Spandaus dunkle Seite -
Ausstellung in der Zitadelle macht mit Geschichte des Kriegsverbrechergefängnisses bekannt

Das aus zahlreichen Gebäuden bestehende Kriegsverbrechergefängnis wurde 1987 nach dem Tod des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess abgerissen.

Dass die Kriegsverbrecher weder Einsicht noch Reue zeigten, zeigen auch die Sprechblasen im Comic hervor, von dem die Ausstellung Bilder zeigt. Hitlers Stararchitekt Albert Speer war bei seinen Mitgefangenen unbeliebt, weil er in Nürnberg im Gegensatz zu den anderen Angeklagten so etwas wie Mitverantwortung an Naziverbrechen und Untergang des „Dritten Reichs“ eingeräumt hatte.

Hermann Göring, der zweitmächtigste Mann im NS-Staat, entzog sich 1946 in Nürnberg dem Galgen durch Selbstmord.

Dass er in Nürnberg nicht zum Tod, sondern „nur“ zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, hat Speer überrascht. Nach seiner Entlassung 1966 startete er als Buchautor und Vortragsreisender eine für ihn lukrative Karriere. Seine „Spandauer Tagebücher“ und weitere Rechtfertigungsliteratur standen auf Bestsellerlisten und fanden reißenden Absatz. Er starb 1981 in London als wohlhabender Mann, der sich zu den „guten Nazis“ zählte.

Bilder und Dokumente rund um das Spandauer Kriegsverbrechergefängnis sind der ersten Etage des ehemaligen Zeughauses auf der Zitadelle zu sehen. Zeugnisse der Stadtgeschichte und regionalen Kultur- und Wirtschaftsgeschichte sind im Erdgeschoss ausgestellt.

An Hans Litten erinnert eine schlichte Gedenktafel am Landgericht in der Littenstraße unweit des Berliner Alexanderplatzes.
Fotos/Repros: Caspar
Die Zitadelle in Spandau „bei Berlin“, wie die Einheimischen manchmal sagen, war nicht nur Festung, Kaserne, Waffenarsenal und Schatzhaus der Hohenzollern und des 1871 gegründeten Deutschen Reichs, sondern auch ein gefürchtetes Gefängnis. „Sei artig, sonst kommst du nach Spandau“, warnten Eltern ihre Kinder, doch ob die Warnung etwas genutzt hat, ist nicht überliefert. Die bis 17. Mai 2026 laufende Ausstellung „Spandau Prison 1877 – 1987“ im ehemaligen Zeughaus der Zitadelle erzählt anlässlich des 80. Jahrestags des Kriegsendes die Geschichte des aus der Kaiserzeit stammenden Gefängnisses an der Spandauer Wilhelmstraße. Sie weist darauf hin, dass die rund drei Kilometer davon entfernte Festung mit der Haftanstalt aus der Kaiserzeit nichts zu tun hatte, wohl aber selber ein Gefängnis war, in das die preußische Justiz Rechtsbrecher aller Art und solche, die dafür gehalten wurden, für kurze und lange Zeit schickte.
Der Bau des neuen „Central-Festungsgefängnisses“ begann 1877, vier Jahre später wurden die ersten straffällig gewordenen Soldaten und sowie Kriegsgefangene eingeliefert wurden.Die Ausstellung berichtet, wer die Gefangenen waren, wie sie exerzieren und welche Arbeiten sie verrichten mussten. Interessant zu wissen ist, dass es schon in der Kaiserzeit Versuche gab, die Gefangenen auf die „Zeit danach“ vorzubereiten und in die Gesellschaft wieder einzugliedern. Nach einer spektakulären Befreiungsaktion in der Novemberrevolution 1918 diente der für 300 Personen ausgelegte Komplex als Gefängnis für Zivilisten.
Warten auf Prozesse und Todesstrafe
Die Nazis nutzten es ihn nach 1933 als so genannte Schutzhaftanstalt für politische Gefangene . Unter ihnen waren auch Frauen vor allem aus dem polnischen Widerstand. Manche Insassen warteten hier auf ihre Prozesse, die oft mit der Todesstrafe endeten. Historische Dokumente und Fotografien werden in der Ausstellung durch Darstellungen aus einem von Wiktor Dubnow und Björn Stäble gestalteten Comic ergänzt, der die Geschichte des Gefängnisses und seiner Insassen in moderne Bildersprache übersetzen.
Die Vorgeschichte des Gefängnisses an der Spandauer Wilhelmstraße ist weitgehend unbekannt, denn in Erinnerung ist bis heute vor allem das „Spandau Prison“ für sieben 1946 in Nürnberg zu langen Haftstrafen verurteilte Naziführer und Kriegsverbrecher. Die Siegermächte hatten nach Kriegsende am 8. Mai 1945 die Hauptstadt unter sich aufgeteilt, so wie auch das untergegangene Deutsche Reich in Besatzungszonen untergliedert wurde. Die Ausstellung geht ausführlich auf die sieben Hauptkriegsverbrecher ein, die ihre Strafen in dem von Soldaten der vier Besatzungsmächte USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien streng bewachten Gefängnis absitzen mussten. Neben der Alliierten Luftsicherheitszentrale im ehemaligen Kammergerichtsgebäude war das Spandauer Kriegsverbrechergefängnis die einzige Einrichtung, die von den Siegermächten gemeinsam betrieben wurde und auch während des Kalten Kriegs bestand. Die Besatzungsmächte wechselten sich Monat für Monat ab. Wer gerade das Kommando innehatte, handhabte die Gefängnisordnung mal streng und mal etwas lockerer. Kontakte der Gefangenen untereinander waren streng verboten, aber sie kamen vor, und Verbindungen nach „draußen“ gab es auch, so dass Angehörige und mit ihnen die Öffentlichkeit recht gut über das Befinden der Insassen Bescheid wussten.
„Albert Speer: Eine deutsche Karriere“
Die 1946 in Nürnberg verurteilten Nazi- und Kriegsverbrecher Baldur von Schirach und Albert Speer mussten die zwanzigjährige Zuchthausstrafe bis zum letzten Tag absitzen. Begierig stürzten sich nach ihrer Entlassung die westdeutschen Medien auf sie um zu erfahren, wie sie die Haftzeit überstanden haben. Bücher und Zeitungsberichte über die Haftzeit wurden eifrig gelesen. Der renommierte Zeithistoriker Magnus Brechtken, der in der Ausstellung mehrfach zitiert wird, schildert seinem Buch „Albert Speer: Eine deutsche Karriere“ (Siedler Verlag Berlin 2017, ISBN: 9783827500403), wie sich Hitlers ehemaligem Stararchitekten Rüstungsminister Speer als bloßer Befehlsempfänger und unpolitischer Technokrat ausgab und wie Millionen Deutsche an diese Legende glaubten, um sich selbst zu entlasten. Der Verfasser schildert, wie selbst einflussreiche Intellektuelle wie der Publizist Joachim Fest und sein Verleger Wolf Jobst Siedler an der Legende von Speer als „guten Nazi“ strickten.
Wäre in Nürnberg Speers Rolle bei der brutalen Ausbeutung von Kriegsgefangenen und Sklavenarbeitern in den ihm unterstehenden Rüstungsfabriken untersucht worden und hätten die Richter auch genauer nachgefragt, was Speer und seine Leute taten, um „judenfrei“ gemachte Wohnungen in Berlin an Ausgebombte abzugeben, und welche Rolle die Deportationen von Juden in die Vernichtungslager bei den gigantomanischen Planungen von Hitler und Speer für die „Welthaupstadt Germania“ und der Lösung der Wohnungsfrage spielten, wäre ihm der Strang gewiss gewesen. Lediglich die sowjetische Vertretung im Gericht forderte für alle Angeklagten und also auch für Speer die Todesstrafe, doch setzten die anderen Richter für einige ein milderes Urteil durch. Seine zwanzigjährige Haft kommentierte Schirach, sie seien einem Todesurteil gleich gekommen.
Gespräche mit letztem Gefangenen
Nach der Entlassung von Baldur von Schirach, des ehemaligen Reichsjugendführers und Gauleiters von Wien, und von Albert Speer gab es in dem riesigen Gefängnis nur noch einen Insassen - den zu lebenslangem Zuchthaus verurteilten Rudolf Hess. Hitlers Stellvertreter avancierte zum Idol der westdeutschen Naziszene, die sehnsüchtig auf seine „Befreiung“ wartete. Der SPIEGEL schrieb in seiner Ausgabe 45/1987 „Aber die monströse Umzingelung eines Einzelhäftlings in einem ursprünglich auf 600 Gefangene ausgelegten Kerker, mit dreieinhalb Meter hoher Stacheldrahtarmierung plus Elektrozaun mit 4000 Volt Spannung, einer Wachkompanie im Tages- und Nachtdienst – das alles gab dem Häftling Rudolf Hess mehr Bedeutung, als er als Nazi je hatte.“ Hitlers Stellvertreter war immerhin so interessant, das sich Historiker und Journalisten um ihn bemühten und wissen wollten, wie es 1941 zu dem sensationellen Flug aus Nazideutschland nach England kam und was ihn bewog, Kontakte mit der britischen Regierung aufzunehmen. Der frühere US-Kommandant des Kriegsverbrechergefängnisses Eugene K. Bird schrieb Hess in seinem Buch „Hess, der Stellvertreter des Führers. Englandflug und britische Gefangenschaft. Nürnberg und Spandau“ (München und Basel 1974) als schwierig und als einer, der physisch nicht in der Lage war, sich selbst zu töten. Hess habe seine Taten nie bereut, berichtete Bird. Für ihn sei es ein Risiko gewesen, den Gefangenen am Manuskript mitarbeiten zu lassen. „Es war ein Verstoß gegen die Gefängnisordnung. (....) Ich habe aus gutem Gründen gegen die Vorschrift verstoßen: nur durch mich kann die Welt die wahre Geschichte des Rudolf Hess in Spandau erfahren.“ Bird verlor seinen Posten, weil er gegen die Gefängnisvorschriften verstoßen hatte, und musste aus der US-Army ausscheiden.
„Die Hölle sieht dich an“
Gleich nach dem Tod des ehemaligen Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess am 17. August 1987 wurde das Gefängnis beseitigt, weil man befürchtete, es könne eine Wallfahrtsstätte für Alt- und Neonazis werden. Diese stellen bis heute in Abrede, dass sich ihr Idol selbst umgebracht hat. Dass man mit dem Abriss des Gefängnisses auch das Gedenken an Antifaschisten und Demokraten auslöschte, die hier wie der Rechtsanwalt Hans Litten, der Schriftsteller Carl von Ossietzky, der Reporter Egon Erwin Kisch und viele andere inhaftiert waren, hat man bei dem damals umstrittenen Abriss nicht wahrnehmen wollen. Die Ausstellung lässt sie und andere Antifaschisten zu Wort kommen, zitiert aus Prozessakten und Letzten Briefen und schildert, unter welchen Bedingungen die Gefangenen „gehalten“ wurden. Eine Tafel vermerkt, dass Gefangene in der NS-Zeit zehn Stunden und mehr am Tag Tüten kleben oder andere niedere Arbeiten ausführen mussten. Das aber war ein Weg, um die Einsamkeit, die Torturen der Gefangenschaft und die Ungewissheit aushalten zu können.
Ein anderer Gefangener war der Strafverteidiger Hans Litten. Der Anwalt des Proletariats, wie man ihn nannte, wäre vielleicht unangefochten durch die Weimarer Republik und das „Dritte Reich“ gekommen, schrieb Rudolf Olden, ein Wegbegleiter des Juristen, im Vorwort zum Buch „Die Hölle sieht dich an“ von 1940. Irmgard Litten hatte den Erlebnisbericht ihrem auch genannten Sohn Hans gewidmet und schilderte darin dessen Leiden in den Konzentrationslagern Sonnenburg, Esterwegen, Lichtenburg, Buchenwald und Dachau. Sein Beruf habe ihn zum Kämpfer für das Recht gemacht, so sei er unvermeidlich in Konflikt mit denen geraten, die durch Rechtsbruch heraufsteigen konnten. Ein Mithäftling schrieb über Littens Ankunft in Dachau im Oktober 1937 so. „Er war kein Unbekannter für mich, als er in Dachau ankam. (...) Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wie er aussah, als ich ihn 10 Jahre vorher kennenlernte, aber sein jetziges Aussehen bestürzte mich: da kam ein Mann aus der ,Anführungswache' des Lagers, der am Stock ging und kaum in der Lage war, den Kopfkissenbezug zu tragen, in dem Neulinge Teller, Löffel, Messer, Gabel, Zahnbürste und so weiter erhielten.“
Dass in der Spandauer Zitadelle die von Urte Evert kuratierten Ausstellung Licht in dunkles Kapitel der Stadt- und Landesgeschichte bringt und an aufrechte Antifaschisten erinnert wird, die hier litten und starben, verdient als wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung unserer neueren Geschichte Anerkennung. Der Dokumentation ist ein großes Echo vor allem auch bei jungen Leuten zu wünschen.
1. Oktober 2025