„Soldatens, stecht de Degens in!“
Flugblätter aus dem Revolutionsjahr 1848 drücken sich drastisch auf Berlinisch aus und lassen kein gutes Haar an der Obrigkeit



Nach der Aufhebung der Zensur kurz vor der Revolution am 18. März 1848 in Berlin durch König Friedrich Wilhelm IV. schwoll die Zahl der Zeitungen und Zeitschriften sowie der Flugblätter gewaltig an. Der Vertrieb erfolgte in Buchhandlungen und Druckereien, aber auch im Straßenverkauf.



Die von den Fesseln der Zensur befreite Zunft der Schreiber und Drucker konnte 1848 nur wenige Monate sagen was ist. Erst verbeugte sich Friedrich Wilhelm IV.auf der Karikatur im „Deutschen Reichsbanner“ von 1849 vor den Toten der Berliner Märzrevolution.



Als der König mit Hilfe seiner Truppen wieder fest im Sattel saß, bestimmte er, wie es in Preußen weiter geht und dass das Volk Ordre parieren muss. Der Neuruppiner Bilderbogen von 1850 zeigt ihn und seine Kamarilla hoch zu Ross Unter den Linden in Berlin.



Der Friedhof der Märzgefallenen mit vielen Grabsteinen von 1848 und 1918/19 erinnert an frühe Bestrebungen, in Preußen und Deutschland die Feudalherrschaft abzuschütteln und demokratische Verhältnisse herzustellen, die diesen Namen wirklich verdienen.



Ob die vielen Spott- und Streitschriften aus den Revolutionsjahren 1848 und 1849 dem preußischen König je zu Gesicht kamen, ist nicht bekannt.



Ein Bürger und ein Kommunist unterhalten sich über die Gleichheit und das Teil von Gütern. „Ja du redest immer von Gleichheit und Güterteilen, allein ich setze den Fall, wir haben geteilt, und ich, ich spare meinen Teil, doch du verschwendest den deinigen, was dann? Ganz einfach, dann teilen wir wieder.“ Karikatur aus den Fliegende Blättern von 1846. Dem in Ketten gelegten Bär von Berlin werden eiserne Pillen eingetrichtert, und hinten heraus kommen gezähmte Bürger.



Den verdammten Fürstenplunder auf den Misthaufen der Geschichte zu kehren, gelang den schlecht bewaffneten und in sich auch nicht einigen Barrikadenkämpfern weder in Wien und Berlin noch Dresden oder Stuttgart.

Foto/Repros: Caspar

Nach der Aufhebung der Zensur
im März 1848 wurden zahlreiche Zeitungen und Flugblätter mit regiemekritischer Tendenz gedruckt. Abnehmer waren mittlere Bürgerschichten, während sich Arbeiter, Handwerker Bauern die 1 bis 3 Silbergroschen teuren Blätter nicht leisten konnten. Durch den Einsatz von Schnellpressen konnten diese tagesaktuellen, manchmal mit drastischen Karikaturen versehenen Flugschriften sofort unter das Volk gebracht werden. Autoren und Drucker gaben nicht selten ihre Adressen an. Die aus dem Revolutionsjahr 1848 stammenden Drucke in „echt Berlinisch“ stellen für Historiker und Sprachforscher eine bedeutende Fundgrube dar. In dem Buch „Berlinisch – Geschichtliche Einführung in die Sprache einer Stadt mit einem Wörterverzeichnis“ (Akademie-Verlag Berlin 1986) sind Ausführungen über die Stadt- und Landesgeschichte zu finden. Weiter geht es mit der Bevölkerungsentwicklung. sprachlichen Entwicklung und Einflüssen sowie umfangreichen Darlegungen über die berlinische Umgangssprache und Geschichte Berlins im Spiegel seiner Name und Straßennamen. Abgedruckt sind, mit Erläuterungen versehen, auch Flugblätter von 1848, in denen „typische“ Berlinerinnen und Berliner über Ereignisse und Gestalten ihrer Gegenwart klagen.

Druck aus dem Kessel nehmen
Meist erschienen diese Blätter unter Pseudonymen, weil sich Autoren und Drucker mit der Regierung nicht anlegen wollten. Volkstümliche Typen wie der Eckensteher Nante oder ein gewisser Piefke gaben ihren sprichwörtlichen Senf zu den dramatischen Tagesereignissen ab. Die Blätter sind einzigartige Quellen für das Verständnis des Jahres 1848. Sie greifen nicht grundsätzlich das längst überholte Königtum und die Feudalgesellschaft an, sondern sind sichtlich bemüht, Druck aus dem Kessel zu nehmen und an die Vernunft der Akteure beiderseits der Barrikaden zu appellieren. Bis heute bleibt Adolf Glasbrenner in Erinnerung. Ihm verdanken wir tiefe Einblicke in das Seelenleben der „kleinen Berliner“. Sie waren in jeder Hinsicht benachteiligt, mussten nach der Pfeife der preußischen Obrigkeit tanzen, bekamen für harte Arbeit wenig Lohn, hausten in engen Wohnungen unter menschenunwürdigen Bedingungen und suchten Trost im Alkohol. Eines dieser Flugblätter mit der Überschrift „Soldatens, stecht de Deejens in“ wurde von einem „bürgerlichen Schuhmacher für Zivil und Militär, außerdem Demokrat und Feind von absoluten Lebenswandel“ namens Matthias Strobel verfasst. Der Name ist ein Pseudonym, die wahre Identität kennt man nicht. Geschmückt mit einem Holzschnitt, der einen Soldaten und einen Zivilisten im Gespräch zeigt, unternimmt das Flugblatt den Versuch, die Bürgerschaft und die vor der Stadt zusammengezogenen Truppen König Friedrich Wilhelms IV. im September 1848 zu versöhnen. Das aber gelang nicht, denn „die da oben“ waren trotz scheinheiliger Versprechen nicht gewillt, sich auf die Forderungen von „denen da unten“ einzulassen, und sie waren auch nicht bereit, ihre elende Lebensbedingungen zu verbessern und sie an der Gestaltung der Politik zu beteiligen.

Für wen soll das sein?
In dem erwähnten Flugblatt wird die Berliner Umgangssprache pur wiedergegeben. „Det wollt ihr doch gewiss ooch nich, un det wird doch des Ende von'n Liede sein, wenn wir uns nich verdragen dun (...) was habt Ihr dadervon, wenn Ihr über so'ne Barrikade stolpert, un det Uffstehen verjessen duht? Krüppel uf zeitlebens, un denn vor diese janze Zeit in'n Thierjarden mit'n Leierkasten an'n Halse – des nennt man denn ,Invalide sein.'“ Der Schuhmacher fragt, für wen das alle sein soll - für den König und die Soldaten. Warum sich für ihn aufopfern? „Det sage ich Euch, des nehmt Euch zu Herzen. Seid Ihr denn mehr wie wir? Ihr injebildeten Dejenköppe, seid Ihr nich eben so jut Bürjersöhne, wie wir? Laßt den Keenig doch sein adeliges Uffjebot vor ihn ufbieten, diese wattierten Jroßmäuler sind ja sonst immer die Ersten bei Allens, un Ordens wollen se ooch jern Alle drangen duhn, nanu, hier is nu de Jelegenheit, zeigt mal, des ihr Vollblut seid!“ Der unbekannte Verfasser ruft die „Soldatens“ auf, nicht mehr Kanonenfutter und Steckenpferd für einen adligen Leutnant zu sein, und nicht mehr mit Du, sondern mit Sie angesprochen zu werden.
Das Flugblatt endet mit den Worten: „Nun müßt Ihr aber ooch die Vernunft nicht in'n Tornüster rin packen, un nich uf uns losgehen, wie uf alt Eisen, ne, nu müßt Ihr ooch denken: ,Wie du mich ,so ich Dich' un müßt rinschlagen in die Versöhnung, die wir Euch anbieten duhn. Un deshalb rufe ich Euch aus den innersten Jrunde meines Busen zu: Soldatens, stecht die Degens! Im Namen der Freiheit, der Jleichheit und der Brüderlichkeit. Amen!“

Verbote, Strafen, Gegenpropaganda
Selbstverständlich wurden all diese Aufrufe, Flugblätter und Streitschriften von den Behörden genau gelesen. Waren sie zu radikal formuliert, hagelte es Verbote und Strafen, und es wurde eine massive Gegenpropaganda gestartet, deren Sprachrohr die „Neue Preußische Zeitung“ wurde. Wegen des Eisernen Kreuzes im Zeitungskopf wurde das erzkonservative Blatt auch als „Kreuzzeitung“ bekannt. Alles Mahnen und Warnen nutzte wenig. Am Ende musste das Volk kuschen, und seine Anführer auf den Barrikaden und in den Debattierklubs wurden unbarmherzig bestraft. Friedrich Wilhelm IV. ließ für die toten Helden der Konterrevolution an der Invalidenstraße in Berlin eine riesige Triumphsäule errichten, während den toten Barrikadenkämpfern ein bescheidener Friedhof vor der Stadt an der heutigen Landsberger Allee zugewiesen wurde.
Auf Flugblättern und anderen Pamphleten der damaligen Zeit wurde die Kardinalfrage nicht gestellt: „König oder Republik, Adelsherrschaft oder Bürgertum und wahre Demokratie.“ Radikale Forderungen, wie sie etwa im Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels erhoben wurden, sucht man in den Flugblättern vergeblich. Es sieht aus, als wollten sie sich zum Vorreiter von Harmonie und Vernunft aufschwingen und die angeblich gottgewollte Weltordnung irgendwie am Leben halten. Das Thema kam erst nach der Reichseinigung von 1871 als Option auf den Tisch, doch dauerte es dann noch bis zur Abschaffung der Monarchie 47 Jahre, bis das Ziel erreicht war. Dem Ende des Ersten Weltkrieges in der Novemberrevolution 1918 und der Ausrufung der Deutschen Republik folgten große gesellschaftliche Verwerfungen und Krisen mit viel Blutvergießen und menschlichem Elend, der Niedergang der Weimarer Republik und 1933 die Errichtung der Nazidiktatur mit ihren schrecklichen, bis heute spürbaren Folgen.

Madame Püseke und die Nationalversammlung
Die approbierte Hebamme Madame Püseke macht sich Gedanken über die Arbeit der Nationalversammlung und die schwierige Geburt der preußischen Verfassung. Gemeint ist nicht das 1848/9 in Frankfurt am Main tagende gesamtdeutsche Parlament, sondern die zum Mauerblümchendasein verurteilte Preußische Nationalversammlung. Sie tagte seit Mai 1848 in der Berliner Singakademie und wurde im Zusammenhang mit dem Vormarsch der Konterrevolution Ende November 1848 nach Brandenburg an der Havel abgeschoben und bald darauf aufgelöst. Die unter einem Pseudonym schreibende Madame Püseke bemängelt, dass das Parlament nur zweimal in der Woche zusammen kommt. Das sei zu wenig, denn es stehen wichtige Dinge an. Wenn das so weitergeht, wird aus der Verfassung nichts, schreibt sie, hier in die heutige Sprache übertagen. „Wat fehlt denn also noch? Jar nischt. De Reljon is aussen (aus dem) Staate beseitigt un der Adel wird abjeschafft, des steht feste Dajejen kann der Adel nischt haben, denn et schadt ihm nischt, er bleibt doch wat er is un Kammerherr wird dardum doch keen Birjerlicher nich werren!“ Madam Püseke reicht ihren Verfassungsentwurf ein und schreibt: „..un nu duhn Se mir den Jefallen und kommen sie widder öfter zusammen. Zwee die Woche ist jar nischt“.
Hintergrund der Querelen rund um die preußische Nationalversammlung war ihre Entmachtung und Verbannung durch den König, weil angeblich ihre freie Entschlussfassung in Berlin wegen des Drucks der Volksmassen nicht gewährleistet sei. Das bestritt die Mehrheit der Abgeordneten, die dem König vorhielten, er habe nicht das Recht für diese Maßnahme. Eckensteher Nante zählt im Gespräch mit einem Freund Brennecke auf, was damals Satireblätter kosteten: Kladderadatsch 3 Groschen, Berliner Krakeeler einen Groschen, und dazu gibt es noch die Thronrede vom Prinzen von Preußen (später Wilhelm I.) aus dem vergangenen Jahr zu sechs Pfennige.
Nante bedauert gegenüber Brennecke, bei seinem Verdienst könne er nicht leben und Miete zahlen, und Schulden habe er auch. Der Freund hofft, dass die Nationalversammlung mit den Staatsschulden von 150 Millionen Talern gleich noch seine eigenen bezahlen wird. Bei dem Finanzausfall komme es auf ein paar Groschen mehr oder weniger nicht an. Nante will beim Landtag einen Antrag stellen, denn der Altar des Vaterlandes sei groß, und auf ihm könne eine ganze Menge geopfert werden. Viel wurde in den Revolutionsjahren geopfert - der Geist von 1848 aber war in der Welt und ließ sich nicht mehr aus den Köpfen zahlloser Menschen vertreiben, mochten Monarchenkult, Deutschtümelei und Nationalismus noch so üble Blüten treiben.

27.6.2025