Sicher verwahrt im Landesarchiv
Berlin legte nach verheerendem Brand von 1380 ein Urkundenbuch an

Der Brand der Königlichen Oper Unter den Linden in Berlin 1843 war einer der Gründe, warum die preußische Haupt- und Residenzstadt zu ihrem Schutz eine schlagkräftige Feuerwehr und ein effektives Warnsystem ins Leben rief.

Das Stadtbuch kam nach langer Irrfahrt in Berliner Landesarchiv. Farbige Miniaturen der Maria als Himmelskönigin mit dem Jesuskind im Arm sowie Christus mit den Symbolen der vier Evangelisten schmücken die Dokumentensammlung.

Als man in Berlin-Cölln noch mit Adlern und Bären siegelte - hier eine Nachbildung im Nikolaiviertel, schrieb man alles von Belang auf Pergament und Papier. Um dem Verlust der Urkunden vorzubeugen, wurde das Stadtbuch angelegt. Das Grab des Stadtarchivars Ernst Fidicin befindet sich auf dem Alten Luisenstädtischen Friedhof am Berliner Südstern.

Der Verein für die Geschichte Berlins e.V. ehrt Persönlichkeiten, die sich um die Erforschung der Berliner Vergangenheit besonders verdient gemacht haben, mit der Fidicin-Medaille. Auf ihr liest Berolina, die Symbolfigur der Stadt, im Buch der Geschichte.

Münzedikte wie dieser Druck aus dem Jahr 1737 im Besitz der Stiftung Stadtmuseum Berlin und als Depot im Landesarchiv am Eichborndamm im Bezirk Reinickendorf untergebracht sind einzigartige Geschichts- und Sprachquellen. Sie zu lesen und zu verstehen, bedarf einiger Übung und braucht viel Zeit.
Fotos/Repros: Caspar
Verheerende Brände waren im alten Berlin, und nicht nur dort, eine ständige Gefahr. Kerzen und Fackeln waren die einzigen Beleuchtungskörper. Da kam es immer wieder vor, dass ein Haus in Brand geriet und dieser sehr schnell eine Straße oder ein Stadtquartier erfasste. Nicht nur unvorsichtiger Umgang mit offenem Feuer etwa auch in Wohnräumen und Küchen, auch Blitzeinschläge und Brandstiftung führten häufig zu verheerendem Feuer.Überall aufgestellte Wachen schlugen in solchen Fällen Alarm, und Kirchenglocken riefen die Menschen zu den sich schnell entwickelnden Bränden, die sich über Strohdächer und von einem Holzhaus zum anderen verbreiteten. Man konnte das Feuer nur unzureichend mit Wassereimern löschen, die in langen Ketten von der Spree oder Tümpeln zum Brandherd gereicht wurden. Manchmal wurden auch Pumpen und Schläuche eingesetzt, die aber geringe Reichweite hatten. Entsetzt mussten die Menschen zusehen, wie sich ihr Hab und Gut in Nichts auflöste und wie Angehörige und Freunde starben. Erst im 19. Jahrhundert rafften sich Berlin und andere Städte auf, militärisch organisierte Berufsfeuerwehren einzurichten (siehe Eintrag auf dieser Internetseite vom 10. Dezember 2024).
Brandstifter grausam bestraft
Im Mittelalter und lange danach leisteten Häuser wegen ihrer leichten Bauweise aus Holz und Stroh dem Feuer Vorschub. Wenn an einer Stelle ein Brand ausbrach, konnte er sehr schnell auf andere Bauten übergreifen, sofern er nicht sofort mit Wassereimern und Ledertüchern bekämpft wurde. Wenn man Brandursachen nicht feststellen konnte, hat man welche erfunden und Mitbürger und vorzugsweise Juden oft zu Unrecht als Brandstifter beschuldigt und auf grausame Weise vom Leben zum Tod befördert, wie das Beispiel der Grete Milde lehrt, die man für den Stadtbrand von Tangermünde im Jahr 1617 verantwortlich gemacht hat. Erst in unseren Tagen erwies sich, dass die Anschuldigungen aus der Luft gegriffen waren.
Da bei den Katastrophen immer wieder Dokumente vernichtet wurden, hat man auf ihren Schutz besonderes Augenmerk gelegt. Als am 10./11. August 1380 ein Stadtbrand auch große Teile des Stadtarchivs vernichtete, beschloss der Rat, die wichtigsten Unterlagen in einem speziellen Buch zu dokumentieren, das besonders gut geschützt werden soll. Der Brand war vermutlich von dem Ritter Erich von Falke gelegt worden, der später ermordet wurde. Zur allgemeinen Abschreckung hat man seinen Kopf auf dem Richtplatz am Oderberger Tor am Rand der Stadt aufgespießt.
Schulden, Erbschaften, Todesurteile
Urkunden spielten im mittelalterlichen Rechtswesen eine große Rolle, weshalb man sie mitunter auch zum eigenen Vorteil fälschte. Um der Gefahr aus dem Weg zu gehen, dass die oft aufwändig mit Siegeln beglaubigten Schriftstücke durch Feuer, Wasser, Diebstahl und auf andere Weise verloren gehen und damit auch Dokumente über Schulden, Erbschaften, Grundstücksbesitz, Strafen und andere wichtige Dinge vor Gericht und im Amt nicht mehr vorgelegt werden können, hat man Kopien angefertigt. Solche Abschriften von Berliner Urkunden und Akten wurden um 1390 vermutlich vom Stadtschreiber Heinrich Schowenfliet angelegt und bis 1489 fortgeführt.
Diese zwischen dicken Buchdeckeln versammelten Abschriften sind eine herausragende Quelle für die Erforschung des Rechts und des Zusammenlebens in der mittelalterlichen Stadt. Wie die Urkundenlage im Mittelalter wirklich ausgesehen hat, lässt sich nicht genau sagen, denn nicht nur beim Stadtbrand von 1380 wurden wichtige Schriftstücke vernichtet, sondern auch bei späteren Katastrophen dieser Art. Außerdem wurde das Archiv, wenn man es denn als solches bezeichnen kann, bestohlen und erlitt Verluste durch unzureichende Aufbewahrung der Dokumente in engen, muffigen Räumen. Bedeutende Verluste erlitt das Archiv in Folge des Zweiten Weltkriegs.
Das Stadtbuch enthält eingangs eine Eidesformeln, die Ratsmannen, Schöffen, Schulzen, Gildemeister, Stadtdiener und Büttel ablegen mussten. Es folgen Informationen über regelmäßige Einkünfte der Kommune sowie über weitere Einnahmen aus Strafen und anderen Quellen. Vermerkt sind ferner Einkünfte städtischer Beamter sowie Bestimmungen über die Verwaltung der Schwesterstädte Berlin und Cölln. In weiteren Teilen sind die ihnen übertragenen Privilegien und Schuldforderungen sowie Rechtsfragen gegenüber Frauen und Juden festgehalten. Es folgen Angaben über Renten- und Schuldverschreibungen des Rates zu Berlin, ein Verzeichnis der Verpfändungen von Grundstücken und ein Register von Personen, die das Bürgerrecht erhielten.
Die frühesten in das Stadtbuch aufgenommene Dokumente stammen aus dem Jahre 1272, die letzten Eintragungen enden 1498. Im vierten Teil, genannt „Buyk der Overtredungen“ (Buch der Übertretungen), werden Gerichtsurteile und harte, zur Abschreckung bestimmte Todesstrafen aufgelistet. Aus der Aufstellung geht hervor, dass das Stadtgericht innerhalb von fünfzig Jahren 121 Menschen zum Tode verurteilt hat. Die Hinrichtungen erfolgten in sechs Kategorien, die vom Flechten auf das Rad über Enthauptung und Verbrennung bis zum Vergraben bei lebendigem Leib reichten. Die meisten Todesstrafen wurden für Straßenraub und Diebstahl ausgesprochen, doch hat man auch Kuppelei, Ehebruch, Falschmünzerei, Hehlerei und Schlägerei mit blutigem Ausgang mit dem Tod bestraft.
Ernst Fidicin als Stadtarchivar
Bis 1728 befand sich das Berlinische Stadtbuch im Besitz des Magistrats. Das Interesse an ihm war mit der Zeit verloren gegangen, denn es gab andere Möglichkeiten, die Rechte und Finanzen der seit 1701 königlichen Haupt- und Residenzstadt zu fixieren und sicher zu hinterlegen. Dass das Buch irgendwann nach einer Ausleihe nicht zurückgegeben wurde, fiel das nicht sonderlich auf. Dass es irgendwann nach einer Ausleihe nicht mehr an das Stadtarchiv zurück kehrte, fiel damals keinem auf. Der preußischen Justizministers Karl Albert von Kamptz ließ im frühen 19. Jahrhundert, als man sich auch für die Geschichte „grauer Vorzeiten“ zu interessieren begann, nach dem verschollenen Juwel forschen, und so wurde der Journalist, Schriftsteller und Bibliothekar Samuel Heinrich Spiker 1834 in der Bremer Stadtbibliothek fündig, die das Buch 1812 für schäbige zwei Taler und 42 Groschen ersteigert hatte. 1836 machte der Bremer Senat die kostbare Handschrift dem Berliner Magistrat zum Geschenk.
Die Ernennung von Ernst Fidicin zum ersten hauptamtlichen Archivar im Jahre 1848 bedeutete eine Wende in der Geschichte der Berliner Schriften- und Urkundensammlung. Sie und die dazu passende Bibliothek waren bis 1860 im Alten Rathaus untergebracht. Als der Verein für die Geschichte Berlins im Jahr 1865 gegründet wurde, nahm Fidicin als maßgebliches Gründungs- und Vorstandsmitglied die Aufgabe eines Vereinsbibliothekars wahr und betreute vor allem die vom Verein für die Geschichte Berlins herausgegebenen Veröffentlichungen der mittelalterlichen Urkunden der Stadt. Als das Rote Rathaus gebaut und 1869 eröffnet war, bekam das Archiv bessere Räume. Der erste Band der von Fidicin seit 1837 herausgegebenen „Historisch-diplomatischen Beiträge zur Geschichte der Stadt Berlin“ enthält eine Abschrift des Stadtbuchs sowie Hinweise zu seiner Geschichte. Was noch fehlte, war eine vollständige Übersetzung des Textes ins Hochdeutsche. Diese liegt seit 1954 als Privatsonderdruck des Kommunalpolitiker Martin Ohm vor.
Teil des Welterbes der UNESCO
Die rasante Entwicklung der Reichshauptstadt und die Gründung der Einheitsgemeinde Groß-Berlin 1920 hatten auch Folgen für das Stadtarchiv, das geradezu aus den Nähten platzte.1883 gab es als erste offizielle Publikation das älteste Berliner Stadtbuch heraus. Nach der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Teilung der Stadt wurden 1991 die in beiden Stadthälften befindlichen, inzwischen stark angewachsenen Bestände unter dem Dach des Landesarchivs zusammengeführt. Das Stadtarchiv mit seinen wertvollen historischen Beständen und einer bedeutsamen stadtgeschichtlichen Bibliothek ist seither eine Außenstelle des Berliner Landesarchivs.
Den Zweiten Weltkrieg hatte das Stadtbuch im nordböhmischen Wallenstein-Schloss Friedland überstanden. 1955 wurde es dem Ostberliner Magistrat von der Tschechoslowakischen Republik zurückgegeben. Nach der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Teilung der Stadt wurden 1991 die in beiden Stadthälften befindlichen, inzwischen stark angewachsenen Bestände unter dem Dach des Landesarchivs zusammen geführt. Das Stadtarchiv ist seither eine Außenstelle des Berliner Landesarchivs.
Das Landesarchiv Berlin ist eine nachgeordnete Einrichtung der Kulturverwaltung. Es erfasst und bewahrt hauptsächlich das in den Berliner Behörden in allen Epochen entstandene multimediale Archivgut, sowie wichtige Quellen zur Stadtgeschichte und macht sie zugänglich. Es vermittelt durch die Herausgabe von Publikationen sowie mit Ausstellungen und Veranstaltungen Kenntnisse über die Geschichte der Stadt und hilft, ihr Auf und Ab zu verstehen. Darüber hinaus wird hier auch die Stadtchronik geführt. Das Landesarchiv hat in letzter Zeit erheblich in die Modernisierung seiner Arbeitsabläufe und Dienstleistungen investiert und die technischen Voraussetzungen für ein digitales Archiv aufgebaut. 2013 wurden Filmdokumente des Landesarchiv Berlin in das Register des Weltdokumentenerbes ‚Memory of the World’ der UNESCO aufgenommen.c
Interesse verdient der Bereich Sondersammlungen, in dem Berliner Zeitungen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart als Papierausgabe beziehungsweise Mikrofilm vereint sind. Gesondert aufgestellt ist eine über 16.000 Titel umfassende Sammlung von Belegen zum Thema „Theaterzensur“ von 1850 bis 1918. Die handschriftlichen, maschinenschriftlichen und gedruckten Textbücher klassischer Werke wie auch die der damaligen Gegenwartsstücke, Theater- und Operntexte enthalten Streichungen sowie Genehmigungs- bzw. Verbotsvermerke der Berliner Polizei, die Aufführungen genehmigen oder verbieten konnte. Überdies besitzt das Landesarchiv enthält fast 5000 Karten zur Entwicklung der Stadt und eine große Menge an Fotos, Grafiken und anderen Materialien und eine umfangreiche Fachbibliothek.
14. Januar 2025