Gnadenlose Todesurteile – Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand dokumentiert nationalsozialistische Militärjustiz



Das von 1908 bis 1910 nach Plänen von Heinrich Kayser und Karl von Großheim erbaute Reichskriegsgericht an der Witzlebenstraße war in der Zeit des Nationalsozialismus ein Ort des Unrechts und Schreckens. Nach 1945 hatte es verschiedene Nutzer und wurde in den 2000er Jahren in einen Ort mit luxuriösen Eigentumswohnungen umgewandelt.



Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand an der Bendlerstraße im Berliner Ortsteil Tiergarten wurde 1968 in den Räumen des Allgemeinen Heeresamtes und des Befehlshabers des Ersatzheeres im Oberkommando des Heeres eingerichtet. Hier befanden sich auch die Arbeitsräume Claus Schenk Graf von Stauffenberg, dessen Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 scheiterte. Er und weitere Mitkämpfer wurden noch am gleichen Tag im Hof des Gebäudekomplexes erschossen. Ein Ehrenmal erinnert an sie.



Die Mitglieder der Widerstandsorganisation „Weiße Rose“, zu der die Geschwister Scholl und auch über die Gräuel der Einsatzgruppen im Osten entsetzte Soldaten gehörten, wurden im Februar 1943 in München vom Volksgerichtshof unter Leitung von Roland Freisler wegen so genannter Wehrkraftzersetzung, Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat zum Tod verurteilt. Die Vollstreckung durch das Fallbeil fand unmittelbar darauf statt.



Die neue Sonderausstellung würdigt nicht nur Opfer der der nationalsozialistischen Militärjustiz, sondern benennt auch die Richter, die über Befehlsverweigerer, Deserteure und andere „wehrunwillige“ Soldaten Todes- und Zuchthausstrafen aussprachen.



Mit blutroten Plakaten wurde überall und zur allgemeinen Abschreckung verkündet, dass als Volksfeinde verunglimpfte Widerstandskämpfer hingerichtet wurden.

     

Den von der Militärjustiz des NS-Reiches zum Tod verurteilten und hingerichteten Soldaten gewidmet sind die Tafel an der Bernauer Stadtmauer, das Denkmal auf dem Wilhelmplatz in Potsdam und in der Erfurter Festung Petersberg.

Fotos: Caspar

Das 1936 in Berlin gegründete Reichskriegsgericht
verhängte in fast 4.000 Verfahren mehr als 1.300 Todesurteile, die meisten davon während des Zweiten Weltkrieges. Es urteilte über Delikte wie Hochverrat, Landesverrat, Wehrkraftzersetzung, Spionage, Kriegsdienstverweigerung und Desertion. Zu den Todesstrafen und solchen zu Zuchthaus kamen in den sechs Jahren des Zweiten Weltkrieges rund drei Millionen Militärstrafverfahren im Deutschen Reich und den besetzten Ländern. Mindestens 40 000mal, wahrscheinlich aber viel mehr sprachen die Militärgerichte die Todesstrafe über Soldaten und Zivilisten aus, und unzählige wurden vollstreckt. Sie betrafen nicht nur Angehörige der deutschen Wehrmacht, sondern ab 1939 auch zahlreiche Menschen in den von Deutschland überfallenen Ländern, weil sie im Widerstand gegen die Besatzer gekämpft hatten.

Weitgehend unbekanntes Stück NS-Geschichte
Die bis 10. Januar 2026 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand laufende Sonderausstellung dokumentiert Rechtsgrundlagen, Struktur und Personal des Reichskriegsgerichts, dessen unheilvolle Tätigkeit weitgehend unbekannt ist. In der Ausstellung wird davon gesprochen, dass die Taten und Untaten des Tribunals und seiner Juristen oft im Generalsrang in der deutsche Erinnerungskultur kaum eine Rolle spielen. Mit Fotos, Dokumenten und Hinterlassenschaften von Richtern und ihren Opfer versehen, breitet die Ausstellung vor der Öffentlichkeit ein grausiges Stück NS-Geschichte aus.
Vom nationalsozialistischen Volksgericht und seinen Bluturteilen weiß man einiges, vom Reichskriegsgericht dank dieser Dokumentation in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand jetzt mehr. Anhand von Biografien der Richter und Henker, vor allem aber ihrer Opfer wird gezeigt, dass das Reichskriegsgericht half, die Hitlerdiktatur zu festigen und ihren Krieg zu unterstützen. Das Gericht verhandelte hauptsächlich in Berlin, zog sich aber um 1943 angesichts der Luftangriffe auf die Reichshauptstadt nach Torgau zurück, wo es bis zum Kriegsende seine blutige Arbeit verrichtete. Darüber hinaus war das Gericht an mehr als 40 weiteren Orten tätig.

Wehrkraftzersetzung und Fahnenflucht
Mit Urteilen zur sogenannten Wehrkraftzersetzung wurde nach 1933 ein erweiterter Begriff für die Anklage geschaffen. Danach war bereits „öffentlich“, wenn mehrere Personen von despektierlichen Worten über die Wehrmacht und ihre Anführer erfuhren, sich über den Sinn des Eroberungskrieges und über Kriegsverbrechen unterhielten oder wie man der Wehrpflicht entgehen kann. Der Volksgerichtshof unter der Leitung von Roland Freisler übernahm diese strafverschärfende Auslegung und verhängte unzählige Todesurteile.Das Reichskriegsgericht überwies verurteilte Soldaten in das Vollzugssystem der Wehrmacht, das Gefängnisse, Lager sowie Straf- und Bewährungseinheiten umfasste.
Neben der im Deutschen Reich Deutschland tätigen ordentlichen Gerichtsbarkeit, die aus Amts-, Land- und Oberlandgerichten sowie dem Reichsgericht in Leipzig bestand, installierte das Hiter-Regime Sondergerichte und den Volksgerichtshof. Hinzu kamen Militärgerichte mit dem Reichskriegsgericht als oberstem Tribunal der Wehrmacht. Das System einer auf den Krieg ausgerichteten Justiz war unabdingbar für die Realisierung der deutschen Eroberungspläne. Mit dem Tod bedroht waren Spionage und Freischärlerei, Zersetzung der Wehrkraft, Wehrdienstverweigerung, Fahnenflucht und unerlaubte Entfernung von der Truppe. Das Reichskriegsgericht überwies verurteilte Soldaten in das Vollzugssystem der Wehrmacht, das über Gefängnisse und Lager sowie Straf- und Bewährungseinheiten verfügte. Mit dem Kriegsstrafverfahren wollte man die Schlagfertigkeit und Sicherung der Wehrmacht „durch eine rasche und strenge, aber gerechte Anwendung der Strafgesetze“ gewährleisten, wie es in Begründungen von damals hieß.

Erschießungen in der Murellenschlucht
Der Präsident des Reichskriegsgerichts konnte Urteile bestätigen oder aufheben, sofern Hitler als Oberster Gerichtsherr der Wehrmacht, wie er sich nannte, sich dies nicht selber vorbehielt. Einer der Erschießungsplätze war die Murellenschlucht nordwestlich des Berliner Olympiageländes gleich hinter der Waldbühne. In dem Waldgebiet wurden zahlreiche vom Reichskriegsgericht verurteilte Wehrdienst- und Befehlsverweigerer sowie Deserteure erschossen. Unter hohen Bäumen erinnern Inschriften an die hier und in Plötzensee ermordeten Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz.
Denkmäler zur Erinnerung an die Opfer der NS-Militärjustiz befinden sich unter anderem in Bernau bei Berlin, Bremen, Erfurt, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Kassel, Mannheim, Potsdam, Stuttgart und Wien. Allein in Hamburg sind im Zweiten Weltkrieg mindestens 206 Soldaten wegen Desertion und so genannter Wehrkraftzersetzung hingerichtet worden – teils im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis, teils auf dem Truppenübungsplatz Höltigbaum. Es hat 70 Jahre gedauert, bis ihnen Ende 2015 auf dem Stephansplatz in der Hansestadt ein Denkmal errichtet wurde. Gestaltet nach einem Entwurf von Volker Lang, erinnert es an jene Menschen, die Moral und Gewissen über den Befehl stellten und sich dem angeordneten Morden mit dem Mut der Verzweiflung entzogen haben.

„Als Deserteur muss man sterben“
Wie den Richtern des Volksgerichtshofs ist auch den Mitarbeitern des Reichsgerichts nach 1945 kaum etwas geschehen. Sie beriefen sich auf Hitler, der in seinem Buch „Mein Kampf“ unmissverständlich erklärt hatte: „Es muss der Deserteur wissen, dass seine Desertion gerade das mit sich bringt, was er fliehen will. An der Front kann man sterben, als Deserteur muss man sterben. Nur durch solch eine drakonischer Bedrohung jedes Versuches zur Fahnenflucht kann eine abschreckende Wirkung nicht nur für den einzelnen, sondern auch für die Gesamtheit erzielt werden.“
Der an Bluturteilen beteiligte NS-Jurist Erich Schwinge schrieb in seinem Buch „Die deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus“ von 1977: „Die Aburteilung muss straff und schnell erfolgen und der Urteilsspruch sofort vollstreckbar sein“ und verwendete Formulierungen in seinem Kommentar von 1936 zum Militärstrafgesetzbuch. Nach dem Krieg an konnte Schwinge unbeanstandet an der Universität Marburg Professor Studenten unterrichten und war auch Gutachter der Verteidigung in Strafprozessen gegen NS-Täter. Die NS-Militärjustiz war für ihn eine „antinationalsozialistische Enklave der Rechtsstaatlichkeit“. Ein anderer Militärrichter war Hans Filbinger, der in Norwegen an mindestens vier Todesurteilen gegen Wehrmachtsangehörige beteiligt war. Seine Enttarnung durch Rolf Hochhuth löste 1978 die Filbinger-Affäre aus, in deren Verlauf der als Ministerpräsident von Baden-Württemberg tätige Jurist zurück trat. Um seine Rehabilitation bemüht, beschrieb sich Filbinger als Vertreter einer „geschmähten“ Generation. Er versuchte erfolglos, ihn belastenden Dokumente als Fälschungen der DDR-Stasi auszugeben.

22. Oktober 2025