Stralsund. Baumaßnahmen und Schachtarbeiten bringen in der alten Hansestadt
Stralsund mit schöner Regelmäßigkeit Hinterlassenschaften unserer
Altvorderen zum Vorschein. So fanden Archäologen Reste von Wasserrohren und
Brunnen aus dem Mittelalter und der Neuzeit. Sie erzählen viel über die
früheren Bewohner und reichern unsere Vorstellungen darüber an, wie sie sich
mit Wasser versorgten und wie sie mit Brunnen und Leitungen umgingen. Recht
aussagekräftig ist da die Entdeckung eines Brunnens unmittelbar vor der
Stadtmauer, der aus einem aus Eichenholz gefertigten Bottich bestand. Durch
dendrochonologische Bestimmung wurde festgestellt, dass das für die
Anfertigung der so genannten Brunnenstube gefertigte Holz um das Jahr 1327
geschlagen wurde. Nachdem Stralsunder Einwohner den Brunnen etwa einhundert
Jahre genutzt haben, gaben sie ihn auf. Man hat die quadratische
Schachtröhre, und das ist für die Forscher interessant, mit allerhand
Gegenständen zugeschüttet, für die man keine Verwendung fand, berichtet die
Zeitschrift "Archäologie in Deutschland" (AiD) in ihrer neuesten Ausgabe
5/2006 (Konrad Theiss Verlag Stuttgart). Unter den Abfällen konnten jene
eines Würfelmachers und eines Metallhandwerkers ausgemacht werden.
Der spektakulärste Fund befand sich am Boden des Brunnens. Es handelt sich
um ein mittelalterliches Pilgerzeichen aus gegossenem Metall. Dargestellt
ist unter einem mit Kreuzen geschmückten Dreiecksgiebel die thronende
Muttergottes mit dem Christuskind auf dem Schoß. Neben der sitzenden Figur
hat ein Heiliger mit einem Zweig in der Hand Aufstellung genommen. Fachleute
erkennen in dem Pilgerzeichen, das nur 3,3 mal 4,6 Zentimeter groß ist, die
Arbeit einer Aachener Werkstatt. "Auch wenn wohl ungeklärt bleibt, ob das
Pilgerzeichen bewusst im Brunnen niedergelegt wurde oder bei dessen Nutzung
verloren ging, verdeutlich dieser Fund die immense Anziehungskraft dieses
berühmten Wallfahrtortes", schreibt R. Samariter in der erwähnten
Zeitschrift. Gemeinsam mit vergleichbaren Devotionalien, die in Greifswald
gefunden wurden, zeige das Pilgerzeichen, dass Aachen während des späten
Mittelalters zu den beliebtesten Pilgerorten von Wallfahrern aus den
Hansestädten des südlichen Ostseeraums gehörte.
Helmut Caspar