Reise in die Urgeschichte
Im Museumspark Rüdersdorf blieben 200 Jahre alte Industriebauten erhalten



Die 1804 erbauten Rumfordöfen wurden in den vergangenen Jahren als wichtige Zeugnisse der Industriegeschichte restauriert. (Foto: Caspar)

Wer das auf 17 Hektar verteilte Freilichtmuseum Museumspark Rüdersdorf direkt an der Autobahn 10 östlich von Berlin besucht, kann eine Reise in die Urgeschichte unternehmen, sich aber auch mit Methoden der Kalksteingewinnung und der Baustoffproduktion im 19. und 20. Jahrhundert vertraut machen. Über das ganze Gelände sind restaurierte Anlagen verstreut, die an die Gewinnung von Kalksteinen im Tagebau und ihre Umwandlung in Mörtel und Zement erinnern. Schon vor über 750 Jahren hat man hier Kalkstein abgebaut, im Mittelalter im Auftrag eines Klosters, seit dem 16. Jahrhundert unter landesherrlicher Regie. Die mächtigen Kalkablagerungen sind Rückstände eines Meers, das die Gegend vor 240 Millionen bedeckte. In dem erst vor ein paar Jahren als Museum eingerichteten „Haus der Steine“ gleich beim Eingang sind Fossilien und Mineralien ausgestellt, die auf dem weitläufigen Tagebaugelände entdeckt wurden und heute noch gefunden werden. Unter sachkundiger Führung kann man bei geologischen Wanderungen solche Fossilien suchen, bestimmen und auch mitnehmen.

Sehenswert sind zwei aus dem frühen 19. Jahrhundert stammende Öfen, die nach ihrem englischen Konstrukteur, dem Earl (Grafen) Benjamin of Rumford, benannt sind. Diese in den vergangenen Jahren sorgsam restaurierten Rumfordöfen haben eine pyramidenförmige Gestalt und dienten dem Brennen der in kleine Stücke zerschlagenen Kalksteine. Indem diese durch Befeuerung zum Glühen gebracht wurden, verwandelten sie sich in Branntkalk. Das Material wurde zermahlen und in Fässern transportiert. Mit Wasser und Sand vermengt, hat man es zur Herstellung von Mörtel für den Hausbau verwendet. Die im Rüdersdorfer Tagebau gebrochenen Steine und der in den Öfen gewonnene Branntkalk gelangten auf Kanälen sowie über die sich anschließende Seenkette nach Berlin, das im späten 19. Jahrhundert einen großen Bedarf an Kalksteinen, Mörtel und Zement aus Rüdersdorf hatte. Da man in Preußen großen Wert auf gut gestaltete Industrie- und Wirtschaftsbauten legte, hat man die Öffnungen dieser nach zwei Ministern – Friedrich Anton von Heinitz und Ludwig Friedrich von Bülow – benannten Kanäle durch steinerne Bögen eingefasst. Eines dieser klassizistisch gestalteten Eingangsportale trägt die Jahreszahl 1816. Riesige Löwenköpfe flankieren die Inschrift.

Die pyramidenförmig gebauten Rumfordöfen sind aussagestarke Zeugnisse der Industriegeschichte und stehen mit weiteren Bauten auf dem Gelände unter Denkmalschutz. Als sie um 187l außer Betrieb genommen wurden, hat man einen in eine Papierverbrennungsanlage verwandelt, einen anderen Wohnzwecken zugeführt. Außer diesen beiden Rumfordöfen gab es noch zwei weitere, doch wurden sie im Wendejahr 1989 gesprengt, was heute als herber Verlust gewertet wird. Nach der Besichtigung der Gewölbe, in denen die mit Holz und Kohle vermengten Steine geglüht wurden und sich dabei chemisch verwandelten, kann man im vorderen Rumfordofen durch die mit Betten, Schränken, Stühlen und Tischen recht einfach ausgestattete Wohnung des Werksangehörigen gehen. Die Einrichtungsgegenstände aus dem frühen 20. Jahrhunderts sind Spenden von Rüdersdorfern.

Da die Kapazität der recht urtümlich anmutenden Rumfordöfen begrenzt war, wurden sie um 1871, als gerade das deutsche Kaiserreich gegründet war, durch eine neuartige Schachtofenbatterie abgelöst, die bis 1967 in Betrieb war. Zum Glück wurde dieses technische Denkmal, wie andere historische Bauten auf dem Betriebsgelände auch, nicht abgerissen. Zwar wurde eine denkmalpflegerische Dokumentation in der späten DDR-Zeit angelegt, doch kamen konkrete Rettungsmaßnahmen erst nach der Wiedervereinigung zustande. Heute zeigen sich die röhrenartig in den Himmel ragenden Öfen in restauriertem Zustand. In einer kleinen Freiluftausstellung sieht man auf Fotos aus der Kaiserzeit dunkel qualmende Schlote und schwitzende Männer beim Abladen der zum Brennen bestimmten Kalksteine beziehungsweise vor den glühend heißen Ofenlöchern, die immerzu mit Kohlen versorgt werden mussten. Die Bilder unterstreichen, dass die Arbeit in den Rüdersdorfer Kalkwerken ein ausgesprochener Knochenjob war. In DDR-Zeiten wurde sträflicherweise auf die Umwelt keine Rücksicht genommen, ist weiter zu erfahren. Der Ausstoß aus den Schloten ohne Filter betrug täglich über hundert Tonnen. Vor allem in der Nacht rieselte Zementstaub auf Menschen, Pflanzen, das Erdreich und die Bauten in Rüdersdorf und Umgebung. Und so konnte es geschehen, dass Dächer einstürzten, weil sie die Last der steinharten Schichten nicht mehr aushielten. Wenn sich Anwohner und Arbeiter sowie Gefangene, die in dem Zementwerk eingesetzt waren, über den Staub beschwerten, der die Lungen angriff und schwere Gesundheitsschäden hervorrief, wurde ihnen achselzuckend vorgehalten, sie würden nicht verstehen, „dass bei modernen neuen Industrieanlagen nicht die technologischen Voraussetzungen für die Reinhaltung der Luft geschaffen werden können“. Filteranlagen würden die Produktion drosseln, und da Rüdersdorfer Zement ein wichtiger Devisenbringer ist, könne man sich solche Einschränkungen nun einmal nicht leisten. Heute liegt die Staubemission des nahegelegenen Zementwerks, das zur Readymix AG gehört, unter der amtlichen Norm.

Dass Rüdersdorf schon lange nicht mehr das verrufene „Drecknest“ von früher ist, bestätigt Uwe Waskow, der Wirt des Restaurants „Kalkscheune“ im ehemaligen Magazingebäude gleich am Eingang des Museumsparks. Er hält zu allen Jahreszeiten kulinarische Überraschungen und Spezialitäten aus der brandenburgischen Küche bereit und freut sich schon auf das traditionelle Bergfest, zu dem der Museumspark Rüdersdorf vom 30. Juni bis 2. Juli einlädt. An jenem Wochenende haben Besucher die Möglichkeit, sich in sachkundigen Führungen über Tradition und Gegenwart des Bergbaus östlich von Berlin zu informieren. Das Fest beginnt am Freitagabend gegen 21 Uhr mit dem Einzug der Bergleute und sieht unter anderem am Sonnabendmittag eine Schausprengung vor, die einmal im Jahr, und zwar nur während des Bergfestes, stattfindet. Der Sonntag beginnt um 11 mit dem traditionellen Festumzug. Auf dem Programm stehen ferner ein Festkonzert der Bergkapelle Rüdersdorf an, die 2006 ihr 150jähriges Bestehen feiert, sowie Führungen durch den Museumspark, aber auch Veranstaltungen für Kinder vor, die sich in einem Streichelzoo die Zeit vertreiben können. Weitere Informationen über die Ausstellungen und das Bergfest im Internet unter www.museumspark.de oder telefonisch 033638/77460.

Helmut Caspar

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