„Aller Taten beste Tat / Ist: Keime pflanzen für den Staat“ -
Vor 200 Jahren begründete Albrecht Daniel Thaer in Möglin am Rand des Oderbruchs die Agrarwissenschaft



Auf dem Berliner Schinkelplatz nicht weit von der Straße Unter den Linden erhebt sich neben den Denkmälern von Schinkel und Beuth, dem Chef des preußischen Gewerbeinstituts, auch das von Albrecht Daniel Thaer. (Foto: Caspar)

Berlin. Zu den herausragenden Agrarwissenschaftlern des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts gehört Albrecht Daniel Thaer. Der vor 250 Jahren, am 14. Mai 1752, in Celle geborene Landwirt und Professor der Cameralwissenschaften an der Berliner Universität war ursprünglich Arzt wie sein Vater. Doch entwickelte er schon früh ein Faible für die Landwirtschaft. 1804, nach seiner Übersiedlung nach Preußen, erwarb Thaer, der bereits in Celle ein landwirtschaftliches Lehrinstitut geleitet hatte, das 250 Hektar große Gut Möglin bei Wriezen (Märkisch Oderland), um hier seine Visionen in die Praxis umzusetzen. Dass ein Bürgerlicher das heruntergekommene, aber adlige Rittergut erhielt, war neu und gewöhnungsbedürftig. Jahrzehnte später stiegen viele Leute ohne blaues Blut und langen Stammbaum in die Landwirtschaft ein und waren erfolgreich, weil sie Thaers in vielen Büchern dargelegten Lehren befolgten.

„Ehre deinem Heldentume, / Dreimal Ehre deinem Ruhme, / Aller Taten beste Tat / Ist: Keime pflanzen für den Staat“ – mit diesen Worten fasste der Romancier Theodor Fontane sein Lob in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ für „Vater Thaer“ zusammen. Der Gelehrte sei genialisch und exzentrisch gewesen, er habe „etwas Wunderkindartiges an Gaben wie an Unarten“ gehabt. Querdenker und Visionäre wie Thaer wurden vor 200 Jahren dringend gebraucht. Da um 1800 der Agrarstaat Preußen mit seiner Landwirtschaft der Zeit hinterher hinkte und immer wieder mit Versorgungskrisen und Hungersnöten zu kämpfen hatte, war die Regierung an Verbesserungen stark interessiert. Und so fielen Thaers Forderungen, die Landwirtschaft auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen sowie neue Anbau- und Erntemethoden anzuwenden, auf fruchtbaren Boden.

Preußen befand sich vor 200 Jahren nach dem verlorenen Krieg gegen Frankreich in einer äußerst schwierigen politischen und wirtschaftlichen Situation. Sie zu überwinden, waren umfassende Reformen nötig. Thaer und andere weitblickende Persönlichkeiten erkannten, dass die Gesundung des Staates nur dann gelingt, wenn die Menschen frei sind und auch frei über die Produktionsmittel, also Grund und Boden, verfügen können.

Nach seiner Übersiedlung nach Preußen im Jahr 1804 kaufte der inzwischen als Autor landwirtschaftlicher Lehrbücher bekannte Gelehrte das Gut Möglin bei Wriezen im heutigen Landkreis Märkisch-Oderland, um hier seine Erkenntnisse über Fruchtwechsel und Kleeanbau in die Praxis umzusetzen und durch handfeste Beweise Vorurteile gegen die von ihm als notwendig erkannten Neuerungen abzubauen. Für Thaer war die Entwicklung der Landwirtschaft eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung des Staates. „Der höchste reine Vortheil aus dem landwirthschaftlichen Gewerbe ist auch der höchste Vortheil für den Staat und die allgemeine Wohlfahrt“, schrieb er. König Friedrich Wilhelm III. war beeindruckt und sicherte der 1806 gegründeten Mögliner Lehranstalt ausdrücklich „Schutz und Begünstigung“ zu. In Möglin zeigte Thaer, welche erstaunlichen Erträge durch Melioration der Böden und Einsatz neuer Bearbeitungsgeräte, aber auch durch Fruchtwechsel und unkonventionelle Methoden zur Viehfütterung erzielt werden können. Die von ihm eingeführte Sommerstallfütterung war gewöhnungsbedürftig, weil bis dahin die Tiere auf der Weide und im Wald gehalten wurden, was der aufstrebenden Forstwirtschaft erheblichen Schaden zufügte. Sommerstallfütterung führte zur Leistungssteigerung in der Tierproduktion und hatte den Vorteil, dass der anfallende Stallmist ein willkommener Dünger zur Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit und damit zur Ertragssteigerung auf dem Acker war.

Als Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften und zum „Geheimen Kriegsrat“, später zum Staatsrat im Innenministerium ernannt, war es Thaer möglich, an führender Stelle bei der Ausarbeitung der preußischen Agrargesetze mitzuwirken, mit denen nach der Niederlage von 1806 die Bauernbefreiung auf den Weg gebracht wurde. Dabei mussten viele Widerstände der Gutsherren überwunden werden, die an ineffektiven Arbeitsweisen festhielten und auch nicht bereit waren, auf Hand- und Spanndienste ihrer „Untertanen“ zu verzichten.

Nach der Gründung der Berliner Universität 1810 stand Professor Thaer ein akademisches Forum zur Verfügung, vor dem er seine Lehren vertreten konnte. Sein Experimental- und Mustergut Möglin wurde europaweit zum Begriff, ein Wallfahrtsort, den man besucht haben musste, um auf dem Laufenden zu sein. Hierher kamen viele Wissenschaftler und Landwirte aus aller Herren Länder, um die Neuerungen in Augenschein zu nehmen, und wer das nicht konnte, las die stets an der Praxis orientierten Ratschläge in den vielen Büchern nach, die Thaer bis zu seinem Tod im Jahr 1828 veröffentlichte.

Die Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin steht in der Tradition Thaers, der 1828 starb, und pflegt sein Erbe. Anfang Juli erinnerte sie mit einer Reihe von Festveranstaltungen und Vorträgen nicht nur an die Gründung der Mögliner Akademie vor 200 Jahren, sondern auch daran, dass die Königlich Landwirtschaftliche Hochschule vor 125 Jahren in einem neuen Gebäude an der Invalidenstraße 42 auf dem Gelände der ehemaligen Königlichen Eisengießerei ihre Pforten öffnete. Die Veranstaltungen würdigten nicht nur Thaer und seine bahnbrechenden Leistungen, sondern setzten sich auch kritisch mit der neueren Geschichte der Bildungseinrichtung auseinander. In der Nazizeit der Berliner Universität angegliedert und von jüdischen und regimekritischen Mitarbeitern „gesäubert“, wie es damals hieß, diente die Fakultät nationalsozialistischer Gewalt- und Geopolitik, arbeitete an Plänen zur Vertreibung der alteingessenen Bevölkerung in den so genannten Ostgebieten und der Ansiedlung deutscher Bauern mit. Nach dem Zweiten Weltkrieg litt die Landwirtschaftliche Fakultät unter der Spaltung der Stadt. Erst 1994 wurden der an der TU Berlin (West) angegliederte Fachbereich Internationale Agrarentwicklung und die an der Humboldt-Universität (Ost) arbeitenden Sektionen als Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät unter dem Dach der Humboldt-Universität zu Berlin neu gegründet. Versuche des Landes Berlin, die renommierte Lehr- und Forschungseinrichtung zu schließen, scheiterten an nationalen und internationalen Protesten. Trotzdem haben die Einschnitte für die in Berlin-Mitte und in Berlin-Dahlem tätige Fakultät mit 1400 Studierenden durch Sparmaßnahmen bedenkliche Ausmaße erreicht. Auch deshalb hatten die Veranstaltungen das Ziel, neue Impulse für zukunftsorientierte Themen in Lehre und Forschung zu vermitteln und einmal mehr zu zeigen, dass Landwirte, Gärtner, Fischer und Forstwirte eine immer größere Verantwortung für Erhalt und Gestaltung einer lebenswerten Umwelt haben.

Helmut Caspar

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