Mit der Feder gegen das Schwert
Unzählige Mittelalter-Urkunden erweisen sich als mehr oder weniger raffinierte Fälschungen

Schreiber haben sich manchmal selber dargestellt, wie sie geistliche und weltliche Texte verfassen und kopieren. Die Schriften auf Pergament wurden anschließend in dicken Folianten zusammengebunden.

William von Baskerville schaut sich im Film „Der Name des Rose“ im Scriptorium eines Klosters um und kommt schrecklichen Todesfällen aus die Spur. Der Mönch Berengar von Arundel vergiftet sich beim Lesen des verbotenen Buchs.

Angeblich wurde die „Donatio Constantini“ von Kaiser Konstantin dem Großen ausgestellt, als er Rom verließ und sich in Konstantinopel neu ansiedelte. Der Schenkungsakt ist auf einem Fresko von 1246 in der Silvesterkapelle der Basilika Santi Quattro Coronati in Rom dargestellt.

Die im 15. Jahrhundert von Johannes Gutenberg erfundene Buchdruckerkunst löste die handschriftliche Vervielfältigung von Texten aller Art ab. Der Nachbau einer Druckerwerkstatt und frühe Drucke können in der Lutherhalle zu Wittenberg bewundert werden.
Fotos/Repros: Caspar
Es gibt nichts, was nicht gefälscht wurde und wird. Historiker und Archivare haben bei alten Pergamenthandschriften allen Grund, misstrauisch zu sein, denn zahllose Schriftstücke wurden zwar auf echte Tierhaut geschrieben, sind aber inhaltlich falsch. Schreiber fälschten nahezu alles - Besitztitel und Briefe, Privilegien und Proklamationen, Heiligenlegenden und Herrschaftsansprüche, Testamente und Totenscheine, Chroniken und Quittungen, Stammbäume und Staatspapiere. Archivare und Diplomatiker, also Experten für Handschriften, wissen, dass jede zweite Urkunde der Merowinger gefälscht ist; die der Karolinger sind es zu etwa 15 und die der sächsischen Könige zu zehn Prozent. Bei mittelalterlichen Papsturkunden gibt es ähnliche Quoten.
Da im Mittelalter nur wenige Auserwählte, ja selbst Kaiser und Könige, lesen und schreiben konnten, die ihre von Schreibern vorgezeichneten Unterschriften lediglich mit einem „Vollziehungsstrich“ vollendeten, hatte derjenige, der dieses Bildungsmonopol besaß, eine besondere Verantwortung. Was mit „Brief und Siegel“ zu tun hatte, wurde von den Menschen für bare Münze genommen. Wer etwa ein Stück Land sein eigen nennen wollte, musste eine Urkunde vorweisen, in der Verkauf, Belehnung oder Schenkung fixiert ist. Fehlte das Schriftstück, konnte der Besitz von Land und Rechten angefochten werden. Da lag es nahe, sich Beweisstücke nachträglich anfertigen zu lassen. Die Möglichkeit der Nachprüfung war gering, da ein geregeltes Archivwesen noch in den Kinderschuhen steckte und außerdem Urkundensammlungen regelmäßig bei Stadt- und Schlossbränden in Flammen aufgingen. Als Kirchengüter in Zeiten der Reformation säkularisiert wurden, der Buchdruck seinen Siegeszug antrat, der allgemeine Bildungsstand merklich angewachsen war und auch in Kanzleien eine größere Ordnung bei amtlichen Schriften herrschte, waren Urkunden aller Art, ob echten Inhalts oder getürkt, nur noch Makulatur und wurden leider oft als solche behandelt, also vernichtet.
Klosterkrimi um verbotenes Buch
Der in einem italienischen Kloster angesiedelte Historienfilm „Der Name der Rose“ von 1996 nach dem Roman von Umberto Eco mit Sean Connery als William von Baskerville und Christian Slater als sein junger Begleiter Adson von Melk in den Hauptrollen schildert das geheimnisvolle Treiben in einem abgelegenen Kloster und dem dort eingerichteten Scriptorium. In der Schreibstube sind Mönche emsig dabei, Urkunden und andere Dokumente aller Art zu vervielfältigen und mit Miniaturen auszuschmücken. Ungeachtet frommer Gesänge und Gebete kommt es in einem Klima der Angst, Verstellung und Lüge zu schrecklichen Verbrechen. Die Inhaber von Herrschaftswissen nutzen ihre Fähigkeiten zum Wohl der Kirche und ihrer Machtansprüche aus, aber auch zur Unterdrückung der Wahrheit und Manipulation ihrer Zeitgenossen. Untereinander trauen sie sich nicht über den Weg, belauern einander und manchmal bringen sie sich gegenseitig um. William von Baskerville findet in dem Klosterkrimi Hinweise, dass geheimnisvolle Todesfälle nicht wie angenommen Vorboten der Apokalypse sind, sondern mit dem Diebstahl eines verbotenen Buches aus der Klosterbibliothek zu tun haben. Dieses in griechischer Sprache verfasste „Zweite Buch der Poetik“ des Aristoteles bedroht nach Überzeugung des blinden Mönchs Jorge de Burgos die Kirche, indem es die Religion infrage stellt und lächerlich macht.
Privilegien, Besitztümer und Rechte
Wie die Münzfälschung und der Meineid, so stand auch die Urkundenfälschung unter schwerer Strafe. Doch wenn ein frommer Zweck erreicht werden sollte wie Thronansprüche, Landvermehrung oder die Bestätigung für die Echtheit einer Reliquie, nahm man es nicht genau. Schließlich „heiligte“ der gute Zweck die Mittel. Der Reichtum von Bistümern, Klöstern und Kirchen an Ländereien, Einkünften und Privilegien mag in vielen Fällen Resultat von Urkundenfälschung sein. Kirchenmänner, die über keine eigene Streitmacht verfügten, setzten bewusst dem Schwert ihrer weltlichen Kontrahenten die Feder entgegen und siegten nicht selten. Neben phantasievollen Texterfindungen fertigten Schreiber auch kunstvolle „Radierungen“ an. Auf echten Pergamenten hat man Rechte und Ansprüche, die einem königlichen Vasallen oder Vogt zustanden, getilgt und durch einen anderen Namen ersetzt. Man datierte zurück, kombinierte alte und neue Texte, ließ echte Urkunden verschwinden und präsentierte neue Versionen.
Solche Manipulationen finden sich überall und in allen Zeiten. In den Archiven wird anhand von Schriftvergleichen, Materialproben und inhaltlichen Analysen geprüft, ob eine Urkunde wirklich das ist, was sie sein will. Spezialisten müssen genau hinschauen, denn bei den Falsifikaten gibt es viele Abstufungen. Nicht alles muss absichtlich gefälscht worden sein, denn es kam auch vor, dass längst überholte Privilegien, Besitztümer und Rechte über die Jahrhunderte fortgeschleppt wurden, weil man es nicht besser wusste oder wissen wollte. Als im 17. Jahrhundert der französische „Sonnenkönig“ Krieg gegen deutsche Fürsten führte und in der Pfalz wütete, berief er sich auf fragwürdige Anwartschaften und Erbrechte, die seine Archivare in alten Schriften aufspürten oder erfanden.
Konstantinische Schenkung
Die wohl bekannteste Fälschung des Mittelalters ist die sogenannte Konstantinische Schenkung. In der Urkunde, die angeblich aus dem Jahr 330 stammen soll, in Wirklichkeit aber um das Jahr 800 verfasst wurde, als Kaiser Karl der Große gekrönt wurde, sind die Rechtsgrundlagen für die Bildung des Kirchenstaats mit Rom als Mittelpunkt fixiert. Papst Sylvester I., der den Kaiser von einer Krankheit gerettet und getauft haben soll, wurde in der Urkunde der Vorrang von Rom gegenüber allen anderen Kirchen zugesichert.
Als „Schenkung“ bekam das Kirchenoberhaupt die Herrschaft über die alte Kaiserstadt, ganz Italien und die Westhälfte des Römischen Reiches. Als 1440 das Schriftstück als Falsifikat entlarvt wurde, war das Geschrei groß, und es bestand für weltliche Herrscher kein Grund mehr, die angemaßten Ansprüche des Pontifex zu respektieren. Italien wurde in der Folgezeit Schauplatz erbitterter Kriege. Über Jahrhunderte haben die Päpste die falsche Urkunde als Beweis für ihre weltliche Vorherrschaft über dem Kaiser benutzt. Die katholische Kirche räumte später zwar ein, die Urkunde sei gefälscht, doch habe es eine Schenkung Konstantins an das Papsttum gegeben.
Auch Preußens König Friedrich der Große begründete seine Ansprüche auf die unter österreichischer Oberhoheit stehenden schlesischen Schlesien mit Bestimmungen in aus alten Urkunden. Er machte für seinen am 16. Dezember 1740 vom Zaun gebrochenen Eroberungskrieg fragwürdige Erbansprüche des Hauses Brandenburg auf die schlesischen Fürstentümer geltend und nutzte Unsicherheiten in der Erbfolgefrage nach dem Tod des römisch-deutschen Kaisers Karl VI. aus. Der Habsburger hinterließ keinen männlichen Thronerben, sondern „nur“ seine Tochter Maria Theresia, die zur erbitterten Gegnerin des Königs von Preußen in den erst 1763 beendeten Schlesischen Kriegen wurde.
Emser Depesche als Kriegsgrund
Über eine für ihn sehr unangenehme Unterredung in Bad Ems mit dem französischen Gesandten um die Besetzung des spanischen Königsthrons mit einem Prinzen aus dem Haus Hohenzollern schickte der preußische König Wilhelm I. ein Telegramm an seinen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck. Er erkannte sofort den politischen Sprengstoff, denn Kaiser Napoleon III. wollte eine „Einkreisung“ seines Landes durch Preußen und Spanien verhindern. Indem Bismarck die Mitteilung kürzte und redigierte, machte er aus ihr die berühmte Emser Depesche. Der auf diese Weise verschärfte Text wurde veröffentlicht und vom französischen Kaiser als Provokation und als Kriegsgrund empfunden. Wenige Wochen später begann der Deutsch-französische Krieg, aus dem Deutschland unter preußischer Führung siegreich hervor ging.
Auch wenn sich Urkunden als gefälscht oder manipuliert erweisen, sind sie dennoch für Historiker und Archivare nicht wertlos. Sie dokumentieren ein Stück Zeitgeist und fordern, die Frage zu beantworten, zu welchem Zweck sie angefertigt wurden und wer ein Interesse an ihnen hatte. Damit avancierten die Produkte aus zwielichtigen Scriptorien am Ende zu geschichtlichen Quellen, doch muss man die Problematik erkennen und angemessen interpretieren.
7. Januar 2025