (Peter Lorre)
gefasst. Angeführt von Schränker (Gustav Gründgens) kommen die Ringvereine der
Polizei zuvor und fassen den Kindermörder. In einer still gelegten Fabrik
findet ein Schauprozess statt, in dem Benkerts gestammelte
Rechtfertigungsversuche im Gelächter der Ganoven untergehen. Das rechtzeitige
Eintreffen der Polizei verhindert, dass der Mörder gelyncht wird. Der
Kinobesucher darf sicher sein, dass er von einem ordentlichen Gericht zum Tode
verurteilt und hingerichtet wird.
Ernst Gennats innovative Methoden
Im
Berliner Polizeimuseum wird an Ernst Gennat, den Nestor der polizeilichen
Ermittlungsarbeit auf hohem wissenschaftlichem Niveau, erinnert. Als er 1904 in
die Reichshauptstadt zur Kriminalpolizei kam, war deren Mordkommissionen gerade
im Entstehen. Am 25. August 1902 als Mordbereitschaftsdienst eingerichtet,
schickte sie an die Tatorte, um Spuren zu sichern und die Verfolgung von
Verbrechern aufzunehmen. Bis dahin hatte es manchmal viele Stunden gedauert,
bis Beamte dort eintrafen, und dann waren vielfach schon alle Spuren verwischt
oder beseitigt. Durch Gennats Bemühungen wurde aus der Truppe die
organisatorisch fest strukturierte „Zentrale Mordinspektion“ gegründet, die am
1. Januar 1926 ihre Arbeit unter seiner Leitung aufnahm. Wenn Not am Mann war,
wurde Ernst Gennat zu besonders spektakulären Morduntersuchungen auch außerhalb
von Berlin geschickt. So vernahm er in Hannover den „Lustmörder“ Fritz
Haarmann, der 1924 wegen der Tötung von 24 Jungen und jungen Männern im
Alter von zehn bis 22 Jahren vom Schwurgericht Hannover am 19. Dezember 1924
zum Tode verurteilt und später hingerichtet wurde.
Die von Ernst Gennat geleitete Mordkommission
bediente sich ungewöhnlicher Methoden bei der Verbrechensbekämpfung und
-aufklärung. Sie hatte überall ihre Spitzel und Zuträger postiert und galt den
Verfolgungsbehörden anderer Länder als Vorbild. Auf den Kriminalrat geht unter
anderem ein „Mordwagen“ genanntes Labor auf vier Rädern zurück, mit dessen
Hilfe Tatorte genauer und effektiver als je zuvor untersucht werden konnten.
Gennat setzte die exakte Spurensicherung am Tatort durch, denn vor
seiner Amtszeit war es nicht ungewöhnlich, dass
zuerst eintreffende Polizisten erst einmal am Tatort „Ordnung“ schafften
oder Leichen „hübsch und pietätvoll“ aufbahrten. Um solch laxen Umgang zu
verhindern, legte der Kripochef Richtlinien für das Vorgehen am Tatort fest und
setzte als unverbrüchliches Prinzip durch, dass vor dem Eintreffen der
Ermittler nichts angefasst oder verändert werden darf.
Zeitungen in Ermittlungen einbezogen
Neben den Fortschritten in der
Ermittlungstechnik sowie ungewöhnlich hohe Aufklärungsraten bei Mordfällen
waren es nicht zuletzt Gennats Hartnäckigkeit und Ausdauer, ein phänomenales
Gedächtnis und großes psychologisches Einfühlungsvermögen, die ihn zum Schrecken
aller Verbrecher werden ließen. Er betrieb Profiling, lange bevor der Begriff
erfunden war, und vertrat den Grundsatz „Unsere Waffen sind Gehirn und Nerven“.
Die übliche Gewaltanwendung bei polizeilichen Vernehmungen und Befragungen
lehnte er ab. Er prägte auch den Begriff „Serienmörder“, von denen es damals mehr als genug gab. Nicht
zuletzt war er sich der Wirkung von Kapitalverbrechen auf die Öffentlichkeit
bewusst, weshalb er auch die Zeitungen aller Art für seine Ermittlungen nutzte
(siehe auch Eintrag auf dieser Internetseite vom 15. August 2025).
Ernst Gennat, der schon zur Kaiserzeit eine
Unzahl von Tötungs- und anderen Verbrechen aufgeklärt hatte, avancierte in der
frühen Weimarer Zeit zu einem Medienstar. Wenn berühmte Personen wie Charly
Chaplin und Edgar Wallace ihn
besuchten, war das für die immer nach neuen Sensationen suchende Presse eine
ausführliche Berichterstattung wert. Mit Hilfe der Medien konnte manches
Verbrechen aufgeklärt und manche Täter überführt werden. Die Zahl der von
Gennat aufgeklärten Tötungsverbrechen geht in die Hunderte. Als der „Buddha vom
Alexanderplatz“ am 21. August 1939 starb, wenige Tage vor Beginn des Zweiten
Weltkriegs, folgten 2.000 Menschen seinem Sarg
Obwohl sich die Ermittlungsverfahren seither deutlich verbessert haben
und in jedem Krimi irgendwie thematisiert werden, ist es Gennat zu verdanken,
als erster neue kriminalistische Methoden entwickelt und verfeinert zu haben.
18. August 2025