Verfassung? Nicht mit mir!
König Friedrich Wilhelm IV. bestand am Vorabend der Revolution von 1848 auf seinen Rechten



Friedrich Wilhelm IV. wurde von Wohlmeinenden als „Romantiker auf dem Thron“ verehrt, seine Gegner sahen ihn als unverbesserlichen Verteidiger seines Gottesgnadentums und als einen, dessen Schuhe nicht in diese seines Großen Vorbilds Friedrich II. passt. Als 1849 die Kaiserfrage anstand, zählte er auf der Karikatur an seinen Knöpfen ab, ob er zustimmen soll oder nicht – und lehnte ab.



Der König von Preußen liest auf der Karikatur von 1847 den Deputierten des Vereinigten Landtages die Leviten.



Wohlmeinende nannten den an Kunst und Architektur interessierten Preußenkönig „Romantiker auf dem Thron“. In Machtfragen war er unerbittlich, und er duldete zwischen sich und seinen Untertanen keine Verfassung, die er verächtlich ein beschriebenes Blatt nannte.



Die von den Fesseln der Zensur befreiten Medien waren vielen Anfeindungen ausgesetzt. Den Regierungen waren Schreiber lieber, die alles notieren,was ihnen gesagt wird.



Die Karikatur nimmt die Eselsgeduld der Deutschen satirisch auf Korn, und der Revolutionär hat Mühe, seine Landsleute auf Trab zu bringen.



Die die „Volkssouveränität“ wird von den deutschen Fürsten zu Grabe getragen, Dämonen tragen im Hintergrund Kronen auf ihrem Rücken.

Repros: Caspar

Wie jedes bedeutende Ereignis der Geschichte
hatte auch die Revolution vom 18. März 1848 in Berlin einen quälend-langen Vorlauf. Es begann damit, dass das in den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 Versprechen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III., dem Land eine Verfassung zu geben, gebrochen wurde. Von dieser Verfassung wurde erwartet, dass sie die absoluten Rechte des Königs einschränkt und dem Volk Möglichkeiten zur Beteiligung an den „öffentlichen Dingen“ eröffnet. Kaum war der Kampf gegen Frankreich gewonnen, war von einer „Repräsentation des Volkes“ nicht mehr die Rede.
Um die Monarchie und die feudalen Eliten weiter im Sattel zu halten, jede Einflussnahme der Bürger auf die Staatsgeschäfte zu verhindern und revolutionären, liberalen und sonstigen Elementen das Wasser abzugraben, bestimmte die Zensur-Verordnung von 1818, dass alle in Preußen erscheinenden Bücher und Schriften einer speziellen Behörde zur Genehmigung vorgelegt werden müssen. Ohne deren schriftliche Erlaubnis durften sie weder gedruckt noch verkauft werden. Schnüffler und andere Zensoren durchforsteten die Medien nach unerlaubten Gedanken, Bildern und anderer „geistiger Konterbande“, wie man sagte, und es breitete sich regimetreue Öde aus.

Schwerer Schlag gegen „freien Geist“
Die Zensur und andere Zwangsmaßnahmen waren ein schwerer Schlag gegen Literaten, Professoren, Studenten und andere so genannte Freigeister sowie Drucker und Verleger, sofern sie nicht „staatstragend“ waren. Wer gegen die herrschende Ordnung opponierte und das Gottesgnadentum des Königs in Zweifel zog, erhielt Berufsverbot, wurde von den Universitäten geworfen und auf andere Weise in seinem Schaffen behindert. Betroffen von den Einschränkungen in Preußen waren auch die Berliner Akademie der Wissenschaften sowie Universitäten, deren Befreiung von der Zensur suspendiert wurde.
Friedrich Wilhelm III. hatte am 22. Mai 1815 etwas angekündigt, das es in der preußischen Geschichte noch nie gegeben hat. Denn dort hieß es stets, dass der Herrscher befiehlt und die Untertanen ohne Murren und Nachdenken „Ordre parieren“, also gehorchen müssen. Wörtlich heißt es in dem Erlass unter Berufung auf altpreußische Traditionen und das glorreiche Wirken des Herrscherhauses: „Die Geschichte des preußischen Staates zeigt zwar, dass der wohlthätige Zustand bürgerlicher Freiheit und die Dauer einer gerechten, auf Ordnung gegründeten Verwaltung in den Eigenschaften der Regenten und in ihrer Eintracht mit dem Volke bisher diejenige Sicherheit fanden, die sich bei der Unvollkommenheit und dem Unverstande menschlicher Einrichtungen erreichen lässt. Damit sie jedoch fester gegründet, der preußischen Nation ein Pfand Unseres Vertrauens gegeben und der Nachkommenschaft die Grundsätze, nach welchen Unsere Vorfahren und Wir selbst die Regierung Unseres Reichs mit ernstlicher Vorsorge für das Glück Unserer Unterthanen geführt haben, treu überliefert und vermittelst einer schriftlichen Urkunde, als Verfassung des preußischen Reichs, dauerhaft bewahrt werden, haben Wir Nachstehendes beschlossen: Es soll eine Repräsentation des Volkes begründet werden“.

Stachel im Fleisch der Monarchie
Der König und seine Kamarilla wollten schon bald nichts mehr von dem Verfassungsversprechen wissen, sein Bruch wirkte wie ein Stachel im „Fleisch“ der Monarchie. Bedrückende Gesetze wurden erlassen und die freie Meinung unterdrückt. Alles Gedruckte und Gesprochene unterlag der Zensur, und Personen, welche die Rechte des Volkes einforderten, wurden schikanöser Behandlung unterworfen. Es hagelte Berufsverbote, Ausweisungen und Gefängnisstrafen mit gravierenden Folgen für die als „vaterlandslose Gesellen“ verunglimpften Personen und ihre Familien.
Dass sich etwas zusammenbraut, blieb Friedrich Wilhelm IV. und seinen stockreaktionären Anhängern nicht verborgen. 1847 gab es in Preußen eine große Hungersnot, die sich in der sogenannten Kartoffelrevolution Bahn brach und bei der das Militär gegen die hungernden „Rädelsführer“ eingesetzt wurden. Um die Wogen zu glätten, rief der König den Vereinigten Landtag zusammen, der aber nicht Volkes Meinung und Wille abbildete, sondern ein elitärer Club von Adligen und wohlhabenen Bürgern war. Erinnerungen an die Berufung einer Ständeversammlung kurz vor der Revolution von 1789 in Frankreich wurden wach. Ludwig XVI. wollte mit Unterstützung der Deputierten das Elend und die Wut des Volkes durch kleine Zugeständnisse mildern. Er und seinesgleichen erkannten nicht, dass das auf Gewalt und Ausbeutung beruhende absolutistische Feudalregime ausgedient hatte und eine neue Zeit angebrochen war.

„Zwischen uns sei Wahrheit“
Friedrich Wilhelm IV. gab den im Weißen Saal des Berliner Schloss zum Befehlsempfang am 11. April 1847 zur Eröffnung des Vereinigten Landtages angetretenen „edlen Herren und getreuen Ständen“, so die Anrede an die Deputierten, kund, keiner Macht der Erde werde es je gelingen, ihn zu bewegen, „das natürliche, gerade bei uns durch seine innere Wahrheit so mächtig machende Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein konventionelles, konstitutionelles zu wandeln, und dass ich es nun und nimmermehr zugeben werde, dass sich zwischen unseren Herrgott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt, gleichsam als eine zweite Vorsehung, eindränge, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren und durch sie die alte, heilige Treue zu ersetzen. Zwischen uns sei Wahrheit. Von einer Schwäche weiß ich mich gänzlich frei. Ich strebe nicht nach eitler Volksgunst. (…) Ich strebe allein danach, meine Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen.“
Volkes Meinung und Volkes Forderungen waren nicht des Königs Sache. In seiner Selbstherrlichkeit war er überzeugt: „Das sind die Rechte, das die Pflichten germanischer Stämme Stände, das Ihr herrlicher Beruf. Das aber ist Ihr Beruf nicht: Meinungen zu repräsentieren, Zeit- und Schulmeinungen zur Geltung bringen zu sollen. Das ist vollkommen undeutsch und obenein vollkommen unpraktisch über das Wohl des Ganzen, denn es führt notwendig zu unlösbaren Verwicklungen mit der Krone, welche nach dem Gesetze Gottes und des Landes und nach eigner freier Bestimmung herrschen soll, aber nicht nach dem Willen von Majoritäten regieren kann und darf, wenn Preußen nicht bald ein leerer Klang in Europa werden soll!“ Der Eindruck, den die Rede hinterließ, war geteilt. Die einen fanden sie gut und systemerhaltend; andere fanden sie verheerend. Karl Biedermann, seines Zeichens Philosoph, Staatswissenschaftler, Publizist und liberaler Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49, kritisierten des Königs „krankhafte Gereiztheit“. Er habe die Deputierten wie Schulknaben behandelt, belehrt und gescholten, und diese hätten sich dem Willen des Monarchen gebeugt.

Konstitutionelles Mäntelchen
König Friedrich Wilhelm IV. fühlte sich in Berlin unwohl. Er zog ich in Potsdam zurück und suchte nur noch selten die in seinen Augen durch die Revolution „beschmutzte“ Hauptstadt auf. Am 6. Februar 1850 legte er im Berliner Schloss widerwillig und tief verletzt den Eid auf die preußische Verfassung ab. Sie festigte die Königsherrschaft, hängte ihr aber ein konstitutionelles Mäntelchen um, das bis zum Ende der Monarchie 1918 hielt. Wichtig war aber dass Revolution den Weg Preußens zum Verfassungsstaat geebnet hatte.
Als der König am 22. Mai 1850 auf dem Potsdamer Bahnhof seinen Salonwagen zu besteigen wollte, der ihn zurück nach Potsdam zurückbringen sollte, schoss der Attentäter Maximilian Joseph Sefeloge mit der Pistole auf ihn. Die Kugel verursachte nur eine stark blutende Fleischwunde im Unterarm. Der sofort ins Schloss Charlottenburg transportierte Monarch konnte sein Krankenlager bald wieder verlassen. Der Mordanschlag wurde von Königstreuen aller Art in eine Verschwörung der Demokraten umgemünzt und war Anlass für weitere Unterdrückungsmaßnahmen.
Die Pressegesetze wurden verschärft, missliebige Parteien verboten sowie regimekritischer Vertreter von Medien und Organisationen verhaftet und bestraft. Friedrich Wilhelm IV. war davon überzeugt, dass Sefeloge aus politischer Überzeugung und nicht aufgrund einer ihm von Ärzten bescheinigten Geisteskrankheit gehandelt hat. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt, und er wurde in die Provinzial-Irrenanstalt Halle-Nietleben überwiesen, wo er 1859 starb. Auch ein anderer Attentäter, der ehemalige Bürgermeister von Storkow Ludwig Tschech, war 1844 erfolglos wurde aber noch im gleichen Jahr auf der Zitadelle Spandau hingerichtet.

ANMERKUNG
Hier sei erwähnt,dass um 1962 ein unbekannter Leser in der für diesen Beitrag als Quelle genutzten Anthologie „Berliner Leben 1806-1847“ (Berlin 1954) mit Bleistift SED-kritische Kommentare hinterlassen hat. Sie machen das Buch zu einem Zeitdokument der besonderen Art. Der Unbekannte zieht Vergleiche zwischen den politischen Verhältnissen am Vorabend der Revolution von 1848/49 und denen in der DDR. Mit Blick auf die Bevormundung und Verfolgung der Menschen von damals, fragt sich der Leser und antwortet mit einem klaren Nein, ob man heute so wie damals mehr oder weniger deutlich die Unterdrückung im eigenen Land anprangern kann. Der Unbekannte schreibt auf einer leeren Seite am Ende des Buches: „Dieses Buch mit seinen damaligen Zeitschilderungen beweist mir nur, dass sich immer alles zu jeder Zeit wiederholen kann. Zumal in totalitären 'Staaten'. War diese, in diesem Buche, vorgebrachte Schilderung der Feudalzeit auch widerlich, so war es auch eine viel weniger aufgeklärte Zeit etc. Wie ekelerregend aber, wenn heutzutage (keine Fürsten + Könige) sich ideelles Gedankengut zu nutze gemacht wird u. die Menschen damit gängelt. Man heuchelt u. lügt heutigentags eben glaubwürdiger. 'Mehr Kunst in der Menschenschinderei'. Den Verfassern dieses Buches einen Dank. Wenn man liest was hier steht, regt doch ... an zum Denken.“

25. Juli 2025