Blick unter die Haut
Medizinhistorisches Museum der Charité ehrt berühmte Ärzte und schaut in Abgründe



Das Medizinhistorische Museum am Virchowweg auf dem Charitégelände dokumentiert die Geschichte der Heilkunde und ehrt seinen Gründer Rudolf Virchow und weitere bedeutende Mediziner.



Das Anatomische Theater war nichts für schwache Nerven, Frauen waren bei öffentlichen Leichenöffnungen nicht zugelassen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts bekam die Charité neue Bauten in der Ziegelstraße nicht weit von der Museumsinsel entfernt.



Mit ihren Forschungen und praktischer Arbeit verhalfen Rudolf Virchow und Robert Koch der Berliner Charité zu Weltruhm. Unzählige Menschen verdanken ihr Leben dem Kampf beider Mediziner gegen Mikroben und ihren Folgen. Das Medizinhistorische Museum der Charité würdigt ausführlich das Lebenswerk dieser Gelehrten.



Das Denkmal auf dem Karlplatz entstand wenige Jahre nach Virchows Tod. Er war zeitweilig Rektor der Friedrich-Wilhelm-Universität (Humboldt-Universität), Mitbegründer unter anderem der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, Abgeordneter sowie Autor namhafter Publikationen und wurde 1891 zum Ehrenbürger der Stadt Berlin ernannt. Robert Koch, der Entdecker des Erregers der Tuberkulose, Professor für Hygiene an der Friedrich-Wilhelms-Universität (Humboldt-Universität), Leiter des Instituts für Infektionskrankheiten der Charité und Nobelpreisträger von 1905 ist sitzend und bekleidet mit einem langen Arztkittel dargestellt.



An Bildern vom Anatomischen Theater, zahlreichen Präparaten und Virchows Arbeitstisch vorbei gelangt man zur „Eisernen Lunge“ aus dem frühen 20. Jahrhundert, die die maschinelle Beatmung eines Patienten ermöglichte.



Rudolf Virchow war nicht nur Mediziner, sondern auch ein streitbarer Politiker, der sich sogar mit Otto von Bismarck anlegte. 1865 zum Duell gefordert, ließ Virchow den mächtigen Politiker abblitzen.



Sehenswert ist der im Medizinhistorischen Museum befindliche Rudolf-Virchow-Hörsaal, der wie andere Bauten auf dem Campus Opfer des Bombenkriegs wurde. Als stattliche Halbruine gesichert, hat er sich zu einem gut besuchten Veranstaltungsort entwickelt.



Der berüchtigte KZ- und SS-Arzt Josef Mengele schickte Leichenteile aus Auschwitz zur Untersuchung in die Berliner Charité.



Im Zusammenhang mit Hitlers Plänen zur Umwandlung Berlins in die Welthauptstadt Germania sollte die Charité an der Heerstraße ein gewaltiges Klinikum erhalten. Aus dem Vorhaben wurde wegen der Kriegsentwicklung nichts.

Fotos/Repros: Caspar

Das erste,
was Besucher und Besucherinnen des Medizinhistorischen Museums der Charité erfahren, ist, dass das Fotografieren in den hellen Räumen der dritten Etage nicht erlaubt ist. Dort sind Präparate und Exponate ausgestellt, die einem manchen Schauer über den Rücken jagen. Zu sehen sind menschliche Schädel, Skelette mit deutlichen Krankheitszeichen, dazu deformierte Gesichter, die in Wachs modelliert wurden, sowie in Gläsern konservierte Gehirne und andere Körperteile. Bei der Führung wird erklärt, dass es der Respekt vor den hier ausgestellten Überresten von Verstorbenen gebietet, auf das Filmen und Fotografieren zu verzichten. Man wisse nicht, von wem die Knochen und Präparate stammen. Es könnten Relikte von den Nationalsozialisten hingerichteten Widerstandskämpfern sowie von Selbstmördern oder Mordopfern sein, die in der Charité seziert wurden und deren Schicksal unbekannt ist.
In der gleichen Etage wird die Geschichte der Charité erzählt, die 1710 in Erwartung der Pest weit außerhalb der Stadt als Krankenhaus errichtet wurde. Man befürchtete zahlreiche Seuchentote, und so traf König Friedrich I. Vorkehrungen, um die Auswirkungen der Epidemie einzugrenzen, die dann aber in Prenzlau Halt machte. Der Monarch ließ auf freiem Gelände zwischen Panke und Schönhauser Graben einen zweistöckigen Fachwerkbau errichten. Dieses Haus war die Keimzelle eines Klinikums, das als Charité Weltruhm erlangte. Das Krankenhaus mit vier Ecktürmen wurde als Lazarett, Arbeitshaus für Bettler und Arbeitslose sowie Alten- und Pflegeheim genutzt. Diese Verwendung aber genügte damaligen Medizinern nicht. Sie schlugen dem Soldatenkönig Friedlich Wilhelm I. vor, in dem Gebäude ein Krankenhaus und eine medizinische Unterrichtsanstalt einzurichten. Er stimmte zu und befahl am 9. Januar 1727: „Es soll das Hauß die Charité heißen“. Dieser Name bezog sich auf die lateinische Bezeichnung Caritas für Nächstenliebe. Das Hospital war nicht nur für kranke Menschen zuständig, sondern auch für die Ausbildung von Militärärzten.

Forschung und Krankenpflege
Aus der Kranken-und Armenanstalt entwickelte sich in den vergangenen 300 Jahren ein international geachtetes Institut, in dem medizinische Forschung ebenso betrieben wurde wie die erfolgreiche Pflege von Kranken. Der Rundgang beginnt mit einem fiktiven Besuch des Berliner Anatomischen Theaters, in dem unter den Augen von Medizinern und solchen, die es werden wollten, sowie von neugierigen Berliner (ohne Frauen!) Tote seziert wurden. Da in Preußen selbst für kleine Diebstähle die Todesstrafe ausgesprochen wurde, herrschte an „Gerichtsleichen“ kein Mangel.
In dem 1899 von dem berühmten Arzt und Politiker Rudolf Virchow gegründeten Pathologischen Museum, das heute Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité heißt, wurde eine Sammlung von Präparaten angelegt und zu einer der größten dieser Art weltweit gemacht. Als das Museum am 27. Juni 1899 eröffnet wurde, verfügte es bereits über mehr als 20 000 von Virchow zusammengetragene Exponate. Mit ihnen wollte der Mediziner angehenden und ausgebildeten Ärzten, aber auch der interessierten Öffentlichkeit einen Blick „unter die Haut“ der Menschen gewähren, wie Virchow sagte, und naturwissenschaftlich fundiert zeigen, wie es zu Krankheiten kommt und wie man sie bekämpft. Die meisten Objekte gingen im Zweiten Weltkrieg verloren, viele Lücken konnte in den vergangenen Jahren durch neue Exponate ersetzt werden.
Gezeigt werden Bilder und Dokumente aus 300 Jahren Berliner Medizingeschichte und schildert, wie sich die Medizin von nutzlosen Heilmethoden zu einer wissenschaftlich fundierten Disziplin entwickelt hat. Die Ausstellung bietet einen Abriss dessen, was sich daraus für Diagnostik und Therapie ergab. Schon bald zeigte sich, dass das Fachwerkhaus aus der Zeit um 1710 nicht ausreichte, um den großen Bedarf an Krankenbetten und Behandlungszimmern zu befriedigen. Da kein Neubau in Sicht war, weil Staatseinnahmen vor allem die Bedürfnisse des königlichen Hofes und des Militärs befriedigen mussten, wurden in der nahe gelegenen Friedrichstraße Wohnungen für medizinischen Unterricht angemietet. Das war auf Dauer ein unhaltbar Zustand, doch bekam die Charité erst im ausgehenden 18. Jahrhundert ein neues Krankenhaus in Gestalt einer Dreiflügelanlage, das zugleich Ausbildungsstätte war. Das Fachwerkhaus von 1710 hatte ausgedient und wurde abgerissen.

Jede Kranken bekam ein eigenes Bett
Da Preußen einen großen „Menschenhunger“ hatte und die Kindersterblichkeit hoch war, spielte die Ausbildung von Hebammen eine große Rolle. Neu in der Charité war auch, dass jeder Kranke ein eigenes Bett bekam, was damals nicht selbstverständlich war. Das half, Genesungsprozesse zu fördern und Infektionsgefahren abzuwehren. Wie im Museum weiter zu erfahren war, wurde das Apothekenwesen neu geordnet und der medizinischen Scharlatanerie der Kampf angesagt. Bis ins 20. Jahrhundert hinein schreckte man nicht vor dem Einsatz hochgiftiger Substanzen wie Quecksilber und Arsen im Kampf gegen Krankheiten zurück. Nach und nach etablierte sich an der Charité weitere Richtungen wie die Zahn- und Augenheilkunde, die Orthopädie und Psychiatrie.
Weil unsauberes Wasser und Unrat auf den Straßen Krankheiten übertragen und für viele, vor allem arme Menschen Hygiene ein Fremdwort war, kam es immer wieder zum Ausbruch von Seuchen. Als 1831 zahllose Berliner an der Cholera starben und auch anderswo, etwa in Hamburg, die Seuche aus diesen Gründen regelmäßig ausbrach, waren drastische Gegenmaßnahmen nötig. Mit großem finanziellem und personellem Aufwand wurden in Berlin die Wasserversorgung und die Entsorgung von Unrat und Abwasser verbessert und damit auch der Ausbreitung von Krankheiten ein Riegel vorgeschoben, so weit das in der immer enger bewohnten und sich an den Rändern ausbreitenden Stadt möglich war. Angemerkt sei, dass Bier wegen seiner Reinheit auch von Kindern lieber getrunken wurde als das aus der verdeckten Spee sowie öffentlichen Brunnen und Pumpen gewonnene Wasser.

Kuhpockenimpfung setzte sich durch
Die Sterblichkeit unter Pockenkranken war immens, denn man hatte keine Gegenmittel. Diejenigen aber, die die Infektion überstanden hatten, waren durch schreckliche Narben gezeichnet, aber sie erkrankten nicht noch einmal. Das machte Mediziner stutzig. In ihrer Not griffen die Ärzte zu der nicht ungefährlichen Methode, gesunde Patienten mit dem Inhalt von Pockenbläschen von Kranken zu infizieren, was auf der einen Seite zu Erfolgen führte, auf der anderen Seite aber zu neuen Krankheits- und Todesfällen. Die vom lateinischen Wort vacca für Kuh abgeleitete Bezeichnung Vakzination für die Kuhpockenimpfung wurde schnell populär, aber die Methode war nicht ungefährlich was die Gewinnung und Verabreichung des Impfstoffes betraf. Da manche Patienten die Impfung nicht überlebten oder schwere Schäden davon trugen, traten Impfgegner auf den Plan. Um das die Kuhpockenimpfung populär zu machen und Vorkämpfer zu ehren, hat man Medaillen vergeben.
Die Eröffnung der Berliner Universität 1810 verschaffte der Charité neue Entfaltungsmöglichkeiten, doch litt sie unter der räumlichen Entfernung von der im Prinz-Heinrich-Palais Unter den Linden untergebrachten Zentrale und der Verteilung über mehrere Standorte quer durch die Stadt. Im Verlauf des 19. Jahrhundert entstanden an der Ziegelstraße und der Luisenstraße im heutigen Bezirk Mitte großzügige Bauten für die Chirurgie sowie Augenheilkunde, ferner Säle für die Unterweisung angehender Mediziner und zur Sektion von Leichen. Diese Neue Charité verfügte auch über Abteilungen zur Aufnahme von Patienten mit Geschlechtskrankheiten, für Geisteskranke, wie man sagte, sowie für erkrankte Strafgefangene.

Schreckliche Verbrechen in der Nazizeit
In der Zeit des Nationalsozialismus geschahen an der Charité unter dem Deckmantel medizinischer Forschung furchtbare Verbrechen. Das Medizinhistorische Museum spart diese dunkle Seite in der Geschichte der Charité und der Medizin in Naziddeutschland nicht aus. Braune Verbrecher in weißen Kitteln unternahmen unmenschliche Versuche an Häftlingen in Konzentrationslagern, bei denen zahllose Gefangene qualvoll starben. Ihnen standen zahllose Opfern der nationalsozialistischen Blutjustiz zu Gebote, und sie erwarben „wissenschaftlichem Lorbeer“ durch die Untersuchung solcher frisch vom Schafott oder dem Galgen angelieferten Leichen. Nach dem Ende des NS-Staates haben blutbesudelte Ärzte ihre Experimente als Dienst an der Menschheit zu erklären versucht. Rund 300 000 als „lebensunwert“ eingestufte Männer, Frauen und Kinder fielen den verharmlosend als Euthanasie (etwa: guter oder schöner Tod) bezeichneten Massenmord zum Opfer. Nach dem Ende der Naziherrschaft konnten manche Nazi-Ärzte und ihre Helfer weiter machen, als sei nichts geschehen. Auch an der Berliner Charité kennt man solche Fälle. Über sie wurde vor einigen Jahren in einer speziellen Ausstellung berichtet.
Große Teile der Charité fielen bei Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche. Die DDR hat die berühmte Kranken- und Forschungsanstalt nach und nach wieder aufgebaut und ihr einen international geachteten Ruf verschafft. Modernes Wahrzeichen des Klinikums, das zugleich als Forschungs- und als Ausbildungsstätte dient, ist der in den 1980-er Jahren errichtete, 86 Meter hohe Neubau mit tausend Betten und 24 Operationssälen. Auf dem Charitégelände, aber auch im Umkreis der Humboldt-Universität werden bedeutende Mediziner und Gelehrte durch Denkmäler und Büsten aus Stein und Bronze geehrt.

15. Mai 2025