„Eine Meile von Berlin“
Nur wenige Distanzsäulen aus dem 18. und 19. Jahrhundert haben die Zeiten überstanden


Über 200 Jahre alt ist die Meilen- oder Distanzsäule gegenüber dem Schloss Charlottenburg. Gut lesbar ist die Entfernungsangabe „I MEILE VON BERLIN“, das waren 7,5342 Kilometer bis zum Berliner Schloss.


An der Leipziger Straße in Berlin erhebt sich vor dem Nachbau der Spittelkolonnaden eine preußische Meilensäule in Form eines Obelisken. Auf der Meilensäule in Rheinsberg wird die Entfernung nach Berlin mit 42, nach Paris mit 156 und nach Sankt Petersburg mit 224 Meilen angegeben.


Die Grafiken zeigen, wie unterschiedlich groß und dekoriert die „Distantz- und Meilen Saeulen“ in Kursachsen waren und wie eine Reisegesellschaft vor dem Gasthof und der Postsäule verabschiedet wird.


August der Starke erteile Adam Friedrich Zürner 1713 den Auftrag, alle Ämter des Kurfürstentums Sachsen „in Mappas geographicas“ zu erfassen und damit die 1586 begonnene Landesvermessung abzuschließen.


Ein Nachbau des Zürnerschen Messwagens wird mit weiteren Zeugnissen dieser Art im Schloss Lauenstein (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) gezeigt.


Reich mit dem sächsisch-polnischen Wappen verziert sind die aus der Zeit Augusts des Starken stammenden Postmeilensäulen. Die Forschungsgruppe Kursächsische Postmeilensäulen e.V. erfasst und pflegt die Zeugnisse der Post- und Verkehrsgeschichte wie hier im Bereich des Schlosses Moritzburg bei Dresden und in Bad Belzig, das bis 1815 zu Sachsen gehörte. Die auf den Säulen angegebenen Stundenangaben vermerken Entfernungen. Eine Wegstunde entspricht rund 4,5 km, also derjenigen Strecke, die man in einer Stunde zu Fuß zurücklegt.

Fotos/Repros: Caspar

Von ihrer Gründung im Jahr 1705
bis zur Bildung von Groß-Berlin im Jahr 1920 war Charlottenburg eine selbstständige und selbstbewusste Stadt. Da der königliche und – ab 1871 – kaiserliche Hof gelegentlich im Schloss aus dem frühen 18. Jahrhundert residierte, haben die Stadtväter – Frauen spielten in der Verwaltung noch keine Rolle - großen Wert auf gute Verkehrsverbindungen gelegt. Um zu wissen, wie weit es von Charlottenburg in die Haupt- und Residenzstadt Berlin ist, wurde unter dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. gegenüber dem Schloss eine Steinsäule mit einer vergoldeten Kugel auf der Spitze aufgestellt. Die Inschrift verkündet „I Meile von Berlin“ und meint damit die Entfernung von Charlottenburger Schloss zum Berliner Schloss, das als Humboldt Forum vor einigen Jahren seine Wiedergeburt erlebt hat. Eine preußische Meile entsprach heutigen 7,5 Kilometern. Fußgänger mussten etwa zwei Stunden für eine Meile einplanen.

Verein kümmert sich um alte Meilensteine
Nach der Einführung metrischer Maße im Laufe des 19. Jahrhunderts hat man die vielen in Preußen, und nicht nur dort, aufgestellten Meilensteine und -säulen wegen der veralteten Entfernungsangaben entweder beseitigt oder umgearbeitet. Sie dienten Reisenden zur Orientierung für die Fahrt von einer Stadt zur anderen. Sie waren für die Kutscher wichtig als Anhaltspunkte zum Pferdewechseln und zum Ausruhen ihrer Tiere. Nach der Reichsgründung von 1871 wurde im neuen Deutschen Reich das Längenmaß Meter und Kilometer eingeführt. Um die etwa 2000 Meilensteine in Norddeutschland kümmert sich der 1980 gegründete Verein Forschungsgruppe Meilensteine e. V. Seine Mitglieder erfassen ehemalige und noch erhaltene Meilensteine aller Art, beraten und helfen Kommunen bei der Erhaltung und Restaurierung dieser Zeugnisse der Geschichte und des Verkehrswesens, gestalten Ausstellungen und publizieren ihre Arbeits- und Forschungsergebnisse.

Dem Verein sind mehr als 2000 große und kleine Meilensteine bekannt. Sie sind in seiner Datenbank erfasst und können auf der Internetseite forschungsgruppe-meilensteine.de betrachtet werden. Dort erfährt man, dass die Steine entlang alter Poststraßen und Chaussee angelegt wurden, aber auch in Städten und an deren Rändern zu finden sind. Viele warten in Straßengräben und unter Gestrüpp verdeckt auf ihre Erweckung. Mit der Reichsgründung von 1871 wurde im gesamten Deutschen Reich das Längenmaß Meter und Kilometer eingeführt. Bald darauf hat man die nunmehr veralteten Meilensteine beseitigt oder umgesetzt. Manche Steine wurden umgedreht und auf der Straßenseite mit neuen Kilometerangaben versehen. Die Steine und Säulen dienten den Reisenden als Orientierung für ihre Fahrt von einer Stadt zur anderen. Für Kutscher waren sie wichtig als Anhaltspunkte zum Pferdewechsel und zum Ausruhen der Tiere.

Von Schloss zu Schloss
Kaiser Wilhelm I., der schon als Kind viel im Charlottenburger Schloss gelebt hatte und im Mausoleum wenige hundert Meter neben seinen Eltern, Friedrich Wilhelm III. und Luise, sowie seiner Gemahlin bestattet ist, hörte, dass die Meilensäule ohne sein Wissen abgebaut und anderswo aufgestellt wurde, um Platz für eine Friedenseiche zu schaffen. Unverzüglich befahl er wegen der mit dem Stein verbundenen Erinnerungen die Wiederaufstellung am historischen Ort. Als 1905 zur Zweihundertjahrfeier von Charlottenburg vor dem Schloss ein von Joseph Uphues geschaffenes Reiterddenkmal des 99-Tage-Kaisers Friedrich III., des ältesten Sohns von Wilhelm I., errichtet wurde, hat man die wie ein königliches Zepter gestaltete Meilensäule auf die andere Seite des Spandauer Damms gebracht, wo sie neben dem Marstall, besser bekannt als Stülerbau, steht und an Zeiten erinnert, als man Entfernungen noch in Meilen maß.

Erinnert sei, dass unter dem Kurfürsten und polnischen König Friedrich August I. (August II.), besser bekannt als August der Starke, zahlreiche mit dem sächsisch-polnischen Wappen geschmückte Postmeilensäulen errichtet wurden. Die Entfernungsangaben bedeuten 1 Meile = 2 Wegestunden = 9,06 Kilometer. Als die ursprünglich etwa 1200 Säulen aus Sandstein ausgedient hatten, wurden zahlreiche dieser für den Post- und Reiseverkehr wichtigen Monumente abgebaut und manche als Baumaterial weiter verwendet. Um die Reste kümmert sich der Verein Forschungsgruppe Kursächsische Postmeilensäulen e.V., der auch verloren gegangene Postsäulen am alten Ort neu aufstellt und das Thema erforscht und publiziert.

Vermessung mit der Kutsche
Kursachsen wurde schon im ausgehenden 16. Jahrhundert vermessen. Um 1700 gab es auch in anderen Territorien, etwa Pommern und Mecklenburg, solche Erhebungen. Der Pfarrer und Kartograph Adam Friedrich Zürner legte im Auftrag Augusts des Starken mit seinem „geometrischen Wagen“ in Kursachsen sowie weiteren sächsisch-ernestinischen Fürstentümern über 18 000 sächsische Meilen zurück. Das waren umgerechnet rund 163 116 Kilometer. Schon 1717 erschien Zürners erste „Chur-Sächsische Post-Charte“. Vier Jahre später befahl der Kurfürst und polnische König die Errichtung der steinernen Postsäulen.

Mit ihrem Zustand muss es nach seinem Tod 1733 nicht gut bestellt gewesen sein, denn ab 1748 hat sein Sohn und Nachfolger Friedrich August II. (als König von Polen August III.) die „Wiederaufrichtung und Ergänzung derer verfallenen Straßen- und Postsäulen“ veranlasst. Nachdem im Ergebnis des Wiener Kongresses mehr als die Hälfte des mit dem unterlegenen Franzosenkaiser Napoleon I. verbündeten Königreichs Sachsen an das siegreiche Preußen gefallen war, wurde die Beseitigung der Postsäulen mit ihren als irreführend empfundenen Zeit - und Entfernungsangaben angeordnet, wohl aber nicht ganz und gar realisiert.

Der Land- und Grenzkommissar Zürner, wie sein Titel lautete, legte 1718 nach umfassender Erkundung Kursachsens seine „Neue Chursächsische Post-Charte“ vor. Um den Auftrag Augusts des Starken effektiv und präzise zu erledigen, konstruierte er einen geografischen Messwagen, mit dem sehr genaue Daten gewonnen wurden. Die in einen Messwagen umgebaute Kutsche besaß ein Gestänge, das die Umdrehungen des Hinterrades auf ein Zählwerk übertrug. Im Ergebnis von Zürners Landvermessung wurden ab 1721 die kursächsischen Postmeilensäulen in den sächsischen Städten und entlang der Poststraßen errichtet.

8. Januar 2025