Folter und Tod für Aufrührer -
Die Goldene Bulle regelte vor 650 Jahren Rechte und Pflichten der kurfürstlichen Wahlmänner, doch konnte sie Majestätsverbrechen nicht verhindern



Neugierig betrachteten die Besucher in der Bayerischen Landesvertretung die aus München nach Berlin geschaffte lateinische Handschrift auf Pergamentpapier, die durch eine dünne Schnur zusammengehalten wird:





Das etwa 6,4 Zentimeter große Siegel aus Goldblech verlieh der Goldenen Bulle den Namen. Auf der Vorderseite thront Kaiser Karl IV., während eine Idealansicht von Rom die Rückseite schmückt. (Fotos: Helmut Caspar)



Die 1356 in Nürnberg und Metz beschlossene Wahlordnung legte unter anderem die von den sieben Kurfürsten etwa beim Krönungsmahl auszuübenden Ehrenämter fest. Holzschnitt aus dem 15. Jahrhundert. (Repro: Caspar)

Die Goldene Bulle, jenes 1356, vor 650 Jahren, in Metz und Nürnberg verabschiedete Reichsgrundgesetz über die Wahl des römisch-deutschen Kaiser und die Rechte und Pflichten der dafür berechtigten Kurfürsten, entstand in dem Willen, nach Jahren des Chaos und der Kriege im römisch-deutschen Reich endlich Frieden, Recht und Ordnung einkehren zu lassen. Nach dem anhängenden Siegel aus gestanztem Goldblech mit dem Bild des thronenden Kaisers darauf benannt, spricht das Dokument die Hoffnung auf stabile Zeiten aus. All jene sollten schwerste Strafen erleiden, die sich gegen die kaiserliche Zentralgewalt verschwören, und es wurde auch ihren Helfershelfern Folter und Tod angedroht, wenn sie sich zusammenrotten, um des Kaisers Majestät anzugreifen.

Für die Strafandrohungen hatte Kaiser Karl IV., der Verfasser des Gesetzeswerks, gute Gründe. Die Goldene Bulle zu erlassen war vor 650 Jahren in chaotischen und wenig friedfertigen Zeiten die Zeit herangereift, wie unlängst in einer internationalen Tagung an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften festgestellt wurde. Man möge Gott danken, „dass er Euch durch Uns die Möglichkeit gegeben hat, nach geschriebenem Recht zu leben“, ist eine der Kernaussagen, um die sich die Tagung drehte. Andere Themen befassten sich mit der Strahlkraft, die das Dokument über die Jahrhunderte hatte, und mit mittelalterlicher Urkundensprache, aber auch mit der Vorbildwirkung für andere Staaten. Deutlich wurde, dass die Goldene Bulle Gesetzesbrüche und Landesverrat nicht verhindern konnte. Nur in seltenen Fällen konnten die Todesdrohungen an den Verschwörern exekutiert werden. Hier und in anderen Fällen zeigte sich, wie schwach das erst in Prag, dann in Wien residierende kaiserliche Staatsoberhaupt wirklich war. Ein besonderes Bonbon war übrigens anlässlich der Konferenz die Präsentation des rheinpfälzischen Exemplars der Goldenen Bulle. Zu diesem Zweck wurde das im Münchner Staatsarchiv befindliche Exemplar in die Berliner Vertretung des Freistaats Bayern geschafft und von den Tagungsteilnehmern wohlgefällig betrachtet.

Einer derjenigen, der zeitweilig mit einem ausgesprochenen Reichsfeind kungelte, war der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verband er sich mit dem französischen „Sonnenkönig“ Ludwig XIV., dessen Truppen marodierend im Westen des Reiches ihr Unwesen trieben. Sein Nachfolger Kurfürst Friedrich III. machte sich beim Kaiser in Wien lieb Kind, um dessen Zustimmung beim Erwerb der preußischen Königskrone zu bekommen. Hohe Bestechungssummen und die „Lieferung“ von Soldaten, die auf europäschen Schlachtfeldern verheizt wurden, spielten in den Verhandlungen eine große Rolle. Der Enkel jenes ersten Königs „in“ Preußen, Friedrich II., der Große, hätte als brandenburgischer Kurfürst die Interessen des Reiches und die seines Oberhaupts im Blick haben müssen. Doch nichts dergleichen! Drei Kriege um die reiche Provinz Schlesien führte der Hohenzoller, und er brachte fast die ganze deutsche Fürstenriege und ausländische Potentaten gegen sich auf. Die Goldene Bulle, die der Monarch als Prinz studiert hatte und die einzuhalten er Kraft seines Amtes gehalten war, war für ihn und manche anderen Standesgenossen nicht mehr wert als ein Fetzen Papier.

Das in sieben Ausfertigungen existierende Dokument von 1356 trägt klar die Handschrift Kaiser Karls IV., der als König von Böhmen und Markgraf von Brandenburg zwei von sieben Kurstimmen besaß. Es legte das Wahlprocerede für das Reichsoberhaupt fest und beschrieb die Rechte und Privilegien der Kurfürsten. Bestechung sollte bei der Wahlentscheidung keine Rolle spielen, doch auch sie kam vor, sonst wäre nicht 1519 der noch ganz junge König von Spanien als Karl V. zum römisch-deutschen Kaiser gewählt worden. Hätte ein anderer als dieser Habsburger an der Spitze des Reiches gestanden, etwa der Kurfürst von Sachsen – die deutsche und europäische Geschichte wäre sicher anders verlaufen.

Der wortreich auf Latein in der Goldenen Bulle beschriebene kleine, aber feine Wahlmännerklub bestand aus drei geistlichen „Electoren“, und zwar den Erzbischöfen von Mainz, Trier und Köln, ergänzt durch vier weltliche Kürfürsten, nämlich den Pfalzgraf bei Rhein, den Herzog von Sachsen, den Markgrafen von Brandenburg und den König von Böhmen. Einstimmigkeit bei der Kaiserwahl war nicht nötig. Gekürt war, wer die meisten Stimmen auf sich vereinigte. „Neuartig war das in der Goldenen Bulle festgelegte Mehrheitsprinzip, heute eine Selbstverständlichkeit. Wichtige, das Reich betreffende Angelegenheiten sollten einmal im Jahr auf einem Kurfürstentreffen beraten werden. Konsens wurde angestrebt. Karl IV. wollte damit das Staatswesen als Gemeinschaft der Fürsten zusammenzuschmieden“, beschreibt der Berliner Mediävist Michael Menzel vor 650 Jahren fixierte Grundsätze. Die Goldene Bulle habe ein Idealbild beschrieben, sie habe aber Gesetzesbrüche und Konflikte nicht verhindern können. Dass Deutschland im Gegensatz etwa zum Zentralstaat Frankreich eine föderale Struktur besitzt, sei letztlich auch der vor 650 Jahren in der Goldenen Bulle fixierten und danach immer wieder bestätigten Fürstenherrschaft zuzuschreiben. „Da das alte Reich eine Wahlmonarchie war, sah sich derjenige, der die Reichskrone erwerben wollte, genötigt, die in der Goldenen Bulle beschriebenen Rechte und Privilegien der Kurfürsten immer wieder von neuem zu bestätigen. Die Wahlmänner konnten dem Kandidaten Bedingungen stellen, und der tat gut daran, sie zu erfüllen“, so Menzel.

Gewählt wurde in der Bartholomäuskirche, also dem Dom zu Frankfurt am Main, wo bis zum 14. Januar 2007 eine Ausstellung über die „Kaisermacher“ gezeigt wird. War eine Wahl zustande gekommen, fand in Aachen die Krönung statt. Alle Wahl- und Krönungszeremonien waren begleitet von ausgiebigen Festen und Schmausereien, bei denen die Kurfürsten bestimmte zeremoniale Handlungen vornahmen. Während der Feierlichkeiten wurde draußen das Volk beköstigt, und Herolde streuten Krönungsmünzen unter die Menge. Damit kamen die Mächtigen sehr publikumswirksam ihrer Pflicht zu karitativem Handeln nach und stellten vor aller Welt ihren – oft nur geborgten - Reichtum zur Schau.

Helmut Caspar

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