Blick in blutigen Abgrund
Deutsches Historisches Museum erinnert an frühe Ausstellungen über das Wüten der Nazibesatzer in den überfallenen Ländern

  

Das 1898 enthüllte Denkmal des polnischen Dichters Adam Mickiewicz in Krakau wurde während der deutschen Besetzung zerstört. 1946 wurden Reste auf einem so genannten Glockenfriedhof in Hamburg entdeckt, so dass das Denkmal wiederhergestellt werden konnte. Der Kopf und eine Texttafel daneben erinnern in der Ausstellung im Pei-Bau daran, wie die deutschen Besatzer versuchten, das polnische Kulturerbe zu zerstören.

  

Die Ausstellung im Erdgeschoss des Pei-Baus schildert Erfahrungen und Traumata der Naziopfer und besonders der bisher wenig beachteten Opfergruppen. Sie zeigt, wie Überlebende Beweisstücken für die Naziverbrechen sammelten und der Öffentlichkeit nahe brachten. Zu sehen ist auch, wie sie sich mühten, mutwillig zerstörte Gemälde, Musikinstrumente, Bücher und anderes Kulturgut zu sichern und zu restaurieren sowie zertrümmerte Bauten wiederherzustellen.



Die Bronzeskulptur von Henryk Kuna aus dem Jahr 1934 zeigt drei Frauen am leeren Grab Jesu Christi. Das biblische Motiv verstärkte die Atmosphäre der Trauer in der Warschauer Ausstellung. Zugleich waren sie als Zeuginnen der Auferstehung ein Symbol der Hoffnung. Das DHM zeigt diese Gruppe und weitere Exponate der Ausstellung von 1948.



Die Kommandozentrale des Aufstands im Warschauer Ghetto wurde am 8.. Mai 1943 von den Deutschen entdeckt. Fast alle Kämpfer wurden ermordet. Überlebende bauten ein Modell, das im DHM gezeigt wird. Die Regierung verlieh Orden an Widerstandskämpfer, doch der sorgten die Kommunisten dafür, dass „ihr“ Anteil über allem steht.



Fotos zeigen Folter- und Mordstätten wie oben die Nachbildung einer Hinrichtungszelle und helfen auf ihre Weise uns Heutigen, dem „ersten Blicks zurück“ von damals nahezukommen.

Fotos/Repros: Caspar

Das Deutsche Historische Museum (DHM)
zeigt im Pei-Bau neben dem ehemaligen Zeughaus Unter den Linden in Berlin bis zum 23. November 2025 eine Ausstellung über Ausstellungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in London, Paris, Prag, Liberec (Reichenberg), Bergen-Belsen und an anderen Orten die Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten und die Ermordung von sechs Millionen Juden anhand von Schriftstücken, Fotos und Sachzeugen dokumentiert haben. Tausende Menschen schauten damals in einen Abgrund von Blut, Gewalt und Zerstörung, und sie fragten sich, wie es zu diesen Verbrechen kommen konnte und wer sich als „hilfswillige“ Landesverräter den Besatzern zur Verfügung stellte. Abseits von solchen Ausstellungen kam es überall zu Racheakten an Nazi-Kollaborateuren, mit denen sich die Ausstellung aber nicht befasst. Im Zusammenhang mit Grenzverschiebungen wurden Millionen Deutsche etwa aus dem Sudetengebiet und aus Polen ausgewiesen, wobei viele starben und großes Leid erlitten. Das Thema wäre eine weitere, nicht leicht zu gestaltende Ausstellung wert.

Zeugnisse der Brutalität und Menschenverachtung
Gemeinsam veranstaltet mit der Stabsstelle zur Errichtung des Dokumentationszentrums „Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzungsherrschaft in Europa“ (ZWBE), würdigt die Ausstellung die Arbeit von Überlebenden des Naziterrors, die vor 80 Jahren Zeugnisse gesammelt, gewertet und der Öffentlichkeit präsentiert haben. Auf 400 Quadratmetern werden rund 360 Exponate aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Israel, Polen und Tschechien gezeigt. Zu sehen sind Schautafeln und Gästebücher aus den damaligen Ausstellungen, aber auch Plakate und Fotografien der Ausstellungen von damals. Hörstationen dokumentieren Reaktionen damaliger Besucherinnen und Besucher. Die Ausstellung zeigt die Brutalität und Menschenverachtung der SS-Leute, Wehrmachtsangehörigen, Polizisten und Nazifunktionäre in den überfallenen Ländern.
Zu der einzigartigen Ausstellung erschien ein Buch, das von Rafael Groß, dem Präsidenten des DHM, und der Kuratorin Agatha Pietrasik im Christoph Links Verlag Berlin herausbracht wurde. Indem die Ausstellung „Gewaltausstellen: Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa 1945-1948“ ein bisher kaum beachtetes Thema aufgreift, schildert sie, wie die Menschen damals mit Naziterror und Massenmord sowie Widerstand und dem Verlust des kulturellen Erbes umgingen und wie auch Zukunftsvorstellungen in den Ausstellungen behandelt wurde.

Erinnerung als Verantwortung
Raphael Gross erinnert im Buch zur Ausstellung, dass der Deutsche Bundestag im Oktober 2020 die Errichtung eines Dokumentationszentrums zur deutschen Besatzungspolitik in Europa während des Zweiten Weltkriegs beschlossen hat. Bald darauf sei das DHM beauftragt worden, dazu Vorschläge zu unterbreiten. Gross betont, die Gewalt der deutschen Besatzungsherrschaft habe in den europäischen Ländern tiefe Spuren hinterlassen. Viele Verbrechen seien in Deutschland kaum bekannt. An diese Gewaltverbrechen zu erinnern, sei Teil der historischen Verantwortung Deutschlands und eine Voraussetzung für die Bewältigung der Gegenwart. In einer Welt, in der Geschichtsverfälschung und neue Kriege die europäische und globale Ordnung herausfordern, sei es entscheidend, historisches Wissen als Orientierung und Warnung zu vermitteln. Ein gemeinsamer Zugang zur Geschichte sei für die Gestaltung der Gegenwart und Zukunft von zentralere Bedeutung. Die Ausstellung richtet den Blick in einen Abgrund voller Blut und Grauen. Sie zeigt, wie in London die „Lager des Schreckens“ öffentlich gemacht wurden. Die französische Wanderausstellung „Hitlers Verbrechen“ vom Juni 1945 im Pariser Grand Palais er setze sich mit der Kollaboration des Vichy-Regimes mit den deutschen Besatzern auseinander. Weiter geht es nach Warschau, wo das Nationalmuseum mit der Wanderausstellung „Warschau klagt an“ den Blick zurück auf die systematische Zerstörung des nationalen Erbes und nach vorn auf den Wiederaufbau der polnischen Hauptstadt. Drei Jahre später dokumentierte das Jüdische Historische Institut mit „Martyrium und Kampf“ die Verfolgung und Ermordung der polnischen Juden.

Spuren sichern und zeigen
In Zeiten sozialer Not, politischer Instabilität, anhaltender Gewalt und unklarer Zukunftsperspektiven zielten die Ausstellungen der Nachkriegszeit darauf ab, die Auswirkungen des Holocaust und der nationalsozialistischen Verbrechen zu dokumentieren und zu visualisieren. Noch während der Vertreibung der deutschen Bevölkerung eröffnete 1946 im tschechoslowakischen Liberec (Reichenberg) die „Gedenkstätte der Nazi-Barbarei“ in der Villa des Gauleiters Konrad Henlein ihre Pforten. Die Gestalter rekonstruierten in einer Villa, in der die jüdische Familie Hersch gewohnt hatte, wie die Verbrechen geplant und überwacht wurden. Mit „Unser Weg in die Freiheit“ fand 1947 in KZ Bergen-Belsen (Kreis Celle, Niedersachsen) eine der größten Ausstellungen in einem ehemaligen Konzentrationslager statt. Jüdische Überlebende dokumentierten ihre Leiden auf dem Weg in die Vernichtungslager, aber auch die Wiedergeburt jüdischen Lebens und den weiter wirkenden Antisemitismus im Nachkriegsdeutschland.
Kuratorin Agata Pietrasik betont, bei der Ausstellung im DHM sei es darum gegangen, Spuren zu sichern und die damaligen Ausstellungen vorstellbar zu machen, nicht aber um sie zu rekonstruieren. Dem heutigen Publikum werde die Möglichkeit gegeben, sich die Räume und Gestaltungen vorzustellen, sich mit damals gezeigten Objekten auseinanderzusetzen und die jeweiligen Narrative nachzuvollziehen. Zugleich sei es auch darum gegangen, die Menschen hinter diesen frühen Ausstellungen sichtbar zu machen, die Stimmen ihrer Besucherinnen und Besucher einzufangen und Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit den damaligen Inhalten und Kontexten zu schaffen.

Geheimarchiv für die Nachwelt
Die Ausstellung im DHM schildert den Aufstand im Warschauer Ghetto im April und Mai 1943 , der die erste städtische Erhebung gegen die Deutschen im besetzen Europa war. „Falls keiner von uns überlebt, soll wenigstens das bleiben“, schrieb der Historiker Emanuel Ringelblum kurz vor seinem Tod im März 1944. Er hatte mit weiteren Widerstandskämpfern im Warschauer Ghetto ein einzigartiges Geheimarchiv für die Nachwelt angelegt. Nach dem Krieg wurden bei Ausgrabungen knapp 30.000 Blatt des von Emanuel Ringelblum angelegten Archivs gerettet und dem Jüdischen Historischen Institut in Warschau übergeben. Teile der Dokumentensammlung waren in der Warschauer Ausstellung von 1948 „Martyrium und Kampf“ als unersetzliche Quellen für die Erforschung der Geschichte der Juden im besetzten Polen zu sehen. Gesammelt wurden Plakate, Zeitungsberichte, Artikel der Untergrundpresse, Lebensmittelkarten, Einberufungen zur Zwangsarbeit, aber auch Tagebücher, Gedichte und Familienfotos.Polen hat jüdischen Kämpferinnen und Kämpfern Tapferkeitsmedaillen und Orden verliehen. Nach 1948 allerdings wurde die Erinnerung an den jüdischen Widerstand zunehmend in das Bild des antifaschistischen Kampfes integriert und die spezifische Verfolgungserfahrung der jüdischen Bevölkerung ausgeblendet.

23. Juni 2025