Russland und seine alten Grenzen
Warum Wladimir Putin Münzen mit gekröntem Zarenadler prägen lässt



Die Tafel an der Russischen Botschaft Unter den Linden in Berlin zelebriert alte Zarenherrlichkeit.



Zu sehen ist das Sowjetwappen auf zahlreichen bis 1990 geprägten Münzen wie hier auf dem Rubel von 1965 zum 20. Jahrestag des Sieges über den Faschismus und das Ende des Zweiten Weltkriegs.

  

Nach der Auflösung der Sowjetunion verzichtete die Russische Föderation auf Hammer und Sichel wie auf diesem Drei-Rubel-Stück, mit dem Bildnis Zar Peters des Großen zu sehen, und kehrte zum doppelköpfigen Adler noch ohne Zeichen der Zarenherrschaft zurück, dargestellt auf einer Gedenkmünze von 1992 zu Ehren von Katharina II., der Großen.

  

Ereignisse und Gestalten der russischen Geschichte wie Peter der Große werden auf Gedenkmünzen geehrt, kombiniert mit dem Zarenadler. Daneben der 1725 von Katharina I. geschaffene und 2020 von der Russischen Föderation neu gestifteten Alexander-Newski-Orden.

Foto/Repros: Caspar

Mit wachsender Sorge
wird weltweit beobachtet, wie der russische Präsident Wladimir Putin versucht, sich mit Waffengewalt die früher zum Zarenreich und nach 1917 zur Sowjetunion gehörenden Nachbarstaaten unter den Nagel zu reißen beziehungsweise, wie das Beispiel von Belorussland zeigt, sie seinem Einfluss unterzuordnen. Die Einverleibung der Halbinsel Krim in die Russische Föderation Mitte März 2014 war nur der Anfang strategisch ausgerichteter Planungen. Nur weitsichtig Leute im Westen haben den Eroberungsdrang des Diktators richtig gedeutet. Die meisten Beobachter aber glaubten seinen Friedensschalmeien; dabei hätten sie nur seine von Nationalismus und Imperialismus triefenden, freilich mit schönen Worten umschriebenen Verlautbarungen richtig lesen müssen, um ihn zu stoppen und in seine Schranken zu verweisen.
Putin begründete den von ihm verharmlosend „Spezialoperation“ genannten Eroberungskrieg gegen die Ukraine als Kampf gegen ein „großes gemeinsames Unglück“, denn sowohl Russen wie Ukrainer und Weißrussen seien die Erben der alten Rus, des damals der größten Staats in Europa. „Slawische und andere Stämme in einem riesigen Raum - von Ladoga, Nowgorod, Pskow bis Kiew und Tschernigow - waren durch eine Sprache (jetzt nennen wir es Altrussisch), wirtschaftliche Beziehungen, die Macht der Fürsten der Rurik-Dynastie und nach der Taufe der Rus durch den orthodoxen Glauben vereint. Das war die spirituelle Wahl des heiligen Wladimir, der sowohl Nowgorod als auch Großfürst von Kiew war und heute weitgehend unsere Verwandtschaft bestimmt.“

Enge Bindungen zur Ukraine
Diesen Großstaat wiederherzustellen und sich einige Anrainerländer gleich mit einzuverleiben - darin sieht Putin seine historische Mission; dafür ist er bereit, unsere Erde in ein vernichtendes Chaos zu stürzen. „Als die UdSSR zusammenbrach“, so ließ er 2022 die Welt wissen, „glaubten viele in Russland und der Ukraine noch aufrichtig und gingen davon aus, dass unsere engen kulturellen, spirituellen und wirtschaftlichen Bindungen sicherlich erhalten bleiben würden, ebenso wie die Gemeinschaft des Volkes, das sich im Grunde immer vereint fühlte. Doch die Ereignisse – zunächst allmählich, dann immer schneller – begannen sich in eine andere Richtung zu entwickeln. Tatsächlich beschlossen die ukrainischen Eliten, die Unabhängigkeit ihres Landes durch die Leugnung seiner Vergangenheit zu rechtfertigen, mit Ausnahme der Frage der Grenzen. Sie begannen, die Geschichte zu mythologisieren und umzuschreiben, alles aus ihr zu löschen, was uns verbindet, und über die Zeit des Aufenthalts der Ukraine als Teil des Russischen Reiches und der UdSSR als Besatzung zu sprechen. Radikale und Neonazis erklärten offen und zunehmend schamlos ihre Ambitionen. Sie wurden sowohl von den offiziellen Behörden als auch von lokalen Oligarchen verwöhnt, die, nachdem sie die Menschen in der Ukraine ausgeraubt haben, die gestohlenen Waren in westlichen Banken aufbewahren und bereit sind, ihre Mutter zu verkaufen, um ihr Kapital zu retten“, behauptet Putin, der mit „Mutter“ sein diktatorisch beherrschtes Reich meint. Seine Forderungen erinnern fatal an die „Heim ins Reich“-Kampagne der Nationalsozialisten und ihren Versuch, ein Großgermanisches Reich auf Kosten anderer Länder zu errichten und diese zu „germanisieren.“
Das alles will der Präsident in seinem Sinne rückgängig machen und unter den Flügeln des alten Zarenadlers neu ordnen. In seinen Augen war der Zerfall der Sowjetunion 1991 die „geopolitisch größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Er klammert damit den Zweiten Weltkrieg, den Holocaust und andere Menschheitskatastrophen als minder bedeutsam aus. Der ehemalige KGB-Offizier fühlt sich berufen und bekommt von Seinesgleichen lebhaften Zuspruch, diese von ihm und russischen Nationalisten als Schmach empfundene Entwicklung mit politischen und militärischen Mitteln unter Hinzuziehung „fünfter Kolonnen“ wieder gut zu machen, also von Personen und Gruppen, die in ihrer Heimat für die Ziele eines anderen Staates kämpfen. Mit diesem Ziel vor den Augen weiß Russlands Diktator viele seiner Untertanen hinter sich, die zum Teil in erbärmlichen Verhältnissen leben und auf Russlands wiederhergestellte Größe hoffen, die auch ihre Lebenslage verbessern könnte.

Heiliger Georg als Brustschild
Nach der Auflösung der Sowjetunion legte sich die Russische Föderation den doppelköpfigen Zarenadler zu; auf den Münzen allerdings erscheint er zunächst ohne monarchische Zeichen. Russlands derzeit mächtigster Mann lässt sich immer wieder mit der alten Zarenfahne im Hintergrund filmen und fotografieren. Das heutige Wappen Russlands wurde am 30. November 1993 eingeführt. Der doppelköpfige Adler mit zwei kleinen Kronen und einer großen Krone in der Mitte gleicht dem alten Zarenwappen, wie es bis zur Abschaffung der Monarchie 1917 verwendet wurde. Nur ist er nicht mehr schwarz, sondern golden und liegt auf einem roten Schild. In den Klauen trägt der Adler wie zur Zarenzeit ein Zepter und einen Reichsapfel. Der Heilige Georg reitet als Patron des Russischen Reiches auf dem Brustschild von links nach rechts. Weggelassen ist auf dem „neuen“ Wappen die Kette des Andreasordens, der von Zar Peter I., dem Großen, 1698 als höchste Auszeichnung des Landes gestiftet wurde.
Würde heute jemand in Deutschland oder Österreich auf die absurde Idee kommen, das 1806 untergegangene Heilige Römische Reich deutscher Nation wiederherzustellen, man würde ihn für einen geschichtsvergessenen Spinner auslachen und auf seinen Geisteszustand untersuchen wollen. Zu dem Länder-Konglomerat gehörten über lange Zeiten hinweg unter anderem Teile der Niederlande, der Schweiz, Italiens, Ungarns, aber auch Böhmen und weitere Gebiete. Deren Bewohner würden sich heftig gegen fremde Annexionsgelüste zur Wehr setzen.

Unerreichbare Sonderausgaben
Die anfangs in postsowjetischer Zeit geprägten Münzen der Russischen Föderation bilden zwar den doppelköpfigen Adler als Symbol der Bank von Russland ab, doch wird auf Kronen, Zepter und Reichsapfel verzichtet. Bliebe zu sagen, welche Länder bis zum Sturz der Zarenherrschaft 1917 zu Russland gehörten. Das waren bedeutende Teile von Polen, das Russland, Österreich und Preußen im 18. Jahrhundert unter sich geteilt hatten, erst 1918 seine Souveränität erlangte und 1939 das erste Opfer des Zweiten Weltkriegs wurde. Zum Zarenreich gehörten ferner Finnland sowie Estland, Livland und Kurland, aber auch bedeutende Teile der Ukraine einschließlich der unter Katharina der Großen eroberten Halbinsel Krim. Unter russischer Herrschaft standen außerdem Weißrussland, Moldawien, Armenien, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan und weitere Territorien. Ausgeschieden aus dem Russischen Reich war schon 1867 die 1,6 Millionen Quadratkilometer große Kolonie Alaska. Die Eiswüste, wie man sagte, wurde von Russland für lächerliche 7,2 Millionen Dollar an die USA verkauft, was sowjetische und heutige russische Politiker und Nationalisten furchtbar ärgert. Die Russische Föderation unternimmt alles, um auf ihren Münzen und Medaillen durch Darstellung von historischen Personen und Gebäuden sowie der kulturellen und natürlichen Reichtümer des Riesenlandes zu glänzen. Zu diesen Stücken kommen welche, die nationale Jubiläen und Heldentaten feiern. Sie alle bilden ein interessantes Sammelgebiet, das gut katalogisiert ist und es verdient, im Wissen um die politischen und ideologischen Hintergründe kritisch betrachtet zu werden. Dass die Sonderausgaben aus Silber, Gold, Platin und Palladium im eigenen Land kaum erreichbar und noch weniger bei uns zu haben sind, steht auf einem anderen Blatt, Die nach dem von Putin so sehr bedauerten Zerfall des Russischen Reiches beziehungsweise der Sowjetunion selbstständig gewordenen Nachfolgestaaten treten mit eigenen Münzen hervor, die die nationale und kulturelle Identität betonen. Polnische Münzen etwa schildern auf eine künstlerisch sehr gelungene Weise Stationen und Personen der nationalen Geschichte und Kultur. Bei ihrem Anblick sollte nicht übersehen werden, dass die Zaren spezielle Münzen nur für das von ihnen beherrschte Königreich Polen prägen ließen. Diese Stücke finden sowohl in polnischen als auch in russischen Sammlungen einen guten Platz.

5. August 2025