Das Geheimnis des Magnushauses -
Zeitzeugen erinnerten an traumatische Erlebnisse in sowjetischen Verhörkellern



Man sieht dem vornehmen Magnushaus am Kupfergraben nicht an, dass hier nach dem Zweiten Weltkrieg gefoltert wurde. (Foto: Caspar)

Das Magnushaus am Kupfergraben gegenüber der Museumsinsel ist ein vornehmes Stadtpalais. In dem nach seinem Bewohner, dem Berliner Physiker Gustav Magnus, benannten Gebäude wurde 1845 die Physikalische Gesellschaft gegründet. 1911 zog der bekannte Theaterregisseur Max Reinhardt in das Haus aus dem 18. Jahrhundert ein. Eine Gedenktafel nennt Magnus und Reinhardt, doch fehlt der Hinweis, dass sich in dem Gebäude gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein sowjetischer Verhör- und Folterkeller befand. Der Berliner Historiker Peter Erler hat ermittelt, dass das Magnushaus und etwa 50 weitere Berliner Gebäude als Gefängnisse und Verhörzentralen des NKWD (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten), der GPU (Staatliche Politische Verwaltung), des militärischen Geheimdienstes und anderer Dienststellen verwendet wurden. Der damals neunzehnjährige Berliner Hans Corbat beispielsweise hat seine Erlebnisse in der ehemaligen Kellerwohnung von Hans Reinhardts Chauffeur beschrieben. Wo man heute seine Garderobe abgibt, wurden er und andere Gefangene angebrüllt, mit Fäusten geschlagen und mit Stiefeln getreten. Laute Radiomusik und das Geschrei der Gequälten, Hunger, Kälte, unbeschreibbare sanitäre Verhältnisse und die immer gleichen Fragen der Vernehmer nach angeblichen Verbrechen haben sich diesem und den anderen Gefangenen tief eingebrannt.

Für viele von der Straße weg verhaftete oder bei Dunkelheit aus den Wohnungen abgeholte Personen waren die überfüllten, stickigen Keller die erste Station auf einem Leidensweg, der nicht selten vor die Exekutionskommandos oder in sibirische Arbeitslager führte. Rund 200 000 deutsche Zivilisten wurden bis in die fünfziger Jahre hinein in sowjetischen Gefängnissen unter der Anschuldigung eingekerkert, Kriegsverbrechen begangen oder als „Werwölfe“ an Sabotageakten gegen die Besatzungsmacht mitgewirkt zu haben. Rund 35 000 von ihnen wurden in die Straflager geschickt oder erschossen.

Bei der Vorstellung der neuen Publikation „GPU-Keller – Arrestlokale und Untersuchungsgefängnisse sowjetischer Geheimdienste in Berlin (1945-1949)“ (77 Seiten, 3 Euro) betonte Peter Erler am Mittwochabend im Magnushaus, dass die Forschungen über dieses „vergessene und verdrängte Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte“ erst am Anfang stehen. Wichtige Akten befänden sich in Moskau unter Verschluss, viele Einzelheiten ließen sich nur durch Befragung von Zeitzeugen klären. Wer in einen dieser Keller kam, wusste zumeist nicht, wo er sich befindet. Das erschwere die Identifizierung. Die meisten Orte konnten im Ostteil der Stadt ausgemacht werden, so die Zentralkommandantur der Sowjetischen Militäradministration an der Luisenstraße in Mitte, ferner das Haus Prenzlauer Allee 63, wo unlängst eine Gedenkinschrift angebracht wurde, oder Gebäude in der heutigen Magdalenenstraße und Am Tierpark in Lichtenberg, ferner in einer ehemaligen Fabrik an der Gounodstraße in Weißensee oder in einem ehemaligen SA-Lokal in Köpenick. Als die Sowjets vor Ankunft der Westalliierten im Westteil Berlins herrschten, unterhielte sie auch dort Verhör- und Folterkeller. Erler hat unter anderem die Adressen Stuttgarter Platz 19 in Charlottenburg, Forster Straße 5 in Kreuzberg, die Hauptstraße 125 in Schöneberg, die Lepsiusstraße 104 in Steglitz und das Amtsgericht Karl-Marx-Straße 76/77 in der Neukölln ausfindig gemacht.

Was sich vor 60 Jahren in den Kellern abspielte und wie die Verhöre abliefen, ist Zeitzeugen noch heute in schlimmer Erinnerung. Nach der Vorstellung der vom Bund der Stalinistisch Verfolgten e. V. herausgegebenen Broschüre über die GPU-Keller schilderte Jutta Petenati, wie sie als damals Sechzehnjährige Anfang August 1945 abgeholt und zermürbenden Verhören ausgesetzt wurde. Ziel war es anscheinend, ihr ein Geständnis über angebliche Verwicklungen in Naziverbrechen, den Besitz von Waffen sowie Namen von Komplizen zu entlocken. „Ich konnte nichts sagen, denn ich wusste nichts. Es ging aber wohl auch um eine spätere Mitarbeit als Spionin für die Besatzer“, sagte sichtlich bewegt Jutta Petenati. Sie wurde nach zweieinhalb Wochen entkräftet und stark traumatisiert aus einem Folterkeller in der Torstraße (Mitte) entlassen. Aber damit war die spätere Kindergärtnerin ihre Verfolger noch lange nicht los, die sie immer wieder, allerdings vergeblich zur „Mitarbeit“ aufforderten. Erst durch die Flucht nach West-Berlin konnte sie sich befreien, doch die Erinnerung an die Brutalitäten im GUP-Keller ist sie nie losgeworden.

Das gilt auch für zwei andere Zeitzeugen, die im Magnushaus sprachen. Der damals 15jährige Schüler Horst Jänichen und der 22jährige Rundfunkvolontär Werner Rösler wurden bei den Verhören geschlagen und getreten, um sie mit abgepressten Geständnissen zu hohen Freiheitsstrafen verurteilen zu können. Keiner hat je erfahren, wie der Geheimdienst ausgerechnet auf sie gekommen ist. Denunziation mag auch hier im Spiel gewesen sein. Hubertus Knabe, der Leiter der Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen, sprach auf der gut besuchten Veranstaltung die Hoffnung aus, dass sich weitere Zeitzeugen melden. Mit der Veröffentlichung von Adressen und ersten Einzelheiten sei ein wichtiger Schritt gemacht, um dieses traurige Kapitel aufzuarbeiten, das so wenig nicht in das vor allem im Osten propagierte Bild von den sowjetischen „Befreiern“ passt.

Kontakt: Bund Stalinistisch Verfolgter, Ruschestraße 103, Haus 1, 10365 Berlin, Telefon 030/55496334 und Gedenkstätte Hohenschönhausen, Genslerstraße 65, 13055 Berlin, Telefon 030/98608230.

Helmut Caspar

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