„Gegner werden zerschmettert“
Kaiser Wilhelm II. ging durch gefährliche Donnerworte und utopische Versprechungen unrühmlich in die Geschichte ein

Wilhelm II., der von 1888 bis 1918 regierte, drückte einer ganzen Epoche seinen Stempel auf. Das Mosaik in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zeigt ihn rechts mit seiner Gemahlin sowie seinen Vorfahren. Der Kaiser sorgte dafür, dass seine das Land polarisierenden Parolen im letzten Winkel des Reiches und im Ausland bekannt wurden. Die Untergebenen von „Wilhelm Imperator“ hatten Mühe, die gefährlichsten Stellen zu entschärfen.

Als der Erste Weltkrieg vorbei war, konnte man den großmäuligen, von herrlichen Zeiten und einem Platz der Deutschen an der Sonne schwadronierenden Monarchen mit seinen eigenen Worten attackieren wie hier auf einer Medaille von Karl Goetz. Als Wilhelm II. an der Macht war, wäre das als Majestätsbeleidigung ausgelegt und bestraft worden.

Unverkennbar ist es immer die gleiche Person in unterschiedlicher Verkleidung und Pose, doch jeder wusste, wer gemeint ist – Deutschlands größter Kaiser aller Zeiten.

Die englischen Karikaturen verspotten den Enkel von Queen Victoria und damit mit dem britischen Königshaus eng verwandten Hohenzollernherrscher als Möchtegern-Künstler und aufgeblasenen „Kaiser von China“.

Nach Demonstrationen bleiben Blut an der Wand und eine Kinderpuppe auf der Straße zurück. Die andere Karikatur zeigt, wie Polizisten mit gezogenem Säbel bei Kindern auf „Tuchfühlung“ gehen.

Die sich nur noch mühsam am Leben haltende Fürstenherrschaft im Deutschen Reich nahm Thomas Theodor Heine, der Karikaturist des „Simplicissimus“, aufs Korn. In tiefster Ehrfurcht erstorben - so sahen der von seinem Gottesgnadentum zutiefst überzeugte Wilhelm II. und seinesgleichen am liebsten ihre Untertanen. Des Kaisers Überzeugung, dass es nach Beginn des Ersten Weltkrieg unter seinem Zepter keine Parteien, sondern nur noch Deutsche gibt, galt nicht lange.

Im Ersten Weltkrieg bemühte die Propaganda mit schönen, aber erfundenen Szenen über das angeblich gute Leben an der Front um gute Stimmung zuhause und wie sich der Kaiser persönlich um seine Soldaten kümmert.
Fotos/Repros: Caspar
Mit Säbelrasseln und unvorsichtigen Donnerworten machte der deutsche Kaiser Wilhelm II. und König von Preußen im In- und Ausland immer wieder auf sich aufmerksam. In Trinksprüchen wie „Das Pulver trocken, das Schwert geschliffen, das Ziel erkannt und die Schwarzseher verbannt“ gab er die Richtung an. Der Monarch mit dem Zwirbelbart war so sehr von sich überzeugt und fühlte sich zudem von kaisertreuen Hofschranzen, Schreibern und Speichelleckern bestätigt, dass er Warnungen und Hinweise ignorierte, dass diese Einstellung in der Vergangenheit schon manchem Herrscher Leben und Krone gekostet hat.
Berühmt und berüchtigt wurde der auch als Reisekaiser, Wilhelm der Plötzliche und nach seiner Abdankung Wilhelm der Letzte verulkte Monarch unter anderem durch seine am 27. Juli 1900 in Bremerhaven gehaltene Hunnenrede. Deren Wortlaut ist durch das Stenogramm eines Journalisten erhalten, während die Reichsregierung nur eine entschärfte Fassung der Ansprache an das nach China zur Niederschlagung des Boxeraufstandes entsandte deutsche Expeditionscorps verbreiten ließ. Der chinesische Geheimbund „Fäuste der Rechtlichkeit und Eintracht“ hatte sich gegen die weißen Kolonialherren im Reich der Mitte verschworen und wurde von den Großmächten grausam bekämpft. Offizieller Anlass für die Entsendung der deutschen Soldaten nach China war die Ermordung des Gesandten Clemens von Ketteler am 11. April 1900 in Peking.
Pardon wird nicht gegeben
Die Forderungen des Kaisers fanden ein großes, für ihn aber wenig schmeichelhaftes Echo. „Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht. Wer Euch in die Hände fällt, sei in Eurer Hand. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch in der Überlieferung gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise bekannt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!“ Unverhohlen forderte Wilhelm II. in der „Hunnenrede“ seine Soldaten auf, Chinesen zu töten, wo immer sie vor die Gewehre kommen, und auch keine Gefangenen zu machen. Im Krieg gegen die Boxer unterlag China. Das Reich der Mitte musste 1901 im so genannten Boxerprotokoll die Ansprüche der europäischen Mächte auf chinesisches Territorium anerkennen.
Ganz im Sinne seines kaiserlichen Oberbefehlshabers erklärte „der große General des mächtigen Deutschen Kaisers“ Lothar von Trotha, wie er sich selber nannte, das Volk der Herero in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia“ für vogelfrei. In seiner Proklamation vom 2. Oktober 1904 erklärte er, an die Hereros gewandt: „Ich sage dem Volk: Jeder der einen der Kapitäne an eine meiner Stationen als Gefangenen abliefert, erhält 1000 Mark, wer Samuel Maharero (den Anführer der Herero, H. C.) bringt, erhält 5000 Mark. Das Volk der Herero muss jedoch das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot Rohr (Geschütz H. C.) dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück, oder lasse auf sie schießen.“
Zukunft in Glanz und Gloria
Heute ist kaum noch bekannt, dass Wilhelm II. seine Untertanen regelmäßig mit verbalen Attacken ängstigte oder, je nach politischem Standpunkt und Bindung an das Herrscherhaus, begeisterte. Dem Kaiser entfuhren in seiner Rede über Deutschlands „Platz an der Sonne“ unrealistische Verheißungen für eine Zukunft in Glanz und Gloria – oder, um es mit Blick auf den 47. Präsidenten der USA, Donald Trump zu sagen, ein Goldnes Zeitalter. Er verband seine Visionen mit Drohungen an seine Gegner im Inneren und an ausländische Mächte. Manche Aussprüche waren verbale Entgleisungen spontaner Art, bei anderen war die innen- und außenpolitische Wirkung durchaus berechnet. Wer sich ihm in den Weg stellt, der wird nichts zu lachen haben, kündigte der Kaiser 1890 in der so genannten Zerschmetterer-Rede an. „Ich gedenke, nach Kräften mit dem Pfunde so zu wirtschaften, dass Ich noch manches andere hoffentlich werde darzulegen können. Diejenigen, welche Mir dabei behilflich sein wollen, sind mir von Herzen willkommen, wer sie auch seien; diejenigen jedoch, welche sich Mir bei dieser Arbeit entgegenstellen, zerschmettere Ich.“
Um die zum Teil verheerende Wirkung der Reden und die eigene Lobhudelei abzuschwächen, setzten offizielle Regierungsstellen redigierte Fassungen in Umlauf und tat alles, den Kaiser als „lieben Mann“, wie es in einem patriotischen Lied heißt, und treusorgenden Landesvater erscheinen zu lassen. Historiker haben die Versionen miteinander verglichen. Die meisten geben nur unvollständig wieder, was der Kaiser wirklich gesagt hat. Bei einer Rede in Hamburg am 18. Juni 1901, im zweihundertsten Jahr des Bestehens des preußischen Königtums, teilte der in seine Kriegs- und Handelsflotte vernarrte Monarch Wilhelm II. der Welt mit: „Wir haben uns, trotzdem wir noch keine Flotte haben, so wie sie sein sollte, einen Platz an der Sonne erkämpft. Nun wird es Meine Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass dieser Platz an der Sonne uns unbestritten erhalten bleibt, damit ihre Strahlen befruchtend wirken können auf Handel und Wandel nach außen, Industrie und Landwirtschaft nach innen und auch auf den Segelsport in den Gewässern, denn unsere Zukunft liegt auf dem Wasser.“
Befehle ohne Murren befolgen
Unter Wilhelm II. wurde mit bedeutendem Finanzaufwand ein riesiges Flottenbauprogramm aufgelegt, mit dessen Hilfe die kolonialen Träume der Hohenzollern noch aus der Barockzeit Wirklichkeit werden sollten. Der Monarch, der sich gern in der Uniform eines Admirals ablichten und malen ließ, war davon überzeugt, dass Deutschland auch auf dem Wasser eine Weltmacht sein muss, liegt, und so wurden mit immensen Summen zahllose Kriegs- und Handelsschiffe sowie U-Boote gebaut. Von ihnen wurde ein großer Teil im Ersten Weltkrieg versenkt beziehungsweise aufgrund des Versailler Vertrags von 1919 verschrottet.
Der Monarch hatte allen Grund, sich über die innere Sicherheit Sorgen zu machen. Die Sozialdemokratie machte mobil und forderte eine strikte Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der zum Teil bedrückenden Lebensverhältnisse des Proletariats in den Städten und auf dem Land. Der Kaiser wertete diese Forderungen als Angriff auf sich und seine Vormachtstellung im Reich. Indem er seine Soldaten auf unbedingte Treue und Gehorsam einschwor, forderte er von ihnen: „Es gibt für Euch nur einen Feind, und das ist auch mein Feind. Bei den jetzigen sozialistischen Umtrieben kann es vorkommen, dass ich Euch befehle, Eure eigenen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen – was ja Gott verhüten möge – aber auch dann müsst Ihr Meine Befehle ohne Murren befolgen.“
Am Beginn des Ersten Weltkriegs (1914-1918) gab der Kaiser die Parole „Ich kenne keine Parteien mehr, kenne nur noch Deutsche“ aus, und die meisten Deutschen stellten sich voller Freude hinter ihn. Als Freund markiger Worte sorgte er dafür, dass dieses in schwungvoller Schrift verfasste Zitat in der Presse und auf Postkarten mit seinem Bild bis in den letzten Winkel des Reiches verbreitet wurde. Von jetzt ab müsse mit der Opposition im Reichstag und der Kritik an seiner Politik Schluss sein, war des Kaisers eiserner Wille. In dem Maße aber, wie sich die Lage an den Fronten und in der Heimat verschlechterte, bekam die Opposition Zulauf und führte im November 1918 zum Sturz des Kaisers, zur Abdankung der anderen deutschen Fürsten und zur Ausrufung der Republik. Der in die Niederlande geflohene Monarch und seine Freunde führten die Entwicklung auf „Umtriebe“ angeblich vaterlandsloser Gesellen zurück, die der siegreichen Truppe im Felde einen Dolch in den Rücken gestoßen haben.
Vom Erhabenen zum Lächerlichen
Zweifellos trifft auf auf Wilhelm II. und andere größenwahnsinnige Selbstherrscher, auch solche der Gegenwart, das berühmte Wort von Napoleon I. nach dem Desaster seiner Grande Armée im eiskalten Russland (1812/13) „Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein kleiner Schritt“ zu. Freunde und Mitarbeiter des deutschen Kaisers hatten Mühe, ihn vor sich selbst, vor Lächerlichkeit und vor den Fettnäpfchen zu bewahren, in die er mit schlafwandlerischer Sicherheit trat. Der von seinem Gottesgnadentum überzeugte Monarch war felsenfest der Meinung, dass sein Wille oberstes Gesetz ist. Gern zitierte er die Großen der Geschichte, Bismarck etwa, den er 1890 aus dem Amt des Reichskanzlers und preußischen Ministerpräsidenten gedrängt hatte, weil der dem „persönlichen Regiment“ des zwei Jahre zuvor nach dem Tod Friedrichs III. gelangten Kaisers im Wege stand. In einem Trinkspruch betonte Deutschlands oberster Repräsentant frei nach Otto von Bismarck. Der Reichskanzler hatte am 6. Februar 1888 im Reichstag betont: „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst niemand auf der Welt, und diese Gottesfurcht ist es, die uns den Frieden lieben und pflegen lässt“. In der kaisertreuen Propaganda und Huldigungen, die man Bismarck zukommen ließ, wurde der zweite, auf die Pflege friedlicher Beziehungen unter den Völkern zielende Teil des Ausspruchs weggelassen. Großspurig verkündete Wilhelm II. am 25. August 1910 auch mit Blick auf sein angebliches Gottesgnadentum: „Als Instrument des Herrn Mich betrachtend, ohne Rücksichtnahme auf Tagesansichten und –meinungen, gehe Ich Meinen Weg, der einzig und allein der Wohlfahrt und der friedlichen Entwicklung unseres Vaterlandes gewidmet ist.“
Mann der Arbeit, aufgewacht!
Ungeachtet scharfer Zensurbestimmungen ließ sich Kritik am Kaiser und einen Reden nicht ganz verhindern. Unter besonderer Beobachtung der Polizei und Justiz stand das Münchner Satirezeitschrift „Simplicissimus“. Es nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es gegen fehlende Rechtstaatlichkeit, Ausbeutung und Unterdrückung der Meinungsfreiheit, die bornierte Adels- und Offizierskaste sowie gegen Bigotterie und Doppelmoral und insbesondere die in Bayern so sehr verachteten „Preußen“ ging. Es konnte dann geschehen, dass die Zensur einschritt und auch Verfahren wegen Majestätsbeleidigung eröffnet wurden. Sie machten die Wochenzeitschrift weithin bekannt und trieben ihr im Laufe der Zeit viele neue Leser und Abonnenten zu. Dass das Blatt schon im ersten Jahrgang Gedichte von Georg Herwegh, eines der Wortführer des Kampfes für ein einheitliches demokratisches Deutschland während der Revolution von 1848/9 druckte, war mutig und sorgte für Verbote in Österreich, was die Redaktion als beste Werbung für den Simplicissimus auszuschlachten wusste. Dass Herwegh schrieb: „Mann der Arbeit, aufgewacht! / Und erkenne deine Macht! / Alle Räder stehen still / Wenn dein starker Arm es will“ dürfte den Mächtigen der damaligen Zeit nicht gefallen haben.
24. Januar 2025