Fliegende Kisten zu Kampfmaschinen -
Einblicke in die Geschichte des Militärstandortes Döberitz
bei Berlin



Nach dem Ersten Weltkrieg war Döberitz ein Flugzeugfriedhof. Die Karriere des Standortes bekam erst nach 1933 einen unerwarteten Auftrieb. (Repro aus dem besprochenen Buch)

Wer die Berliner Innenstadt verlässt und auf der Bundesstraße 5 nach Westen fährt, erreicht noch vor dem ehemaligen Olympischen Dorf in Elstal ein früheres Truppenübungsgelände, das heute Naturschutzgebiet ist – Dallgow-Döberitz im Landkreis Havelland. Angelegt schon unterm Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., sah der Standort alles, was in den letzten drei Jahrhunderten Uniform trug. Zum Schluss manövrierten auf streng abgeschirmten Gelände Soldaten der Roten Armee. Friedrich der Große hielt auf dem Truppenübungsplatz im September 1753, drei Jahre vor dem Siebenjährigen Krieg, ein geheimes Manöver ab, wobei er Sorge trug, dass die Türme der nahe gelegenen Festungsstadt Spandau gesperrt wurden. Unbefugte sollten nicht zuschauen.

In ihrem Buch über den Militärstandort Döberitz und die Anfänge der deutschen Militärfliegerei geben sich Kai Biermann und Erhard Cielewicz nicht lange mit dessen früher Geschichte ab, sondern schildern gleich zu Beginn, wie die sandige Gegend binnen weniger Jahre in ein hochkarätiges Übungsgelände verwandelt wurde. Kaiser Wilhelm II., der es auch als privates Jagdgebiet nutzte, hatte vor rund 110 Jahren die entsprechende Befehle erteilt und auch dafür gesorgt, dass es über gut ausgebaute Straßen schnell erreichbar ist.

Neben seiner Funktion als Übungsplatz der kaiserlichen Garde gewann Döberitz nach 1900 Bedeutung auch als Testgelände für die noch in den Kinderschuhen steckende militärische Luftfahrt. Allerdings hatte es die Heeresfliegerei anfangs nicht leicht, ernst genommen zu werden, wie die Autoren in ihrer eindrucksvollen, mit vielen unbekannten Bildern versehenen Dokumentation schildern. Solange die „Aviatik-Doppeldecker“ als Waffen noch nicht entdeckt waren, blickten hohe Militärs verächtlich auf die fliegenden Kisten herab. In ihren Augen waren sie nur unnützes Spielzeug und den Zeppelinen unterlegen. Erst als sich Frankreich und England wendige Militärflugzeuge zulegten, wachte man im Kaiserreich auf und ging daran, eigene Kampfmaschinen zu entwickeln. Dass das mit vielen Misserfolgen verbunden war, schildern die Autoren ebenso wie sie ihren Lesern die im Volk nun aufkommende Begeisterung für die neuartigen Luftfahrzeuge vermitteln. Döberitz avancierte zum zentralen Ausbildungs- und Testgelände der preußisch-deutschen Militärluftfahrt, und die Fliegerei wurde für die Industrie zu einem Bombengeschäft, wie die Autoren schreiben.

In Döberitz ausgebildete „Flieger-Asse“ besorgten im Ersten Weltkrieg die Luftaufklärung und ließen Bomben auf feindliche Städte regnen. Doch änderte der Einsatz der Jagdgeschwader an der schweren Niederlage des Kaiserreichs nichts. Nach der Novemberrevolution (1918) war die Militärfliegerei am Ende. Der Versailler Vertrag verbot der neuen deutschen Republik den Unterhalt von Luftstreitkräften, doch wurde diese Bestimmung heimlich umgangen. Flugzeuge wurden im Ausland gebaut, und auch das Personal wurde dort trainiert. Auch im Reich gab es abgeschirmte Schulungszentren.

In der späten Weimarer Republik trat der spätere Hauptkriegsverbrecher Hermann Göring als Agitator für die deutsche Luftrüstung auf den Plan, ein hochdekorierter Flieger des Ersten Weltkriegs und NSDAP-Mitglied seit 1922. Der „Fliegerheld“ von barocker Körperfülle mit ausgeprägtem Hang zu Orden, Ämtern und Kokain kam allerdings erst nach der Errichtung der Nazidiktatur (1933) richtig zum Zug. Und hier beginnt ein weiteres Kapitel in der Geschichte von Döberitz, das großzügiger denn je mit Kasernen und Ausbildungsstätten bestückt wurde. Reichsluftfahrtminister und Reichsmarschall Göring war endlich in seinem Element, sorgte neben der Förderung seiner Karriere auch für den für den Ausbau des Standortes Döberitz. Nachdem „seine“ Bombergeschwader im Spanischen Bürgerkrieg 1936 ihre erste Feuerprobe bestanden hatten, waren sie im Zweiten Weltkrieg bei der erbarmungslosen Zerstörung von Warschau und anderen Städten zur Stelle.

Weitgehend unzerstört und kampflos wurde Döberitz am 23. April 1945 von der Roten Armee besetzt. Damit begann das dritte Kapitel in der Geschichte des Flugplatzes. Was in dem Sperrgebiet vorging, ist schwierig zu rekonstruieren; die Sowjets ließen niemanden herein. Zeitzeugen, die von den Autoren befragt wurden, lassen etwas vom spannungsreichen Zusammenleben zwischen den Einheimischen und den Sowjetsoldaten ahnen, deren Kasernendasein alles andere als human war. Was von den Militärbauten übrig blieb, ist kläglich und wird von Vegetation überwuchert. Warnschilder weisen darauf hin, dass von „dieser Liegenschaft“ erhebliche Gefahren ausgehen. Vieles ist in dem von der Heinz-Sielmann-Stiftung übernommenen Gelände bereits ab- und aufgeräumt. Mit einem Ausblick auf die touristische Erschließung des nunmehr friedlichen Standortes endet die lesenswerte Zeitreise. In ihr haben Biermann und Cielewicz unter Zuhilfenahme vieler bisher unbekannter Archivalien sowie von Augenzeugenberichten und interessanten Bildern ein wichtiges Stück Militär- und Heimatgeschichte gut verständlich aufgearbeitet.

Kai Biermann, Erhard Cielewicz: Flugplatz Döberitz. Geburtsort der militärischen Luftfahrt in Deutschland. Chr. Links Verlag, Berlin 2005, 192 S., zahlr. Abb., 24,90 Euro (ISBN 3-86153-371-5)

Helmut Caspar

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