Spurensuche mit Spaten, Kelle und Pinsel -
Archäologie-Jahrbuch für Berlin und Brandenburg vermittelt neue Einsichten in die Geschichte



Zahlreiche Berliner waren im Umkreis der Nikolaikirche im heutigen Bezirk Mitte beerdigt. Archäologen nutzten Bauarbeiten, um die Bestattungen zu inspizieren. (Foto: Caspar)

Bei Bauarbeiten in Altstädten, der Verlegung von Versorgungsleitungen und Straßen und manchmal auch nur durch Zufall werden Hinterlassenschaften unserer Altvorderen entdeckt. Mit Spaten, Kelle und Pinsel legen die Archäologen Siedlungsspuren, Gräber und Reste von Bebauungen frei. Was dabei in Berlin und dem Land Brandenburg ans Tageslicht kommt, schildert zeitnah und verständlich auch für Laien das Jahrbuch „Archäologie in Berlin und Brandenburg“, das von der Archäologischen Gesellschaft in Berlin und Brandenburg e.V. in Zusammenarbeit mit den Denkmalämtern beider Bundesländer herausgegeben wird. Die zeitliche Spanne der neuesten Ausgabe über die Grabungskampagne von 2004 reicht von der Steinzeit bis ins 20. Jahrhundert, von über 13 000 Jahre alten Steinwerkzeugen der Rentierjäger bis zu grausigen Zeugnissen nationalsozialistischen Terrors im Form von herausgeschlagenen Zähnen, die im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen gefunden wurden.

Die Hauptstadt ist in dem reich illustrierten Band mit zehn Beiträgen gut vertreten. Vor allem Grabungen in Kirchen und Kapellen haben die Archäologen beschäftigt. Sie waren zur Stelle, als die mittelalterliche Heilig-Geist-Kapelle an der Spandauer Straße saniert und restauriert wurde und im Erdreich Bestattungen sichtbar wurden. Eine dabei gefundene Grabplatte ziert jetzt den Fußboden der Kapelle. Bevor die denkmalgerecht sanierte Ruine des ehemaligen Franziskanerklosters an der Klosterstraße nicht weit vom Alexanderplatz der Öffentlichkeit übergeben wurde, blickten die Ausgräber in den Boden und erkundeten die Entstehungsgeschichte des Gotteshauses. Es zeigte sich, dass das Gotteshaus ursprünglich größer geplant war als es dann wirklich ausgeführt wurde. Im Umkreis der Nikolaikirche wurden auf einem schon lange aufgelassenen Friedhof hunderte Skelette entdeckt. Besondere Aufmerksamkeit findet in den Buch der Schädel eines Mannes, der mehrere Einhiebe erleiden musste, bis man den Kopf vom Rumpf trennte. Andere Knochenreste deuten auf starke körperliche Beanspruchung vor allem von Männern und degenerative Vorgänge in höherem Alter hin. In der Marienkirche schließlich, nicht weit vom Fernsehturm entfernt, erkundeten die Spezialisten, wie der Fußbodenaufbau dieses Gotteshauses ursprünglich ausgesehen hat. Bevor der Friedrichswerder unweit des Schlossplatzes neu bebaut wurde, haben Archäologen auch dort nachgeschaut und interessante Einsichten gewonnen. Der Fund einer steinernen Reliefplatte mit der Darstellung des auch als Schutzpatron der Gefangenen verehrten Heiligen Georg wird mit der Existenz der Hausvogtei, also des Berliner Stadtgefängnisses, in Verbindung gebracht, das hier vor langer Zeit den Berlinern Angst machet.

Landesarchäologin Karin Wagner kündigte bei der Vorstellung des Jahrbuches im Schloss Charlottenburg an, dass in diesem Jahr das Viertel rund um die Franziskanerklosterkirche und der Bereich am Molkenmarkt im Blick der Archäologen sein wird. Dazu komme auf die Archäologen viel Arbeit im Zusammenhang mit dem Abriss des Palastes der Republik und der Anlage einer Grünfläche zu. Die bereits ausgegrabenen Schlosskeller müssten von Pflanzenbewuchs befreit und wieder in einen vorzeigbaren Zustand versetzt werden. Der damit betraute Schlossbauverein sei seiner Verpflichtung, dies zu tun, nicht nachgekommen. Geplant seien für die Saison 2006 ferner Rettungsgrabungen am Burgwall in Spandau, die Untersuchung eines ehemaligen nationalsozialistischen Zwangsarbeiterlagers in Schöneweide sowie einer eisenzeitlichen Siedlung in Buchholz. Außerdem seien gartenarchäologische Maßnahmen im Britzer Schlossgarten geplant. Was den Archäologen bei Instandsetzung des Schlosses Köpenick und seinem Umfeld in die Hände fiel, wird im Kellerbereich des als Kunstgewerbemuseum genutzten Barockgebäudes ausgebreitet. Das Jahrbuch geht auf die Fundstücke ein und macht damit auch neugierig, die ehemalige kurfürstliche Residenz mit langer Vorgeschichte in Augenschein zu nehmen. Das Jahrbuch hat 164 Seiten mit 142 überwiegend farbigen Abbildungen. Es erschien im Konrad Theiss Verlag Stuttgart und kostet 26,50 Euro (ISBN 3-8062-2020-4).

Helmut Caspar

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