„Behütet die Republik“
Die Geschichte sähe anders aus, wenn Reichspräsident Friedrich Ebert vor hundert Jahren eine Blinddarmentzündung überlebt hätte

Das Badehosenbild aus dem Jahr 1919 trug nicht gerade zur Popularität von „Fritze Ebert“ bei.

Eberts Frau Louise hält auf dem Spottbild seine Kaffeekanne mit der roten Jakobinermütze warm.

Reichspräsident Ebert sendet wie Jupiter in der griechischen Mythologie Blitze gegen die Feinde der Republik aus.

Der greise Paul von Hindenburg wurde 1925 zum Reichspräsidenten gewählt, nutzte aber seine Machtfülle nicht, die Weimarer Republik vor ihren Feinden zu schützen, sondern machte gemeinsame Sache mit ihnen. Hier verneigt sich Hitler am 21. März 1933, dem „Tag von Potsdam“, vor Hindenburg, der ihn zum Reichskanzler ernannt hatte.

„Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten“ war eine von den Kommunisten ausgegebene Parole. Das Plakat zeigt, wie Ebert einem Arbeiter den Dolch in den Rücken rammt.

„Das Banner steht, wenn der Mann auch fällt“, lautet das Motto der Medaille von
Benno Elkan zum Tod von Friedrich Ebert am 28. Februar 1925.
Fotos/Repros: Caspar
Wer in der jungen Weimarer Republik Spitzenämter bekleidete, war abenteuerlichsten Verdächtigungen und ehrverletzenden Verleumdungen ausgesetzt. Immer wieder gab es Gerichtsverfahren wegen Beleidigung und übler Nachrede. Vor allem Reichspräsident Friedrich Ebert musste sich Verdächtigungen von Feinden der Republik erwehren. Man nannte den Sozialdemokraten einen eidbrüchigen Landesverräter und Arbeitermörder. Die Attacken zehrten an der Gesundheit des Sozialdemokraten, der am 29. Februar 1925, vor nunmehr einhundert Jahren, an den Folgen einer nicht behandelten Blinddarmentzündung starb. Die Folgen waren in jeder Hinsicht fatal.
Unübersehbar war die Menschenmenge, die Eberts Trauerzug am 4. März 1925 in Berlin folgte. Eine eine Million Teilnehmer sollen es gewesen sein. 25 Jahre später sagte Bundespräsident Theodor Heuss mit Blick auf den 1865 ermordeten amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln: „Lincoln wurde von Kugeln gemordet, Ebert mit Worten gemordet. Ich weiß nicht, was das schlimmere Schicksal war.“ Man kann nur darüber spekulieren was geschehen wäre, wenn sich der erst 53jährige Ebert hätte rechtzeitig behandeln lassen und gesund geblieben wäre. So aber folgte ihm nach einer Neuwahl Paul von Hindenburg.
Ersatzkaiser in Badehose
Als 1919 in der Presse Fotos erschienen, die den Reichspräsidenten in Badekleidung im Wasser stehend mit seinem SPD-Parteifreund Gustav Noske zeigen, ergossen sich kübelweise Spott und Häme über die beiden und mit ihnen auf die gesamte Republik. Man bezichtigte Ebert, ein „vaterlandsloser Geselle“ zu sein, weil er der im Ersten Weltkrieg der kämpfenden Truppe den„Dolchstoß“ in den Rücken gerammt und ihr und damit dem deutsche Volk den angeblich sicheren Sieg im Ersten Weltkrieg geraubt habe. Die Anfeindungen, derer sich der manchmal als Ersatzkaiser mit dicker Zigarre in der Hand und einem Zylinder auf dem Kopf, aber auch in Badehose und damit ganz bürgerlich daher kommende Reichspräsident erwehren musste, zehrte an seiner Gesundheit. Er sah sich Rücktrittsforderungen ausgesetzt und wurde in Satireblättern, die schon in der Kaiserzeit vor Fürsten, Generalen und reichen Leuten nicht Halt gemacht hatten, durch den Kakao gezogen.
Friedrich Ebert nahm den Fehdehandschuh auf, denn es ging nicht nur um ihn und sein Amt als Reichspräsident, sondern ganz allgemein um die Legitimation der Weimarer Republik. Darum drehte sich der Prozess, den Ebert im Dezember 1924 gegen Rothardt anstrengte. Zwar verurteilte das Magdeburger Landgericht den Journalisten wegen Beleidigung zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten, stellte zugleich aber fest, Ebert habe mit seiner Streikbeteiligung quasi Landesverrat begangen. Das war für die rechten Kräfte, die alles daran setzten, der jungen Republik und seinen Repräsentanten zu schaden, ein gefundenes Fressen. Ebert konnte und wollte die Schmach nicht auf sich sitzen lassen und kämpfte ungeachtet seiner angeschlagenen Gesundheit um seine Ehre. Tatsächlich hatte der SPD-Politiker der Streikleitung angehört, aber nur deshalb, um den Ausstand, wie er sagte, so schnell wie möglich zu beenden.
Als Novemberverbrecher verunglimpft
Für die Deutsch-Nationalen, Konservativen, Monarchisten und alsbald die ganz nach oben drängenden Nationalsozialisten war Friedrich Ebert ein „Novemberverbrecher“, also einer von denen, die die Revolution im November 1918, den Sturz der Monarchie und die Niederlage der Deutschen und ihrer Verbündeten im Ersten Weltkrieg zu verantworten hatten. In zermürbenden Gerichtsverfahren wehrte sich der Präsident gegen solche Anschuldigungen. Der Kampf um seine Integrität und das Ansehen seines Amtes zehrte an seiner Gesundheit. Anhänger des Toten sprachen von einem herben Verlust für die junge Demokratie und nannten ihn einen glühenden Patrioten, der von der Liebe zu seinem Volk beseelt war. Eberts Auftrag an seine Landsleute „Behütet und erhaltet die deutsche Republik“ wurde nicht erfüllt, ihre Feinde hatten gesiegt.
So kam es, dass Friedrich Ebert am 28. Februar 1925 in Berlin an den Folgen einer zu spät erkannten und behandelten Blinddarmerkrankung starb. Er hatte die von seinen Ärzten dringend geratene Behandlung wegen eines laufenden Prozesses gegen den Journalisten Erwin Rothardt verschleppt, der ihn als Landesverräter und mitschuldig am Ausgang des Ersten Weltkriegs beleidigt hatte. In der „Mitteldeutschen Presse“ hatte er Ebert vorgeworfen, durch Unterstützung des Berliner Munitionsarbeiterstreiks im Januar 1918 die deutsche Niederlage mitverschuldet zu haben. Das Blatt hatte mit unter der Überschrift „Eine bittere Pille für Fritze Ebert” den Reichspräsidenten aufgefordert: „Beweisen Sie doch, Herr Ebert, dass Sie kein Landesverräter sind!”
Zeit des Umbruchs und des Bürgerkriegs
Die von der Nationalversammlung angenommene und am 11. August 1919 von Friedrich Ebert unterzeichnete Weimarer Verfassung definierte das Deutsche Reich als parlamentarisch-demokratische Republik und knüpfte an Forderungen an, die schon in der Revolution von 1848/49 erhoben, aber nicht verwirklicht wurden. Die Verfassung von 1919 wies gravierende Mängel auf, vor allem was die starke Stellung des für jeweils sieben Jahre direkt vom Volk gewählten Reichspräsidenten betrifft. Er konnte den Reichstag unter bestimmten Umständen auflösen, Neuwahlen ansetzen und mit Notverordnungen zu regieren. In der Spätphase der Republik erwiesen sich diese Bestimmung verhängnisvoll, weil sie den Reichstag entmachtete und das ohnehin geringe Vertrauen in die parlamentarische Demokratie weiter untergrub.
Friedrich Ebert übte sein Amt in einer Zeit des Umbruchs und des Bürgerkriegs aus. Deutschland litt unter den Folgen der Niederlage 1918 und des Versailler Vertrags. Linke und rechte Kräfte bekämpften sich bis aufs Messer, es gab politische Attentate auf Liebknecht, Luxemburg, Rathenau und andere, und es gab eine furchtbare Geldentwertung, die Millionen ins Elend stürzte. Nach der Überwindung der Inflation Ende 1923 durch die Einführung der Rentenmark erlebte das Land eine Phase relativer Stabilität. In den so genannten „Goldenen Zwanzigern“ gab es einen bemerkenswerten Aufschwung von Kunst, Kultur, Wissenschaft und Technik. Stellvertretend für viele andere Meister ihres Fachs seien die Schriftsteller Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Gerhart Hauptmann, Hermann Hesse, Ricarda Huch, Thomas und Heinrich Mann, Kurt Tucholsky und Stefan Zweig genannt. Bildende Künstler wie Ernst Barlach, Lovis Corinth, Lionel Feininger, George Grosz, Käthe Kollwitz und Max Liebermann machten mit ihren Arbeiten Furore. Architekten wie Peter Behrens, Walter Gropius und Hans Poelzig kreierten den Bauhausstil, Musiker wie Richard Strauß und Paul Hindemith und der Regisseur Max Reinhardt, Wissenschaftler wie Albert Einstein und Max Planck und viele andere trugen zum neuen Ansehen ihres Landes bei.
Hindenburg als Hitlers Steigbügelhalter
Nach 1933 hatten die Errungenschaften der Weimarer Republik in den Augen der Nationalsozialisten keinen Wert mehr. Sie hatten von Anfang an das Weimarer „System“ bis aufs Messer bekämpft und nannten die Zeit zwischen 1918 und 1933 verächtlich nur Systemzeit und die Politiker Novemberverbrecher und Erfüllungspolitiker. Mit diesem Urteil gaben die Nazis eine weit verbreitete Meinung wieder, denn vielen ganz noch im Geiste der Kaiserzeit und der gottergebenen Untertänigkeit erzogenen Deutsche war die republikanische Staatsform im höchsten Maße zuwider. Nach dem Börsenkrach an der Wallstreet in New York am 25. Oktober 1929 wurden amerikanische Kredite aus Deutschland abgezogen. Das traf seine Wirtschaft bis ins Mark, die bisher weitgehend auf Pump gelebt und produziert hatte. Jetzt, da die geliehenen Mittel nicht mehr zur Verfügung standen und es Absatzprobleme gab, mussten Millionen Arbeiter auf die Straße gesetzt werden. Verelendung und Mutlosigkeit und vor allem Radikalisierung der Massen waren die Folge.
Der ehemalige kaiserliche Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, der 1925 die Nachfolge von Friedrich Ebert antrat, schrieb als Hitlers Steigbügelhalter eine unheilvolle Geschichte. Während die Nazis seinen Vorgänger Friedrich Ebert zur Unperson erklärten und die so genannte Systemzeit, mit der die Weimarer Republik gemeint war, als Deutschlands schlimmste Zeit verteufelten, feierten sie den 1934 im Alter von 87 Jahren verstorbenen Hindenburg als einen der größten Feldherrn, die das Land je hatte. Ihm widmete das so genannte Dritte Reich silberne Gedenkmünzen sowie Medaillen, deren politisch-propagandistische Aufgabe in Bild und Schrift unverkennbar ist. Besonders stramme Nazis allerdings fanden „Hindenburg in der Geldbörse“ überhaupt nicht gut und forderten, sein Konterfei durch das von Hitler auszutauschen. Über Probemünzen dieser Art kam im Zweiten Weltkrieg der Plan nicht hinaus.
Große Machtfülle in einer Hand
Der gelernte Sattler Friedrich Ebert stieg während der Kaiserzeit unaufhaltsam in der Hierarchie der Sozialdemokratischen Partei auf und wurde nach dem Tod von August Bebel 1913 deren Vorsitzender. Als Reichstagsabgeordneter stimmte er ein Jahr später zu Beginn des Ersten Weltkriegs den kaiserlichen Kriegskrediten zu, was ihm in der Parteilinken viel Kritik einbrachte. Nach der Abdankung Wilhelms II. am 9. November 1918 mit den Regierungsgeschäften beauftragt, wurde Ebert im Verlauf der Novemberevolution Vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten. Am 11. Februar 1919 in Weimar zum Reichspräsidenten gewählt, verfügte er laut Weimarer Verfassung über sehr viel Macht. Er konnte laut Artikel 48 der Reichsverfassung Notverordnungen erlassen, den Reichstag auflösen und Neuwahlen „wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird.“
Das Staatsoberhaupt konnte überdies Rettungsmaßnahmen auch mit Hilfe der bewaffneten Macht ergreifen und vorübergehend Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen. Von dieser Möglichkeit machte vor allem der greise Hindenburg in der Spätphase der durch eine gewaltige Wirtschaftskrise und bürgerkriegsartige Zuständen leidenden Republik mehrfach Gebrauch. Das Ergebnis war, dass die von Hitler geführten Nationalsozialisten im Reichstag und einigen Landesparlamenten immer mehr Stimmen und Abgeordnete gewannen und am 30. Januar 1933 ihre Diktatur errichten konnten.
Natürliche und gütige Art
Eine bemerkenswerte Beobachtung bei Friedrich Ebert verdanken wir dem Reichskunstwart Edwin Redslob, der für die „Formgebung des Deutschen Reichs“ zuständig war und sich um offizielle Staatsakte wie die Ausgestaltung von Trauerfeiern und Jubiläen sowie für repräsentative Bauwerke und Denkmäler kümmerte. Redslob nahm maßgeblichen, und man kann auch sagen segensreichen Einfluss auf das Aussehen der Münzen, Medaillen, Geldscheine, Siegel, Wappen und Fahnen der Weimarer Republik. In seinem Buch „Von Weimar nach Europa. Erlebtes und Durchdachtes“ aus dem Jahr 1972 erinnerte er sich, wie er Friedrich Ebert begegnet ist. Redslob war zu einem Empfang geladen und stand ein wenig ratlos in der Tür. Da sei ein gedrungener Herr im Cut (der Cutaway ist ein festliches Kleidungsstück für Herren zwischen Frack und Smoking, H. C.) auf ihn zugekommen. Die energische Stirn und der fest zupackende Blick seiner dunkel glänzenden Augen habe ihm etwas Besonderes gegeben.
„Er stand auf einmal vor mir, verbeugte sich und sagte: ,Ebert'. Ich geriet einen Augenblick aus der Fassung: das Staatsoberhaupt, das sich seinen Gästen selbst vorstellt, statt dass sie ihm zugeführt werden! Aber mein Erstaunen verging vor dem Eindruck, den Eberts Persönlichkeit auslöste. Dieser Mann war es nicht gewohnt und hatte es auch gar nicht nötig, von Adjutanten und Bürobeamten umschwirrt zu werden“, berichtet Redslob weiter fasst seine Begegnung mit dem Reichspräsidenten so zusammen: „Aus meiner anfangs spöttischen Einstellung über ein Staatsoberhaupt, das sich den geladenen Gästen selbst vorstellt, hatte sich im Verlauf des Abends eine gerechtere Auffassung entwickelt, und ich konnte der an keine Etikette gebundenen, dafür aber so natürlichen und gütigen Art Friedrich Eberts gern zustimmen.“
Was der jungen Republik fehlte
Mit seiner Arbeit als Reichskunstwart war Edwin Redslob nicht immer glücklich. Wohl deshalb widmete er dieser in seinem Buch nur wenige Seiten. In der Spätphase der Weimarer Republik war der Freund und Förderer der Moderne niederträchtigen Anfeindungen von Antidemokraten und ausgesetzt. Die Ideenlosigkeit bei Regierungsvertretern habe zunehmend schwer auf ihm und anderen gelastet, schreibt Redslob in seinem Erinnerungsbuch. Er und die anderen hätten sich der neuen Regierung in der Überzeugung zur Verfügung gestellt, „dass nun von den Vertretern der Macht im Staate und im Parlament die neuen Ideen, an deren Berechtigung wir glaubten, durchgesetzt würden und wirklich auch Neues entstünde. Aber es fehlte der jungen Republik an Vertretern der geistigen Welt, die es verstanden hätten, anstelle der Auseinandersetzung über Interessen den kühnen Drang von Ideen und Idealen aufleuchten zu lassen. Es wurde gewissermaßen aufgearbeitet, was von außen an die Ministerien herantrat, aber es wurde nicht eigentlich schöpferisch vorgegangen.“
In diesem Zusammenhang zitierte Redslob den sozialdemokratischen Politiker Rudolf Breitscheid, der 1944 von den Nazis ermordet wurde, so: „Mögen sie die Kanzler wechseln, so oft sie wollen, der wahre Leiter der Politik und der Verwaltung ist immer derselbe, nämlich: Herr Zwangsläufig. Es fehlt der Enthusiasmus. Die Basis, auf der wir stehen und arbeiten, senkt sich ganz leise einem Abgrund hin.“ Da Edwin Redslob und die von ihm beauftragten Künstler von der Politik keine oder ungenügende Ideen und Vorgaben erhielten, sahen sie sich gezwungen, das Beste aus dem zu machen, was sie vorfanden.
LITERATURTIPP: Die Stiftung Reichspräsident-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg brachte 2014 den von Gaby Sonnabend verfassten, reich illustrierten Katalog zur Ausstellung „Darüber lacht die Republik – Friedrich Ebert und ,seine' Reichskanzler in der Karikatur heraus (108 Seiten, ISBN 978-3-92880-33-6).
6. Mai 2025