„Maßnahme zum Schutz der Staatsgrenze“
An der Bernauer Straße wurde vor 50 Jahren die Versöhnungskirche gesprengt, am historischem Ort steht die Versöhnungskapelle.



Es dauerte Anfang 1985 einige Tage, bis Sprengkommandos der DDR-Armee die aus der Kaiserzeit stammende Versöhnungskirche im Todesstreifen an der Bernauer Straße niedergelegt hatten.



Zermahlene Ziegel dienten als Baustoff für die am alten Standort erbaute Versöhnungskapelle.



Aus den Trümmern der Versöhnungskirche konnten in aller Heimlichkeit Schmucksteine und Skulpturen geborgen werden.



Seit dem 13. August 2005 findet in der Kapelle der Versöhnung – hier mit dem beim Abriss geborgenen Turmkreuz - täglich von Dienstag bis Freitag zur Mittagszeit eine Andacht statt, in der auch die Biografie eines an der Berliner Mauer gestorbenen Menschen verlesen wird.



Grundmauern von abgerissenen Häusern entlang der Bernauer Straße und Fotos vom Friedhof im Todesstreifen erinnern, was an der Trennungslinie zwischen Ost un West geschehen ist.



Die Bilderwand aus rostbraunem und wetterfestem Cortenstahl auf der Gedenkstätte an der Bernauer Straße gibt den Opfern der von 1961 bis 1989 bestehenden Berliner Mauer Gesicht und Stimme.



Von der Terrasse des damals auf West-Berliner Seite errichteten „Berlin Wall Memorials“ kann man hinüber auf die Reste der Grenzanlagen schauen. Auf dem gesamten Gelände wird mit historischen Fotos und Schrifttafeln über die Geschehnisse im und um den Todesstreifen berichtet.

Fotos: Caspar

Nach der Öffnung der Mauer am 9. November 1989
war der Wunsch verständlich, so schnell wie möglich dieses am 13. August 1961 von der DDR-Führung in Übereinstimmung, wenn nicht gar auf Befehl der Sowjetunion errichtete Schandmal abzureißen und unsichtbar zu machen. So genannte Mauerspechte machten sich über die Betonelemente her und hackten aus ihnen mit Hammer und Meißel Brocken heraus, und viele von ihnen gingen als Souvenirs um die Welt. Heute stehen nur noch wenige Wachtürme, Betonwände und Signalanlagen unter Denkmalschutz. In Büchern zu diesem Thema sind sie alle aufgelistet, und dazu ist auch zu lesen, wo es Fluchtversuche gab und wen die DDR-Grenzer erschossen oder verhaftet haben. Nach Angaben der Stiftung Berliner Mauer starben zwischen 1961 und 1989 mindestens 140 Menschen an der Berliner Mauer oder kamen im Zusammenhang mit dem DDR-Grenzregime ums Leben. Davon waren 101 Flüchtlinge, die beim Versuch, die Grenzanlagen zu überwinden, erschossen worden, sind verunglückt oder hatten sich das Leben genommen. 30 Menschen aus Ost und West ohne Fluchtabsicht wurden erschossen, dazu kamen ein sowjetischer Soldat und acht im Dienst von eigenen Kameraden getötete DDR-Grenzsoldaten. Darüber hinaus verstarben mindestens 251 Reisende während oder nach Kontrollen an Berliner Grenzübergängen. Nicht zu zählen sind die Menschen, die sich aus Kummer und Verzweiflung über die Auswirkungen des Mauerbaus das Leben nahmen. Die Biografien der Berliner Mauertoten wurden im Rahmen eines Forschungsprojekts der Stiftung Berliner Mauer sowie auf der Website „Chronik der Mauer“ veröffentlicht.

Gänge unter dem Todesstreifen
Die auf der östlichen Seite stehenden Häuser an der zwischen den Ortsteilen Gesundbrunnen (West) und Mitte (Ost) gelegenen Bernauer Straße wurden nach 1961 dem Erdboden gleich gemacht. Tausende Bewohner mussten unter dramatischen Umständen ihre Wohnungen verlassen. Manch einer wusste, dass unterirdische Gänge unter dem Todesstreifen und den Betonbarrieren in Richtung Westen führen. Und so haben sich zu allem entschlossene Ost-Berliner durch die Gänge gegraben und kamen, wenn sie Glück hatten, auf der anderen Seite an. Mindestens sieben Fluchttunnel gab es, doch nur drei erfüllten ihren Zweck. Andere Versuche scheiterten aufgrund der schwierigen Bau- und Bodenbedingungen, aber auch durch Sabotage und Verrat an das Ministerium für Staatssicherheit. Die Stasi installierte, um die Fluchten zu unterbinden, Abhöranlagen und baute selbst „Gegentunnel“ quer zu den vermuteten Röhren. Außerdem hatte sie überall ihre Augen und Ohren, und so konnten auch an der Bernauer Straße Fluchtversuche vereitelt werden. Wo es welche gab, kann man entlang der Bernauer Straße durch zahlreiche in den Boden versenkte Inschriftenplatten und gemauerte Eingänge sehen. Die vom 22. bis 28. Januar 1985, vor 50 Jahren, gesprengten Versöhnungskirche musste wie die Häuser auf den östlichen Seite der Bernauer Straße weichen, um den DDR-Grenzern „Schussfreiheit“ zu gewähren. Die nach Plänen von Gotthilf Ludwig Möckel erbaute und am 28. August 1894 im Beisein der Kaiserin Auguste Viktoria, der Gemahlin von Wilhelm II., eingeweihte Versöhnungskirche erhielt in der Feierstunde von der Monarchin eine Altarbibel, in die sie den Spruch „Gott war in Christus, als er durch ihn die Menschen mit sich versöhnte. Er rechnete ihnen ihre Verfehlungen nicht an und übergab uns die Botschaft der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter für Christus, und es ist Gott, der durch uns mahnt“ schrieb (2. Korinther 5, 49).

Friedhofsbesuch nur mit Passierschein
Nach dem Mauerbau war das Gotteshaus für die Westteil lebenden Gemeindemitglieder nicht mehr zugänglich. Der benachbarte Evangelische St. Elisabeth-Friedhof I an der Ackerstraße37 wurde der Grenzbefestigung geopfert. Die sterblichen Überreste wurden umgebettet, die Gräber eingeebnet und der restliche Friedhof von einer Hinterlandmauer abgeschlossen. Ost-Berliner benötigten zum Besuch des Friedhofs einen Passierschein und wurden von den Grenzern misstrauisch beobachtet. Nach der Wiedervereinigung 1990 erhielt die Gemeinde das Kirchengrundstück mit der Auflage einer sakralen Nutzung zurück, die dann mit dem Bau der Versöhnungskapelle ermöglicht wurde. Ein Stein auf dem Gelände des Sophienfriedhofs erweitert den Personenkreis, an den hier gedacht wird. „Gedenkstätte für die Opfer des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Teilung. Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch mehr Geist geschehen, spricht der HERR Zebaoth“ lautet die Widmung, die darauf aufmerksam macht, dass auf dem Friedhof zahlreiche Kriegstote, darunter viele Bombenopfer, bestattet sind.
Die nach Plänen der Architekten Rudolf Reitermann und Peter Sassenroth auf ovalem Grundriss errichtete Kapelle mit flacher Decke steht genau an der Stelle, wo die Versöhnungskirche gesprengt wurde. Hierher kehrte aus der Obhut des Landesdenkmalamtes eine steinerne Altarplatte aus rotem Sandstein zurück, die vier Jahre vor dem Fall der Mauer gerettet worden war. Bei der von der SED-Führung beschönigend als „Maßnahme für die Erhöhung von Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit an der Staatsgrenze zu Berlin-West“ umschrieben Sprengung waren auch andere Spolien wie kunstvolle Säulenkapitelle, die Figur eines Gotteslamms, eine Fensterrosette sowie Glocken sicher gestellt worden. Letztere erklingen wieder auf dem Platz vor der am 9. November 2000 eingeweihten Versöhnungskapelle, nur wenige Schritte von der am 13. August 1998 eröffneten Mauer-Gedenkstätte.

Der Mut besonderer Menschen
Die 60 Zentimeter starken Stampflehmwände der Versöhnungskapelle sind mit zermahlenen Ziegelsteinen der ehemaligen Versöhnungskirche versetzt. Damit sind sie zusammen mit den seinerzeit aus dem Schutt geretteten Überresten im Neubau wieder präsent. Beim Rundgang ist zu erfahren, dass Lehm über Jahrhunderte haltbar, überall verfügbar und wieder verwendbar ist. Er belastet die Umwelt nicht, spart Energie bei seiner Gewinnung und Verarbeitung, wird ohne bauchemische Zusätze verarbeitet, konserviert Holz und andere organische Stoffe, schafft ein gesundes Raumklima und bietet guten Temperatur- und Schallschutz. Zu dem Thema stellte die Technische Universität Berlin, Fachbereich Architektur, fest, die Nachfrage nach ökologisch verträglichen Baustoffen nehme zu. Baustoffe aus Lehm mit Zuschlägen würden den Anforderungen an die ökologische Verträglichkeit und an die Bauphysik in nahezu idealer Weise gerecht.
Bei der Übergabe der Altarplatte, die eine lange Odyssee durch die Depots des Landesdenkmalamtes hinter sich hatte, hob der damalige Staatssekretär in der auch für Denkmalschutz zuständigen Umweltverwaltung, Hans Stimmann, den „Mut besonnener Menschen“ hervor, die seinerzeit an der wohl bekanntesten Grenzstraße in Deutschland unter dramatischen Bedingungen jene Fragmente geborgen hatten. Der Bau der Kapelle sei ein hoffnungsvolles Zeichen des Neuanfangs, das die tragische Geschichte des Ortes lebendig erhält. Das neue Gotteshaus zeichne sich durch eine ungewöhnliche Bauweise aus. Lediglich das Fundament sei aus Beton, sonst aber sei eine lange vergessene, überaus ökologische Fertigungsweise wiederbelebt worden, die auch für Berlin beispielhaft sein könnte.

Nur wenige Todesschützen wurden verurteilt
Beim Gedenken an den 13. August 1961 sollte nicht vergessen werden, dass es lange vor dem Mauerbau auf östlicher Seite rigide Abriegelungs- und Repressionsmaßnahmen gab. Bis dahin konnte man einigermaßen gefahrlos über die Viersektorenstadt Berlin in den Westen gelangen. Unzählige Flüchtlinge aber wurden schon vorher abgefangen, ins Gefängnis gesteckt, nach ihrer Entlassung als asoziale Elemente verteufelt und in ihrer Entwicklung massiv gestört. Es dauerte Jahrzehnte, bis sie ein wenig Genugtuung in Gestalt von kleinen Renten und Entschädigungen erhielten. Diejenigen aber, die Unterdrückung und Verfolgung zu verantworten hatten, kamen in der Regel mit einem „blauen Auge“ davon und konnten sich eine neue Karriere aufbauen. Nur wenige Todesschützen wurden verurteilt, ihre Vorgesetzten und und Befehlsgeber sehen sich, von ihresgleichen beklatscht und bewundert, als Opfer der „BRD-Siegerjustiz“ und verfolgte Unschuld.

6. Februar 2025