Visionär zwischen Null und Eins
Deutsches Technikmuseum Berlin zeigt Konrad Zuses urtümlichen Computer



Konrad Zuse wird in der Straße der Erinnerung im Berliner Spreebogen mit einem Kopf aus Bronze geehrt. Die Ernst-Freiberger-Stiftung erinnert in ähnlicher Weise an Albert Einstein (Foto rechts), Georg Elser, Albrecht Haushofer, Thomas Mann, Walther Rathenau und andere „Helden ohne Degen“.



Mit 67 Jahren wagte Konrad Zuse 1986 einen Nachbau der Z1. Das Riesengerät zieht heute mit weiteren Apparaturen aus Zuses Unternehmen im Deutschen Technikmuseum in Berlin-Kreuzberg bewundernde Blicke auf sich. Gezeigt werden hier auch Dokumente und Bilder aus dem Leben des genialen Erfinders und Unternehmers.

  

Das Wandschild ehrt in der Berliner U-Bahn-Station Weberwiese den genialen Erfinder und Konstrukteur. Die von Heinz Hoyer gestaltete Zehn-Mark-Münze, die 2010 zu Zuses 100. Geburtstag trägt die Randschrift KONRAD ZUSE – VISIONÄR ZWISCHEN NULL UND EINS.



5 An einer Mauer in der Methfesselstraße 7 im Berliner Bezirk Kreuzberg erinnert die Porzellantafel an Konrad Zuse, der im Haus Methfesselstraße 10 von 1936 bis zur Kriegszerstörung 1944 gelebt und gearbeitet hat.

  

Die DDR-Propaganda verschwieg die magere Speicherkapazität des auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1989 mit großem Brimborium gefeierten Chips. Er konnte gerade einmal 35 Schreibmaschinenseiten speichern.

Fotos: Caspar


Ein Leben ohne Computer
, ganz gleich welcher Größe und wo eingebaut, ist für uns nicht mehr vorstellbar. Dass der Helfer in allen Lebenslagen von dem Berliner Ingenieur und Maschinenbauer Konrad Zuse erfunden wurde, ist wohl nur noch Insidern bekannt. Nach seinem Abitur stand der Berliner vor der Frage, ob er Reklamezeichner oder Ingenieur werden soll. Am Geräte- und Maschinenbau interessiert, entschied er sich für einen praktischen Beruf und schrieb sich in der Technischen Hochschule Charlottenburg als Student ein. Sein Herz hing aber weiter an der Malerei, in der er, was kaum bekannt ist, guten Leistungen erzielte. Weitere Felder waren das Kabarett, die Fotografie sowie alles, was mit dem Kino zu tun hatte.

In seiner täglichen Arbeit als Statiker bei den Menscheln Flugzeug-Werken AG Schönefeld bei Berlin hatte Konrad Zuse viel zu rechnen. Doch diese Arbeit war ihm zutiefst zuwider. So tüftelte er an einem „mechanischen Gehirn“, das ihm zeitraubende Rechnerei abnimmt. 1938 baute er die Rechenmaschine Z1, die aber nicht zuverlässig genug arbeitete. Die Z2 besaß bereits ein elektronisches Rechenwerk aus Telefonrelais, und 1941 gelang dem Konstrukteur mit der Z3 der Bau der ersten frei programmierbaren, auf dem binären Zahlensystem basierenden Rechenmaschine der Welt.

Weder Schloss am Meer noch dickes Auto
Dieses damals sehr voluminöse Gerät ging als erster funktionsfähiger Computer der Welt in die Geschichte ein. Allerdings lagen die Einsatzmöglichkeiten dieser Maschine noch im Dunkeln. „Während des Krieges war meine Firma die einzige, die in Deutschland Rechengeräte entwickeln durfte“, erinnerte sich Zuse später. „Kaum jemand konnte sich geschäftliche Aussichten für unser Gerät vorstellen.“ Dass man mit einer solchen Erfindung auch Geld verdienen kann, lag außerhalb seiner Vorstellungskraft. Weder strebte er nach eigenen Worten „ein Schloss am Meer noch ein dickes Auto“ an. Ihm ging es um die Beschleunigung komplizierter Rechenvorgänge und die Nutzung des Geräts für die Technik und Konstruktionen.

Im Zweiten Weltkrieg gingen durch einen Bombenangriff Zuses Geräte und Baupläne verloren. Danach entwickelte er die Programmiersprache „Plankalkül“. Ihm schwebten Maschinen vor, die nicht nur Rechenaufgaben, sondern auch Probleme aus der Kombinatorik lösen können. 1955 begann der Ingenieur die Serienfertigung von Computern. Abnehmer der Geräte vom Typ Z 11 waren vor allem die optische Industrie und Forschungseinrichtungen. Zwar stellte das in Süddeutschland ansässige Unternehmen zahlreiche Computer her, die in Blitzesschnelle eine große Zahl von Rechenoperationen durchführen konnten. Doch hielt sich der geschäftliche Erfolg der Zuse KG und ihrer noch sehr teuren Geräte in Grenzen. Nach dem Verkauf des wenig erfolgreichen Unternehmens an den Siemens-Konzern verschwand der Name des genialen Konstrukteurs aus der Öffentlichkeit.

Ehrgeizige Pläne in der DDR
Es dauerte lange, bis man sich an ihn erinnerte und ihm sogar 2010 anlässlich seines einhundertsten Geburtstag eine Gedenkmünze zu zehn Euro widmete. Im Deutschen Technikmuseum Berlin kann man eine riesige Rechenmaschine vom Typ Z1, die Zuse im hohen Alter nachgebaut hatte, und weitere urtümlich anmutende Computer betrachten. Vor allem junge Leute, die mit diesen „Helfern in allen Lebenslagen“ aufgewachsen sind, kommen aus dem Staunen nicht heraus. Die älteren Gäste erinnern sich nicht nur an die „Dinosaurier“ unter den Computern, sondern erzählen auch, wie langsam sie gearbeitet haben und welche Unsummen für ein solches Gerät bezahlt werden musste.

In dem Zusammenhang sei daran erinnert, dass in der Endphase der DDR auf Befehl der SED und ihres Chefs Erich Honecker große Anstrengungen unternommen, die Mikroelektronik auf das „Weltniveau“ zu heben, ja den zweiten deutschen Staat in eine elektronische Weltmacht zu verwandeln . Mit Computern und seinen Bestandteilen sollte auf dem internationalen Markt viel Geld verdient werden. Um mit Computern glänzen zu können und hohe West-Erlöse zu erzielen, wurde ein ehrgeiziges Programm zur Entwicklung der zur Chefsache erklärten Mikroelektronik aufgelegt. In seinem Buch „Der Absturz“ (1991) beschreibt das ehemalige SED-Politbüromitglied und „Maueröffner wider Willen am 9. November 1989“ Günter Schabowski die Intentionen dieses Programms so: „Was wurde in Zeitungen, Fernsehen und Rundfunk der DDR für ein Aufheben von der Mikroelektronik gemacht! Die Bürger sollten sich mit Stolz aufladen angesichts der mikroelektronischen Potenz der DDR. High-Tech zum ehrfürchtigen Bestaunen, nicht zum Anfassen. Schulklassen mussten sich mit Taschenrechnern begnügen, um einen Begriff von Informatik zu bekommen. Während sich in der Bundesrepublik Computer in der Privatsphäre mehr und mehr verbreiteten, sich Schüler zu Hause spielerisch am Kleinrechner ein neues Stück Allgemeinbildung eroberten, blieb der DDR-Haushalt computerfrei. Das änderte sich kaum, als Ende des Jahres 1988 die ersten DDR-Rechner mit schlichten 8-Bit-Prozessoren zu horrenden Preisen von etwa 3000 Mark im Handel erschienen.“ Für die Entwicklung des Speicherschaltkreises U61000 bekam das Kollektiv des Forschungszentrums 1988 den Nationalpreis. Es wird vermutet, dass bei seiner Entwicklung auch von Agenten der Stasi beschaffte Betriebsgeheimnisse westlicher Forschungseinrichtungen genutzt wurden.

Honeckers teurer Spaß
Fachleuten war klar, dass die DDR im Bereich der Mikroelektronik, und nicht nur in diesem, gegenüber westlichen Ländern um Jahre zurück liegt. Hinter vorgehaltener Hand sprach man von Honeckers teurem Spaß und Geldgrab. Marktführer Toshiba stellte bereits seit zwei Jahren den 1-Megabit-Chip her, der 4-Megabit-Chip und weiter Speichermedien waren in Arbeit. Wenige Woche vor seinem unfreiwilligen Abschied aus der Politik nahm Honecker im August 1989 sichtlich gerührt das erste Muster eines 32-bit-Mikroprozessors aus DDR-eigener Produktion entgegen und lobte sich und das Erfurter Kombinat Mikroelektronik. Der Prozessor entspreche höchsten international bekannten Maßstäben, begeisterte sich der SED- und Staatschef. Allerdings war er einer der wenigen, die diesem Märchen glaubten.

Im SED-Zentralkomitee, in der Akademie der Wissenschaften und an anderen Orten lagen damals in Panzerschränken Dokumente, die klipp und klar erklärten, dass das milliardenschwere Mikroelektronik-Programm der DDR gescheitert und das ganze Geschrei um das ehrgeizige Vorhaben nichts als Lug und Betrug ist. Honecker ignorierte alle Einwände und Warnungen und behauptete, Kritiker wollten nur seinen genialen Plan nur sabotieren. Dabei kostete der 1988 von der DDR für 93 DDR-Mark produzierte 64-Kbit-Chip auf dem Weltmarkt gerade mal einen Dollar, der 534 Mark teure 256-Kbit-Chip war im Westen für zwei Dollar zu haben. Es lag auf der Hand: das Prestigeprogramm, mit dem der SED- und Staatschef auch der auch auf diesem Gebiet hinterher hinkenden Sowjetunion unter Gorbatschow zeigen wollte, wer der bessere Kommunist ist, verschlang nur Geld und brachte kaum etwas ein. Die Mikroelektronik ging mit der DDR sang- und klanglos unter, ihre Hinterlassenschaften wurden verschrottet oder kamen ins Museum.

5. Januar 2024