„In der Not: Opfertod“ -
Vor 70 Jahren gab Hitler das Berliner Olympiastadion für die XI. Olympischen Spiele frei



Unverblümt warben die XI. Olympischen Spiele für den NS-Staat. Das offizielle Plakat vermeidet allerdings plumpe Propaganda. (Repro: Caspar)

Die Planungen für das Olympiagelände am Rande des Berliner Grunewaldes gehen bis in die Kaiserzeit zurück. Hier wurden bereits vor dem Ersten Weltkrieg Arenen und Bahnen angelegt, und als 1931 die Olympischen Spiele für 1936 nach Berlin vergeben wurden, geschah dies im Wesentlichen auch deshalb, weil in der Reichshauptstadt weitläufige Sportanlagen von hohem Standard existierten. Niemand ahnte, dass zwei Jahre später die Nazidiktatur errichtet und die am 1. August 1936 von Hitler eröffneten XI. Olympischen Spiele zu einer gewaltigen Propagandaschlacht für das um internationale Anerkennung ringende NS-Regime missbraucht werden würden.

Erst kürzlich geriet das in den vergangenen Jahren von Dach bis Keller sanierte und modernisierte Olympiastadion als Austragungsort des Endspiels der Fußballweltmeisterschaft 2006 in den Blick der Weltöffentlichkeit. Dass die Arena ein historisch belasteter Ort ist, schildert neuerdings eine zur Fußball-WM eingerichtete Ausstellung auf dem Stadiongelände. Darin erfährt man unter anderem, dass bereits 1916 in dem damaligen „Deutschen Stadion“ Olympische Spiele veranstaltet werden sollten. Doch machte der Erste Weltkrieg (1914-1918) dem ehrgeizigen Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Niemand konnte und wollte mitten im Völkermord in der Arena, die 1913 im Beisein von Kaiser Wilhelm II. feierlich eröffnet worden war, um sportlichen Lorbeer kämpfen.

Nach der Errichtung der Nazi-Diktatur im Jahr 1933 erkannten der neue Reichskanzler Adolf Hitler und sein Propagandaminister Joseph Goebbels die Chance, die die Austragung der XI. Olympischen Spiele in Berlin für die Aufwertung ihres Regimes bedeutet. Eilig wurden Ausbaupläne hervorgeholt, die in der Weimarer Republik wegen knapper Finanzmittel liegengeblieben waren. Da sich Hitler als großer Künstler und Architekt empfand, war er persönlich daran interessiert, dass die Sportstätten noch viel prächtiger und monumentaler aufgezogen werden als sie ursprünglich geplant waren. Deshalb wurden viele der aus der Kaiserzeit stammenden Gebäude und Anlagen beseitigt. Geld spielte bei der Ausführung der Pläne des Architekten Werner March keine Rolle. Die neue Arenen wurden üppig von Bildhauern wie Arno Breker, Georg Kolbe und Josef Thorak mit nordisch-muskulösen Athletenfiguren ausstaffiert. Die meisten der ganz klar nationalsozialistischen Herrschafts- und Machtanspruch verkörpernden Bauten und Dekorationen haben den Zweiten Weltkrieg überstanden und wurden von der britischen Besatzungsmacht, die auf dem Gelände ihr Hauptquartier aufschlug, genutzt. Sofern es Kriegszerstörungen gab, wurden sie nach 1945 beseitigt.

Auf dem geradezu gigantisch anmutenden Reichssportfeld gab einen riesigen Olympischen Platz, das Olympiastadion für 100 000 Zuschauer und das als Aufmarschplatz konzipierte Maifeld mit dem alles überragenden Glockenturm, von dem man bis in die Berliner Innenstadt blicken kann. Hinzu kamen die nach einem hohen Nazifunktionär benannte Dietrich-Eckart-Freilichtbühne, die heute als Waldbühne bekannt ist, das Deutsche Sportforum mit der Reichsakademie für Leibesübungen und das Haus des Deutschen Sports. Ergänzt wurde das Ensemble durch ein Schwimmstadion, ein Reiterstadion, Tennisanlagen und andere Arenen. Zu den olympischen Sportstätten gehörte auch die 1935 eröffnete Deutschlandhalle, in der Box- und Ringwettkämpfe ausgetragen wurden, während das Military-Reiten auf dem Truppenübungsplatz Döberitz, Schießwettkämpfe in Wannsee sowie alles, was mit Wassersport zu tun hatte, in Grünau oder in Kiel stattfanden.

Natürlich wusste das NS-Regime vor 70 Jahren mit den Berliner Olympiabauten und auch einer Reihe von repräsentativen Kunstausstellungen und Kulturfesten sowie glanzvollen Empfängen für Staatsgäste, Diplomaten und der Crème der damaligen Sportwelt Eindruck zu schinden. Die Zeitungen, und nicht nur die in Deutschland, überschlugen sich mit Lobeshymnen. Kritische Kommentare außerhalb des Nazireiches wurden kaum zur Kenntnis genommen. In alle Welt wurden die Wettkämpfe und Siegerehrungen per Rundfunk und durch unzählige Korrespondentenberichte übertragen. Dokumentarfilme, die von Hitlers Starregisseurin Leni Riefenstahl sehr gekonnt inszeniert wurden, und Wochenschauen schilderten die Eröffnungsfeier vom 1. August 1936, bei der sich Adolf Hitler einmal mehr in die Pose eines großen Staatenlenkers warf, machten mit den wichtigsten Anlagen bekannt und hielten die spannendsten Momente des Sportspektakels fest. Erstmals war auch das Fernsehen mit von der Partie. Das noch in den Kinderschuhen steckende Medium bestand seine Feuertaufe, als es Sendungen aus dem Olympiastadion in ausgewählte Berliner Haushalte und in öffentliche Fernsehstuben übertrug.

Neben dem von Hitlers Lieblingsarchitekten Albert Speer konzipierten Nürnberger Reichsparteitagsgelände verkörpert das 131 Hektar großen Berliner Reichssportfeld mit dem Olympiastadion am deutlichsten den Herrschafts- und Machtanspruch seiner nationalsozialistischen Bauherren „Das Reichssportfeld ist der deutsche Ausdruck des olympischen Gedankens und Deutschlands Ehrengabe an die Welt zu den Olympischen Spielen 1936“, lobte Architekt Werner March sein Werk. „In diesem Sinne hat der Führer Adolf Hitler die Fülle der Kampfbahnen und Feierstätten zu einem einzigen großen Festraum vereinigen lassen. Er hat damit zugleich der Gestaltung der Anlagen das künstlerische Gesamtziel gegeben.“

Dass hinter allem handfeste politische und propagandistische Absichten standen, steht außer Frage und sollte bei aller Betrachtung des gewaltigen Olympiastadions und der Anlagen in seinem Umkreis nicht vergessen werden. In seinem selbst verfassten und nach der Eröffnungszeremonie aufgeführten Festspiel „Olympische Jugend“ verkündete Carl Diem, der als Mitbegründer der Deutschen Hochschule für Leibesübungen und Generalsekretär des Organisationskomitees die XI. Olympiade vorbereitet hatte und später in der Bundesrepublik Deutschland ungehindert weiter als Sportorganisator agieren konnte: „Allen Spiels heil’ger Sinn: / Vaterlandes Hochgewinn. / Vaterlandes höchst Gebot / in der Not: Opfertod“. Der Klang der mit Hakenkreuzen verzierten Olympiaglocke vom riesigen Glockenturm soll den Zuschauern dieses Spektakels einen „heiligen Schauer“ über den Rücken gejagt haben. Bis zu seinem Tod im Jahre 1962 war der Sportführer überzeugt, die XI. Olympischen Spiele hätten „in dem damals anschwellendem Rassenhass ein Stück Weltfrieden und Weltverbundenheit geboren“.

Für kurze Zeit wurden vor und während der Spiele in Nazi-Deutschland politische Prozesse ausgesetzt, Verhaftungen von Oppositionellen verschoben, die tägliche Hetze gegen die jüdische Bevölkerung, die durch die Nürnberger Rassengesetze von 1935 ihrer Rechte beraubt waren, reduziert. Kaum wahrgenommen wurde, dass im Sommer 1936 zahlreiche „missliebige“ Personen, also solche, die nichts ins politische und rassistische Konzept der Nazis passten, von der Straße weg in die Konzentrationslager verschleppt wurden. Lautlos führte die Gestapo im Juli 1936 Verhaftungen und Deportationen etwa von Sinti und Roma, aber auch von so genannten Asozialen durch, denn die NS-Führung wollte der Weltöffentlichkeit ein „sauberes und ordentliches“ Deutschland präsentieren, und viele Gäste ließen sich nur zu gern täuschen. Nach der Abreise der internationalen Sportwelt und der auswärtigen Journalisten schlug der Sicherheitsdienst brutal zu. Während sich die sportliche Jugend der Welt im Berliner Olympiastadion und die deutsche Mannschaft mit 33 Goldmedaillen am erfolgreichsten war und die der USA mit 24 Goldmedaillen hinter sich ließ, wurde in Sachsenhausen bei Oranienburg ein neues KZ eröffnet, in dem bis 1945 über 200 000 Häftlinge aus mehr als 40 Ländern zusammengepfercht und unzählige von ihnen ermordet wurden. Auch das sollte nicht übersehen werden, wenn jetzt die Gedanken um das 70 Jahre alte Olympiastadion und das Jahr 1936 kreisen.

Helmut Caspar

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