Schwerste Strafen für Majestätsverbrechen -
Die Goldene Bulle regelte vor 650 Jahren die Rechte der kurfürstlichen Wahlmänner im römisch-deutschen Reich



Nach dem aus Goldblech gefertigten Siegel wurde das nunmehr 650 Jahre alte Reichsgrundgesetz Goldene Bulle genannt. Das Frankfurter Exemplar von 1356 hat einen Durchmesser von 6,4 cm. (Repro: Caspar)



Kaiser Karl IV., der auch Markgraf von Brandenburg war, ist der geistige Vater der Goldenen Bulle. Sein Bronzedenkmal schmückt seine Residenz, die Burg in Tangermünde. (Foto: Caspar)

Bei einigen ausgesprochen kreativen Sportarten, etwa Gymnastik, Eiskunstlauf oder Tanz, gibt es neben der Pflicht auch die Kür. Sportlerinnen und Sportler können hier ihre Figuren innerhalb bestimmter Leistungsvorgaben frei wählen, also küren, und gestalten. Die Möglichkeit der Wahl ganz anderer Art, nämlich die Kür des deutschen Reichsoberhaupts, hatte im Heiligen römischen Reich deutscher Nation, das vor genau 200 Jahren ein unrühmliches Ende nahm, eine exklusive Riege von Reichsfürsten. Diese Kurfürsten oder Electoren, also Wahlmänner, hatten das Recht, den deutschen König beziehungsweise Kaiser zu bestimmen. Das Procerere wurde vor 650 Jahren in der lateinisch verfassten Goldenen Bulle, einem der wichtigsten Grundgesetze des römisch-deutschen Reiches, festgelegt. Der Name dieses bis 1806 gültigen Dokuments bezieht sich auf ein aus gestanztem Goldblech bestehendes Siegel, die „aurea bulla“, auf der der thronende Kaiser dargestellt ist.

Das Reichsgesetz trägt die Handschrift Kaiser Karls IV., der sowohl in Prag als auch in seiner Eigenschaft als Markgraf von Brandenburg in Tangermünde residierte. Zunächst wurde am 10. Januar 1356 auf dem Reichstag in Nürnberg das aus 23 Abschnitten bestehende Nürnberger Gesetzbuch beschlossen, in dem unter anderem festgelegt wurde, wie die Kaiserwahl erfolgt und welche Rechte und Privilegien die Kurfürsten haben. Am Weihnachtsfest (25. Dezember) 1356 wurden von Karl IV. auf dem Reichstag in Metz als Fortsetzung die Abschnitte 24 bis 31 erlassen, die unter anderem schwerste Strafen für diejenigen vorsahen, die sich gegen die Majestät erheben.

Der kleine, aber feine Wahlmännerklub bestand aus drei geistlichen Kurfürsten, und zwar den Erzbischöfen von Mainz, Trier und Köln, ergänzt durch vier weltliche Kürfürsten, nämlich den Pfalzgrafen bei Rhein, den Herzog von Sachsen, den Markgrafen von Brandenburg und den König von Böhmen. Einstimmigkeit bei der Kür war nicht nötig. Gewählt war, wer die meisten Stimmen auf sich vereinigte. Die ungerade Zahl schloss eine Pattsituation aus. Die Kurwürde ging einigen Herrscherfamilien im Laufe der Zeit verloren, andere konnten sie erwerben. Ausserdem kamen zu den sieben Kurfürsten in der Barockzeit weitere hinzu, und zwar Bayern und Hannover. Durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 ging die Kur von Mainz auf Regensburg über. Für die an Frankreich gefallenen Kurfürstentümer Köln und Trier wurden vier neue geschaffen, und zwar Württemberg, Baden, Hessen-Kassel und Salzburg. Nach dem Ende des römisch-deutschen Reichs 1806 schmückte sich der Landgraf von Hessen-Kassel mit dem inzwischen anachronistisch gewordenen Titel eines Kurfürsten.

Mit der Goldenen Bulle wurde vor 650 Jahren das Recht der Reichsfürsten abgeschafft, einen Mann aus ihrer Mitte zum Reichsoberhaupt zu wählen. Alleiniges Wahlrecht hatten nur noch die Kurfürsten. In dem Dokument wurde verbrieft, dass wichtige, das Reich betreffende Entscheide und Gesetze der Zustimmung der Kurfürsten bedürfen. Da diese aber oft genug eigene Partikularinteressen vertraten und gern das Große und Ganze übersahen, kam es nicht immer zum Konsens. Einig war man sich, wenn es um die Anwendung äußerer Gefahren, etwa in Gestalt herannahender Türkenheere, ging.

Wichtig für den Bestand der Fürstenherrschaft im römisch-deutschen Reich war die Klausel in der Goldenen Bulle, dass die weltlichen Kurfürstentümer niemals geteilt werden dürfen. Sollte ein Geschlecht aussterben, würde dessen Land an das Reich gehen. Auch dieser Fall ist nicht eingetreten, allerdings wurden wegen massiver Erbstreitigkeiten und Nachfolgeprobleme auch Kriege geführt. Die Goldene Bulle erlegte den Kurfürsten und allen anderen Fürsten und Herren den allgemeinen Landfrieden auf, doch wie die Geschichte zeigt, hat man sich um solche Bestimmungen selten geschert, wenn es um das eigene Wohl ging. Da kam es auch vor, dass deutsche Kur- und andere Fürsten Bündnisse mit ausgesprochenen Reichsfeinden eingingen. Da das alte Reich eine Wahlmonarchie war, sah sich derjenige, der die Reichskrone erwerben wollte, genötigt, die in der Goldenen Bulle weitschweifig beschriebenen Rechte und Privilegien der Kurfürsten immer wieder von neuem zu bestätigen. Die Electoren konnten dem Kandidaten Bedingungen stellen, und der tat gut daran, sie zu erfüllen. Die Abhängigkeit des Reichsoberhaupts vom Wohlwollen der Kurfürsten trug nicht gerade zu dessen Stärke im Reich bei. Neben eher allgemein gehaltenen Appellen zur Gottesfurcht und Friedfertigkeit enthält die Goldene Bulle auch Bestimmungen über die Gold-, Silber und anderen Bergwerke sowie über das sehr einträgliche und eifersüchtig gehütete Privileg zur Prägung von Münzen sowie über das Gerichtswesen und die Immunität der Kurfürsten.

Es gab Fälle, wo durch Zahlung von hohen Summen kurfürstliche Stimmen gekauft wurden, womit das auch in der Goldenen Bulle festgelegte Prinzip unterhöhlt wurde, dass der Beste aus der Fürstenriege die Krone erhalten soll. Das berühmteste Beispiel ist die Wahl des spanischen Königs Karl zum römisch-deutschen Kaiser Karl V. im Jahr 1519, vermittelt durch das Augsburger Bankhaus Fugger, das sich den Dienst mit Gewährung von Privilegien vor allem in der eben erst entdeckten Neuen Welt, also Amerika, teuer bezahlen ließ.

An der Spitze des Kurfürstenkollegiums stand der Erzbischof von Mainz, der als Erzkanzler zur Wahl einlud und sie leitete. Gewählt wurde in der Bartholomäuskirche (Dom) zu Frankfurt am Main. Wenn man sich nach 30 Tagen immer noch nicht auf eine Persönlichkeit geeinigt hatte, bestimmte die Goldene Bulle, sollte bei Wasser und Brot so lange weiterverhandelt werden, bis eine gültige Wahl zustande kam. Ein solcher Fall ist allerdings nicht bekannt geworden. War eine Wahl zustandegekommen, erfolgte die Krönung im Dom zu Aachen oder im Frankfurter Dom. Alle Wahl- und Krönungszeremonien waren begleitet von ausgiebigen Festlichkeiten und Schmausereien, bei denen die Kurfürsten bestimmte zeremoniale Handlungen vornehmen mussten. So überliefern Holzschnitte, wie etwa der Kurfürst von Sachsen als Erzmarschall und der Kurfürst von Brandenburg als Erzkämmerer das Reichsoberhaupt an seiner um sechs Fuß erhöhten Tafel mit erlesenen Speisen und Getränken bedienen. Erst wenn alle den ersten Mann im Reich versorgt haben, durften sie sich um Festmahl setzen.

Kaiser Karl IV. hatte guten Grund, in das Dokument auch Sätze wie diese zu schreiben, denn die Lage im Reich war instabil: „Wer mit Fürsten, Rittern, Privatpersonen oder Leuten aus dem Volke eine Verschwörung eingeht oder sich einer solchen anschließt..., um Uns und des Heiligen Römischen Reiches ehrwürdigen und erlauchten geistlichen und weltlichen Kurfürsten – beziehungsweise einen von ihnen – zu ermorden, der soll als Majestätsverbrecher mit dem Schwerte hingerichtet werden; denn die Kurfürsten sind ein Glied Unseres Leibes. Auch besagen die Gesetze, dass die Absicht eines Verbrechens ebenso bestraft wird wie die durchgeführte Tat. Seine Güter erhält Unsere Schatzkammer“. Aus der Geschichte sind solche Verschwörungen bekannt, deren Mittäter und Mitwisser geächtet und mit aller Härte verfolgt wurden. Ebenso wurde belohnt, der sich laut Goldener Bulle um das Reich und seinen Kaiser verdient machte, indem er Attentate und ähnliche Verbrechen den, wie wir heute sagen würden, Behörden anzeigte.

Helmut Caspar

Mit "Zurück" zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"