Im Erdreich alle Zeiten überstanden Erfurter Silberschatz wurde vor 27 Jahren nicht vollständig abgegeben und erhielt erst jetzt Zuwachs



Eine archäologische und kulturhistorische Sensation ist der Erfurter Schatz, der 1998 entdeckt wurde und dauerhaft in der Alten Synagoge mit weiteren Zeugnissen jüdischen Lebens in Erfurt gezeigt wird. Seit September 2023 steht das Jüdisch-Mittelalterliche Erbe in Erfurt einschließlich des Münz- und Silberschatzes auf der Liste des Unesco-Welterbes.



Die mittelalterliche Synagoge in der Erfurter Altstadt sieht bescheiden aus. Wohl deshalb hat sie alle Stürme der Zeiten überstanden. Von den französischen Turnosen war ein Erfurter Handelsmann so beeindruckt, dass er sie gezielt sammelte.

  

Die kleinen Gewandschließen sind mit Tierfiguren und Ornamenten geschmückt. Sie dienten einst sowohl als Kleidungsverschluss, als auch der Darstellung des vornehmen Status ihres Trägers.



Der wie ein gotisches Gebäude gestaltete Goldring wirbt in Erfurt und darüber hinaus zum Besuch der Alten Synagoge.



Das Mainzer Rad bestätigt Qualität und Gewicht des zum Erfurter Schatzfund gehörenden Silberbarrens aus der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert.



An den Brauch, Tafelsilber und andere Gegenstände aus Edelmetall zu sammeln und einzuschmelzen, um aus ihnen neues Geld zu fertigen, erinnert der Schweriner Vaterlandsgulden von 1813.

Fotos: Caspar, Landesdenkmalamt Erfurt

Wer möchte nicht einmal einen Schatz finden
und sich wie einst der „Graf von Monte Christo“ fühlen? Nur wenigen ist dieses Glück vergönnt, denn der privaten Vermarktung von Boden- und anderen Funden stehen klare Gesetze zu ihren Schutz und ihrer wissenschaftlichen Nutzung entgegen. Ein Bauarbeiter hat 1998 vier Teile aus dem in der Erfurter Michaelisstraße 43 unweit der Alten Synagoge entdeckten Münz- und Silberschatzes mitgenommen und erst jetzt als angeblich "ehrlicher Finder" der Denkmalpflege zum Kauf angeboten. Selbstverständlich kam das „Geschäft“ nicht zustande, statt dessen muss sich der Mann auf ein Verfahren wegen Fundunterschlagung gefasst machen. Einzelheiten des Falles sind, da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, nicht zu erfahren gewesen. Klar ist allerdings , dass der Fund und seine Einzelteile dem Freistaat Thüringen gehören, der ihn der Allgemeinheit zugänglich macht.
Der ehemalige Besitzer des Schatzes war der jüdischen Kaufmann Kalman von Wiehels. Er hatte fast ausschließlich so genannte Turnosen der französischen Könige Philipp III. (reg. 1270-1285) bis Philipp VI. (reg. 1328-1350) beiseite gelegt und verschmähte die ähnlich qualitätvollen Silbergroschen deutscher Landesfürsten. Auf der Vorderseite erkennt man ein Gebäude mit einem Kreuz darüber, während die Kehrseite ein großes Kreuz zeigt. Die Legenden auf beiden Münzseiten enthalten den Namen der Könige und den Hinweis, dass die Geldstücke aus der Stadt Tours stammen, weshalb man sie Turnosen nannte.In Tours hatte Frankreichs König Ludwig IX. (reg. 1226-1270) eine neuartige Münze, den Grossus turonus, aufgelegt. Von dem hochwertigen Geldstück hat man die Bezeichnung „Groschen“ abgeleitet. Er fand große Verbreitung und vielfältige Nachahmungen außerhalb von Frankreich. Man kann darüber spekulieren, welche Mühe der Erfurter Kaufmann bei der Beschaffung dieser Münzen hatte und welcher internationaler Verbindungen er sich bediente, um in ihren Besitz und ganz allgemein der kostbaren Gold- und Silberschmiedearbeiten zu kommen.

Über Jahrhunderte unentdeckt
Dass die jetzt aufgetauchten Gewandschließen zum Schatz des gehören, wurde durch Vergleich festgestellt. Kalman von Wiehels hatte sein Vermögen 1349 im Zusammenhang mit dem Ausbruch der Pest begonnenen Pogrom mit vielen jüdischen Opfern versteckt. Der Schatz war so gut verborgen, dass er über Jahrhunderte unentdeckt blieb. Obwohl nach dem Pogrom von 1349 die Trümmer der eingeäscherten Häuser nach Schätzen und anderen Hinterlassenschaften ihrer Bewohner durchsucht wurden, blieb der Besitz jenes Handelsmannes unbekannt und überstand, in der Erde liegend, alle Kriege und Katastrophen, von denen Erfurt in seiner langen Geschichte reichlich betroffen war.
Der etwa 30 kg wiegende Hort enthält neben 3.142 Silbermünzen aus dem späten 13. und frühen 14. Jahrhundert auch 14 Silberbarren und mehr als 700 Gefäße, Schmuckstücke und andere Zeugnisse gotischer Gold- und Silberschmiedekunst. Die Silberbarren wurden genau abgewogen und bewertet. Unsere Vorfahren haben ihre Qualität durch Stempeleinschläge bestätigt. Die Rundlinge mit einem Feingehalt von etwa 800/1000 entsprechen mit etwa 230 Gramm dem Gewicht einer Kölnischen Mark und haben einen Durchmesser zwischen 60 und 70 Millimeter. Mit ihnen konnte man größere Geldtransaktionen durchführen, etwa wenn ein Haus, ein Grundstück, Kleidung oder Waffen gekauft wurden oder man eine Braut mit Geld ausstatten wollte. Bei Bedarf hat man die Barren zerstückelt und nach Gewicht bewertet.

Schmuck für Hals, Finger und Gewänder
Das Silbergeschirr besteht aus mehreren Bechern, einer Kanne und einer Trinkschale. Hinzu kommen Broschen und Ringe sowie Teile von Gürteln und weiterer edler Besatz von Gewändern. Diese Juwelen meist aus Gold wurden am Hals oder an Fingern getragen beziehungsweise auf kostbaren Stoffen genäht. In einer der Vitrinen wird ein goldener Hochzeitsring gezeigt, der zum Logo des Museums Alte Synagoge avancierte. Die filigrane Goldschmiedearbeit besteht aus einem winziges Gebäude, während zwei verschlungene Hände den Reif bilden.
Funde aus mittelalterlich-jüdischen Zusammenhängen sind sehr selten, da sie in der Vergangenheit häufig missachtet und teilweise auch vorsätzlich zerstört wurden. Unabhängig von ihrer Zuordnung zum Erfurter Schatz kommt den neuen Fundstücken damit eine große Bedeutung zu. Dazu erklärte Sven Ostritz, Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie, als 1998 die ersten Objekte aus dem Schatzfund von Erfurt auftauchten, sahen sie zunächst unansehnlich aus. „Die Bedeutung des in jahrelanger Arbeit restaurierten Schatzes liegt darin, dass er Zeugnis vom mittelalterlich-jüdischen Leben in Erfurt und vom Beitrag der Jüdischen Gemeinde zur Kultur dieser Stadt ablegt.“
Obwohl die Gotik eine besonders schmuckfreudige Epoche war, in der Männer und Frauen ihren Wohlstand mit zahlreichen Schmuckstücken zeigten, und auch Silbergeschirr keine Seltenheit war, haben sich im Unterschied zu Kirchenschätzen solche profanen Goldschmiedearbeiten kaum erhalten. Man beurteilte sie zur Entstehungszeit vor allem nach ihrem Materialwert, denn sie stellten neben ihrer eigentlichen Funktion oft auch eine erhebliche Wertanlage dar. Daher hat man sie bei Bedarf versetzt, verkauft oder eingeschmolzen. Zusätzlich führten schnell wechselnde Moden dazu, dass „altmodische” Gegenstände zu neuen Schmuckstücken umgearbeitet wurden.
Aus Urkunden und Chroniken ist bekannt, dass alter Schmuck, silberne Gefäße und auch Münzen und Medaillen den Rohstoff für neues Geld bildeten. Bekannte Beispiele sind Silbersammlungen nach der Französischen Revolution von 1789 zur Zahlung von Kontributionen und während der Befreiungskriege von 1813 bis 1815, deren Erträge der Ausrüstung von Soldaten dienten. Numismatische Belege sind die von Sammlern gesuchten Münzen mit Aufschriften wie „Zum Besten des Vaterlandes“ oder „Dem Vaterlande“

Bestimmungen des Schatzregal
Sehenswert ist die in ein Museum verwandelte Alte Synagoge zu Erfurt, deren ältesten Bauteile noch aus dem 11. Jahrhundert stammen. Das Gotteshaus war bis zum Pogrom von 1349 das religiöse und kulturelle Zentrum der ortsansässigen Juden, die eine der größten Gemeinden im damaligen Römisch-deutschen Reich bildeten. Als in jenem Jahr das Gerücht gestreut wurde, Juden seien Brunnenvergifter und würden die Pest nach Erfurt holen, kam es zu Gewaltakten, in deren Folge das jüdische Gemeindeleben ausgelöscht wurde und auch der Besitzer des Münz- und Silberschatzes ums Leben kann. Die Synagoge wurde in ein Lagerhaus umgewandelt. Im 19. Jahrhundert war das Gebäude Kaffeehaus beziehungsweise Restaurant mit Kegelbahn und Tanzsaal. Da die ursprüngliche Bestimmung des Gotteshauses in Vergessenheit geraten war, blieb es vom nationalsozialistischen Pogrom am 9. November 1938 verschont. In Thüringen gilt das Schatzregal, nach dem Fundobjekte, deren Eigentümer nicht mehr zu ermitteln sind, Eigentum des Freistaates Thüringen werden, insbesondere, wenn sie bei staatlichen Nachforschungen gefunden wurden oder von hervorragendem wissenschaftlichen Wert sind. Dabei geht es darum, wichtiges Kulturgut für die Allgemeinheit zu sichern und es der Öffentlichkeit in Publikationen oder/und Ausstellungen zugänglich machen. Das hätte der eingangs erwähnte Bauarbeiter wissen müssen, schließlich war er nicht irgendwo in Erfurt tätig, sondern an einer historisch sensiblen Stelle der Altstadt. Dass er nach so langer Zeit die vier Gewandschließen abgegeben hat, wenn auch in Erwartung einer Fundprämie, wird die Justiz sicherlich zu berücksichtigen wissen.

19. Juni 2025