„Der Schoß ist fruchtbar noch...“
Alt- und Neonazis versuchten, das Andenken an den Widerstand gegen Hitler in den Schmutz zu ziehen

Da Alt- und Neonazis nicht wagten, Hitler direkt zu verherrlichen, versuchten sie es bei seinem Stellvertreter Rudolf Heß, der 1941 nach England geflogen war, um den Kriegsgegner als Verbündeten des Deutschen Reichs zu werben. Otto Ernst Remer, hier vor Kriegsende in Generalsuniform, war nach 1945 Wortführer und Galionsfigur der Alt- und Neonazibewegung in der Bundesrepublik Deutschland und starb 1997 im spanischen Exil.

Die in den Parlamenten vertretenen Freien Demokraten forderten das Ende der Entnazifizierung und einen Schlussstrich unter der Vergangenheit. Die Karikatur zeigt, wie sich SS-Leute als Putzfrauen tarnen. Das DDR-Plakat ruft zum Kampf für den Frieden auf und bedient sich eines Gerippes in SS-Uniform, die Zerstörung über das Land zu bringen droht, wenn die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gegründet wird.

Bundeskanzler Konrad Adenauer holte Hans Globke (rechts) ins Bonner Kanzleramt, obwohl die braune Vergangenheit de Juristen als Kommentator der Nürnberger Rassengesetze und seine Vorreiterrolle bei der Kennung von Juden mit dem gelben Stern und spezifischen, sie diskriminierenden Vornamen bekannt war.

Der „Entnazifikator“ läuft und läuft. Am laufenden Band werden Wölfe im Schafspelz reingewaschen. Der Spruch „Über einen reuigen Sünder ist mehr Freude als über zehn Gerechte“ geht auf Lukas 5, 32 zurück.

Aufkleber dieser Art für eine neue Diktatur und gegen den Hitlerfaschismus finden sich bei uns überall.

Öffentlichkeitswirksam wurden in der DDR Naziliteratur, aber auch politisch unliebsame Bücher sowie so genannte Schund- und Schmutzliteratur dem Feuer übergeben.

In der SED-Propaganda und in Publikationen der DDR wurde nur vom Nazismus beziehungsweise vom Faschismus oder Hitlerfaschismus, nie aber vom Nationalsozialismus gesprochen, weil in diesem Begriff das Wort Sozialismus steckt, den die DDR für sich reklamierte.
Fotos/Repros: Caspar
Der Historiker Norbert Frei wurde 2020 vom Bundespräsidialamt mit dem Forschungsprojekt „Das Bundespräsidialamt und der Nationalsozialismus“ beauftragt. Ziel ist es, den Umgang des 1949 geschaffenen Bundespräsidialamts und der Bundespräsidenten mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu untersuchen und zu erkunden, ob es im damals in Bonn angesiedelten Bundespräsidialamt personelle oder ideelle Kontinuitäten zur Zeit des Nationalsozialismus gab. Außerdem geklärt werden, wie damalige Bundespräsidenten in ihren Reden, bei Staatsbesuchen sowie bei Terminen im Inland und bei Ordensverleihungen mit der Zeit von 1933 bis 1945 und danach umgegangen sind. Das Buch erschien 2023 unter dem Titel „Im Namen der Deutschen. Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit 1949-1994 (Beck München 2023, ISBN 978-3-406-80848-7.) In anderen Untersuchungen haben sich weitere Historiker mit der Rolle von Ministerien und Ämtern sowie großen Konzernen in dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte befasst und kamen vielfach zu der Erkenntnis, dass eine kritische und selbstkritische Auseinandersetzung nicht oder nur unwillig stattfand, die „Schreibtischtäter“ kaum belangt und die Opfer des NS-Regimes unzureichend gewürdigt und nur wenig entschädigt wurden.
Prof. Dr., Norbert Frei ist zur Aufarbeitung dieses Themas bestens prädestiniert. In seinem Buch „Vergangenheitspolitik – Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit“ (Verlag C. H. Beck München 1996, 464 Seiten, ISBN 3-406-41310-2) hat der Historiker die Umtriebe von Alt- und Neonazis in der jungen Bundesrepublik Deutschland analysiert. Sie forderten Straffreiheit und einen „Schlussstrich“ unter die Vergangenheit, aber auch die Bestrafung von Antifaschisten und all jenen, die das gescheiterte Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 organisiert hatten und hinter seinen Zielen standen. Gefordert wurde die Revision des von den Siegermächten beschlossenen Potsdamer Abkommens und um ein „anderes“, autoritär regiertes Deutschland, ja sogar um die Wiederherstellung der 1918 abgeschafften Monarchie.
Hitlers willige Vollstrecker
Gezeigt wird, wie sehr die Justiz und der Beamtenapparat, aber auch Hochschulen und andere relevante Bereiche nach dem Zweiten Weltkrieg von „Hitlers willigen Vollstreckern“ durchsetzt waren, um den Titel eines kontrovers diskutierten Buches des US-amerikanischen Historikers Daniel Goldhagen von 1996 zu zitieren. Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte kein Problem mit der Beschäftigung ehemaliger Nazifunktionäre. Ihm wird der Satz „Sie können schmutziges Wasser nicht wegschütten, wenn Sie noch kein frisches haben“ mit Blick auf die Wiederverwendung ehemaliger Nazis in der Administration der jungen Bundesrepublik in den Mund gelegt. Gesagt oder nur erfunden – das Zitat zeigt, dass die Bonner Republik die Vergangenheitsbewältigung nicht ernsthaft vorangetrieben hat, was auch im Ausland zu heftiger Kritik führte und im Inland zum Teil gewaltsame Proteste provozierte.
Demokratische Parteien und die Parlamente, Justizbehörden, antifaschistische Vereine und andere Gruppen waren trotz intensiver Mühen nicht in der Lage, den braunen Sumpf auszutrocknen. Damals wie heute ausgesprochene Vereinsverbote wurden durch Neugründungen mit alten Zielen umgangen. Dass von diesen Kräften weiterhin Gefahren ausgehen hat Bertolt Brecht in seinem Theaterstück von 1941 „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ vorausgesehen. Die Hauptfigur trägt Züge von Hitler und spricht wie er, erinnert aber auch an den US-amerikanischen Gangsterboss Al Capone. „So was hätt einmal fast die Welt regiert! / Die Völker wurden seiner Herr, jedoch. / Dass keiner uns zu früh da triumphiert - / Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“ lautet Brechts Warnung.
Kriegsverbrecher nannten sich Kriegsverurteilte
Kriegsverbrecher nannten sich im deutschen Westen verharmlosend „Kriegsverurteilte“, denn sie fühlten sich als Opfer der Siegerjustiz und behaupteten, „nur“ Befehle ausgeführt zu haben. Was damals Recht war, könne heute kein Unrecht sein, war eine auch von Juristen mit brauner Vergangenheit vertretene Losung. Altnazis wurde sogar von manchen Kirchenvertretern großzügige Hilfe bis hin zur Unterstützung bei der Flucht ins Ausland zuteil. Auf der anderen Seite forderten Kritiker dieser Praktiken, die Kirche sollte sich um die Opfer kümmern und nicht um die Täter.
Krieger- und andere Vereine kümmerten sich um Täter und ihre Familien und unternahmen alles, um die Vorzüge des untergegangenen Deutschen Reichs zu preisen. Der millionenfachen Mord an den Juden und anderen „Fremdvölkischen“ wurde als Lüge abgetan. In der einschlägigen Literatur wurden Opferzahlen und Mordmethoden angezweifelt. Die Leugner stellten sogar Anne Franks Tagebuch und weitere Erinnerungs- und Augenzeugenberichte, ja sogar Bekenntnisse von Kriegsverbrechern von Gerichten infrage und behaupteten, diese seien erzwungen worden. Unangreifbare Dokumente zum Holocaust und weiteren Naziverbrechen wurden als Fälschungen diffamiert und dem Münchner Institut für Zeitgeschichte, das diese Unterlagen publizierte, seriöse Forschung abgesprochen.
Als die Nazi-Machenschaften überhand nahmen und die Bundesrepublik international in ein schlechtes Licht stellten, wurde der bundesdeutsche Volksverhetzungsparagraf verschärft. Dem Strafgesetzbuchs wurde dieser Satz eingefügt: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.“ Politiker und Juristen wissen, wie oft gegen dieses Gebot verstoßen wurde und wie selten die Volksverhetzer bestraft wurden.
Hitlers Retter als Mitläufer eingestuft
Einer der der Leugner der Naziverbrechen und insbesondere des Holocausts war Nazigeneral Otto Ernst Remer. Als Kommandeur des Berliner Wachregiments hatte er am 20. Juli 1944 für die Niederschlagung des Umsturzversuchs gesorgt und war von Hitler aus Dankbarkeit sofort vom Major zum Oberst und Anfang 1945 zum Generalmajor befördert worden. Nach 1945 in einem Entnazifizierungsverfahren lediglich als Mitläufer (Gruppe V) eingestuft, wurde Remer mehrfach wegen Leugnung des Holocausts und Verherrlichung des „Dritten Reichs“ verurteilt. Er gehörte 1950 zu den Gründern der Sozialistischen Reichspartei (SRP), einer Nachfolgeorganisation der NSDAP. Sie war vor allem in Norddeutschland aktiv und wurde 1952 verboten. Remer verunglimpfte die Attentäter des 20. Juli 1944 ähnlich wie die Nazipropaganda als vom Ausland gedungene, eidbrüchige Landesverräter und verglich das Ende des Nationalsozialismus mit dem Tod Jesu Christ. Die Beteiligten an dem gescheiterten Attentatsversuchs würden, sofern sie das „Dritte Reich“ überlebt haben, für ihren Verrat zur Rechenschaft gezogen, kündigte er an. „Diese“ Bundesrepublik habe nicht lange Bestand, eine nationalsozialistische Diktatur müsse her. Remer und seine Freunde erkannten die deutsche Niederlage und Kriegsschuld nicht an, und sie wollten sich mit den Verlusten von Territorien des Deutschen Reichs nicht abfinden. Neben und mit der SRP war der so genannte Naumann- oder Gauleiterkreis aktiv, in dem sich ehemalige Nazis um Werner Naumann, den letzten Staatssekretär unter Goebbels, versammelten.
Bei der Braunschweiger Staatsanwaltschaft verweigerte der zuständige Oberstaatsanwalt Erich Günther Topf, einst Mitglied der NSDAP und SA-Rottenführer, zunächst eine Anzeige gegen Remer wegen Volksverhetzung, weil sie angeblich keine Aussicht auf Erfolg habe. Doch der leitende Staatsanwalt Fritz Bauer ließ nicht locker und erreichte, dass die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 „gerichtsamtlich“ rehabilitiert wurden. Bauer klagte Remer wegen übler Nachrede in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener an. Das trug ihm hier und in den Auschwitzprozessen Respekt und Bewunderung, aber auch üble Beschimpfungen und Morddrohungen ein. Remer wurde zu einer von vielen als zu milde empfundenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, entzog sich ihr aber durch Flucht ins Ausland. Er machte sich bis zu seinem Tod 1997 im spanischen Exil einen Namen als ein von seinen Anhängern umjubelter Redner und Publizist. Es dauerte lange, bis Nina von Stauffenberg, die Witwe des Attentäters vom 20. Juli 1944, eine Offizierswitwenrente zugestanden wurde.
Täter berufen sich auf Befehlsnotsand
Über Westdeutschland ergoss sich eine Flut von Memoiren in Büchern, Tages- und Wochenzeitungen sowie Groschenheften, in denen ehemalige Generale und SS-Leute, aber auch Minister, Diplomaten und andere Staatsbeamte sowie Geistliche, Filmschaffende und solche aus der Kunst- und Kulturszene behaupteten, mit Terror, Kriegsverbrechen, Rassenhass und weiteren Naziverbrechen nichts oder nur am Rande zu tun gehabt zu haben. Es habe ein Befehlsnotstand geherrscht, und man sei einfach nur mitgelaufen, hörte und las man immer wieder. Als Beispiel für solche Apologie seien die Erinnerungen des bei Hitler und seinem Propagandaminister Goebbels hoch angesehenen Filmregisseurs Veit Harlan genannt, der mit dem im 18. Jahrhundert spielenden Streifen „Jud Süß“ von 1940 den Holocaust rechtfertigte und mit „Kolberg“ (1945) den Durchhaltewillen der Deutschen anzustacheln versuchte. Auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 lediglich wegen „Beihilfe zur Verfolgung“ angeklagt, wurde er 1949 freigesprochen.Ein Aufruf, seine Filme zu boykottieren, wurde von einem Gericht als sittenwidrig verworfen.
Diejenigen, die Juden, Sinti und Roma, Widerstandskämpfer, Erbkranke, Kriegsgefangene, Deserteure und überhaupt „Gemeinschaftsfremde“ in die Gaskammern und an die Erschießungsgräben schickten oder ihre Opfer erhängt und köpften, behaupteten, nur nach Recht und Gesetz gehandelt zu haben. In die gleiche Lüge flüchteten sich nach dem Ende der SED-Herrschaft auch Angeklagte in den Mauerschützenprozessen und weitere Täter. Viele Naziverbrecher und mit ihnen verbundene Kriegervereine forderten die Rehabilitation der Wehrmachtssoldaten und der SS, die angeblich nur ihre Pflicht taten und sich den Befehlen nicht entziehen konnten.
Prozess in der DDR gegen Globke
In der Sowjetischen Besatzungszone und ab 1949 der DDR gingen die Justizorgane weniger nachsichtig mit wirklichen oder vermeintlichen Nazis um. Wer verdächtigt wurde, an Kriegs- und anderen Verbrechen beteiligt gewesen zu sein, musste sich auf Todesstrafen und hohe Zuchthausstrafen einstellen, die im Minutentakt von sowjetischen Militärtribunalen ausgesprochen wurden. „Reinigt Häuser, Schulen und und Bibliotheken von Nazigift“ hieß es, und folgerichtig gingen von der KPD, ab 1946 SED entsandte Kolonnen vor. Sie schossen nicht selten übers Ziel hinaus, denn bei dieser Gelegenheit wurden auch politische Gegner des neuen Regimes kalt gestellt, wenn nicht gar in die Sowjetunion deportiert, wo viele starben. Denn oft wurde als „Nazi“ eingestuft und bestraft, wer nicht ins politisch-ideologische Konzept der SED-Genossen und ihrer Moskauer Vorgesetzten passte.
Die DDR, die sich als antifaschistisch-demokratischer Staat verstand, hat mit allen Kräften ausgeschlachtet, was Remer und Konsorten tagtäglich von sich gaben. Dass ehemalige Nazifunktionäre hohe Positionen in der Bundesregierung, den Länderverwaltungen und an anderen Orten innehatten, wurde im deutschen Osten in „Braunbüchern“ angeprangert und führte auch wie im Fall von Hans Globke, im Osten 1963 zu einem Prozess, in dem der Chef des einflussreichen Bundeskanzleramtes in Abwesenheit zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt wurde. Die umfangreiche Urteilsbegründung versuchte vergeblich, die „Wesensgleichheit des Bonner Regimes“ mit dem Hitlerregime nachzuweisen.
Der zweite deutsche Staat gab sich als Hort des Friedens und des Fortschritts aus, seine Führer sahen sich als Sieger der Geschichte und lehnten für ihr Land jede Verantwortung für die Verbrechen ab, die zwischen 1933 und 1945 in deutschem Namen stattgefunden haben. Sie behaupteten, dass Militarismus und Nazismus in der DDR für immer ausgerottet seien. An die Verfolgung und Ermordung der Juden und anderer nicht in die rassistische und völkische Weltanschauung der Nazis passenden Gruppen hat man sich nur zögerlich erinnert und statt dessen den Widerstandskampf vor allem der Kommunisten heroisiert. Erst in den Spätjahren der DDR wurde breiter auch über die Vernichtung von sechs Millionen Juden berichtet, aber da hatten sich die Bewohner des zweiten deutschen Staates schon entsprechende Informationen aus den Westmedien oder illegal eingeführter Geschichtsliteratur geholt.
Dass in der DDR wie zuvor schon im Staat des Adolf Hitler und Josef Goebbels politische Pluralität und Meinungsfreiheit unterdrückt wurden, durfte nur im Westen gesagt und geschrieben werden. Zwangsmaßnahmen gegen Bauern und Handwerker, gegen Intellektuelle und Christen wurden als „Antifaschismus der Tat“ ausgegeben. Die am 13. August 1961 errichtete Mauer zur „Frontstadt Westberlin“ und der verhassten Bundesrepublik Deutschland hieß bis zu ihrem Fall am 9. November offiziell „antifaschistischer Schutzwall“ und erhielt so seine vermeintliche historische Rechtfertigung.
19. Juni 2025