Preußens Desaster und ein neuer Sachsenkönig -
Zwei Ausstellungen über das Jahr 1806 und die Folgen



Mit neuartigen Tresorscheinen versuchte die preußische Regierung anno 1806 und danach, die Finanzkrise zu beheben und mit den Kriegskosten fertig zu werden. In der Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs sind dazu Dokumente und Druckbogen zu sehen. (Foto: Caspar)

Vor 200 Jahren endete das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Kaiser Franz II. legte, vom französischen Kaiser Napoleon I. gedrängt, am 6. August 1806 die Reichskrone nieder und regierte als Kaiser Franz I. von Österreich weiter. Mehrere deutsche Fürsten traten dem unter französischem Protektorat stehenden Rheinbund bei und verpflichteten sich, Napoleon I. bei dessen Kriegen Soldaten zu stellen. Preußen, das in großer Angst lebte, von dem neuen starken Mann in Europa geschluckt zu werden, erlebte im Herbst jenes Jahres ein militärisches und politisches Desaster ohnegleichen. König Friedrich Wilhelm III. hatte sich mit Unterstützung sächsischer und anderer Truppen in einen als Befreiungsschlag gedachten Krieg mit dem französischen Kaiser eingelassen, den er und seine Verbündete am 14. Oktober 1806 in der Schlacht von Jena und Auerstedt mit Pauken und Trompeten verloren. Preußische Festungen, von ängstlichen Generalen kommandiert, ergaben sich kampflos. Der bis dahin so gefürchtete Staat Friedrichs des Großen stand vor dem Aus. Napoleon I. besetzte Berlin und rief hier die gegen England, seinem Hauptfeind, gerichtete Kontinentalsperre aus. Friedrich Wilhelm III. floh unter Mitnahme des Staatsschatzes und wichtiger Dokumente mit seiner Familie in das ostpreußische Memel. Im Juli 1807 diktierte der Kaiser in Tilsit dem gedemütigten Preußenkönig einen harten Frieden mit Kontributionszahlungen in Höhe von 140 Millionen Francs. Außerdem musste Friedrich Wilhelm III. die Hälfte seines Landes abtreten. Preußen wurde von den Franzosen besetzt, und sie sollten erst abziehen, wenn die Kriegsschulden an Frankreich bezahlt sind.

Bankrotter Staat
Die politischen und finanziellen Folgen jenes verlorenen Krieges schildert eine Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz vom 12. Mai bis 28. Juni 2006. Präsentiert werden in der Schau „Staatsbankrott! Bankrotter Staat?“ etwa 200 Exponate, unter ihnen die originale Ratifikationsurkunde des Tilsiter Friedensvertrag, aber auch Befehle und Gesetzestexte, Karikaturen sowie Medaillen, Geldscheine und Entwürfe für das 1813 gestiftete Eiserne Kreuz. Dargestellt wird unter anderem, wie die preußische Regierung versuchte, durch einschneidende Reformen der prekären Lage Herr zu werden, und wie sie auch die Bevölkerung zu hohen materiellen Opfern aufrief. In schwieriger Situation kamen Politiker zu Wort, die bisher von ihrem ängstlichen und wenig entschlussfreudigen König und seiner auf Besitzstandswahrung erpichten Kamarilla nicht angehört wurden. Da die Gewerbe- und die Städteordnung, die Bauernbefreiung, die Militärreform und andere Maßnahmen viel kosteten, versuchte die Regierung durch Ausgabe von Papiergeld, Aufnahme von Anleihen im In- und Ausland sowie eine Vielzahl neuer Steuern, die Finanzierung abzusichern und auch die Franzosen zufriedenzustellen. Außerdem wird geschildert, wie die patriotische Sammelaktion unter dem Motto „Gold gab ich für Eisen“ organisiert war und was sie einbrachte.

In ihrem letzten Teil wirft die Ausstellung einen Blick in das frühe 20. Jahrhundert, indem sie dem Wirtschaftshistoriker Eckart Kehr (1902-1933) ein Denkmal setzt. Er war 1931 mit einer Quellenedition zur preußischen Finanzpolitik nach 1806 beauftragt worden. Nachdem am 30. Januar 1933 die Nazis an die Macht gelangt waren, wurde dem renommierten Wissenschaftler der Auftrag entzogen, die Verknüpfung von Staatsfinanzen und Gesellschaftsreform zu hinterfragen. Offenbar wollte sich die damalige preußische Archivverwaltung bei den neuen Herren lieb Kind machen, stand Kehr doch im Ruf, „links“ eingestellt zu sein. Mit der Beleuchtung der Hintergründe des Scheiterns dieses Forschungsprojektes kurz nach den Reichstagswahlen am 5. März 1933 schließt sich eine Lücke in der Rezeptionsgeschichte der für Preußen so entscheidenden Reformzeit nach 1806. Indem der von Kehr verfolgte finanzhistorische Ansatz, demzufolge wirtschaftliche Bedingungen nach 1806 beim Denken und Handeln der Politiker auch handfeste finanzielle Interessen im Spiel waren, in der Ausstellung dargestellt wird, trägt das in Berlin-Dahlem tätige Geheime Staatsarchiv eine Dankesschuld an dem seinerzeit geschassten Gelehrten ab. Die Ausstellung über den preußischen Staatsbankrott von 1806 und seine Folgen sowie über die Stein-Hardenberg’schen Reformen ist in der Kunstbibliothek am Berliner Kulturforum (Nähe Potsdamer Platz) Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, am Donnerstag bis 22 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet.

Friedrich August der Gerechte
Das Münzkabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden beleuchtet ebenfalls die Verhältnisse vor 200 Jahren in einer Ausstellung, die dem sächsischen Kurfürsten Friedrich August III. – und ab 1806 – König Friedrich August I. von Sachsen gewidmet ist. Zu sehen sind neben etwa 400 Münzen und Medaillen auch einige der unter der Herrschaft dieses Monarchen gedruckte Geldscheine und gestiftete Orden. Außerdem werden Bildnisse des 1750 geborenen und nach ungewöhnlich langer Regierungszeit 1827 gestorbenen Sachsenherrschers aus der Dresdner Skulpturensammlung, dem Kunstgewerbemuseum und der Porzellansammlung gezeigt. Der als friedfertig geschilderte und von hohem Rechtsempfinden erfüllte Herrscher, dem man schon zu seinen Lebzeiten den Beinamen „der Gerechte“ gab, führte Sachsen aus der wirtschaftlichen Krise durch den Siebenjährigen Krieg (1756-1763), machte Schluss mit höfischem Luxus und förderte nachhaltig die allgemeine Bildung sowie die Künste und die Wissenschaften. Dies schlug sich auch auf Münzen und Medaillen nieder, von denen die Ausstellung eine eindrucksvolle Auswahl bietet.

Auch für Friedrich August III./I. war 1806 ein Schicksalsjahr. Mit seinem preußischen Verbündeten Friedrich Wilhelm III. verlor er den kurzen Krieg gegen Frankreich, doch verzieh ihm der siegreiche Franzosenkaiser. Und während der Sachse seine Standeserhöhung zum König auch auf neuen Münzen und Medaillen feierte und sein Land auf preußische Kosten erheblich vergrößerte, litt das benachbarte Preußen unter den Folgen jenes Krieges und der französischen Besatzung. Der Staat war pleite, musste aber hohe Summen aufbringen, um sich seiner Schulden zu entledigen. Dieser Druck bewirkte bei Reformpolitikern wie Stein und Hardenberg tiefes Nach- und Umdenken. Preußen schaffte binnen weniger Jahre die gigantische Aufgabe, sich zu erneuern und sich feudalen Fesseln zu befreien. Dazu brauchte man die Mithilfe der ganzen Bevölkerung, deren Selbstbewusstsein in starkem Maße zunahm. Friedrich Wilhelm III. war die Entwicklung nicht geheuer, und als es nach den Befreiungskriegen daran ging, sein Verfassungsversprechen einzulösen und eine gewisse Mitbestimmung zu gewähren, wollte er sich an nichts mehr erinnern.

Kaiserliche Gnadensonne
Friedrich August I. von Sachsen sonnte sich nach 1806 in der Gnade des französischen Kaisers, wie auch aus dem Besitz des Dresdner Münzkabinetts stammende Medaillen mit den Bildnissen beider Monarchen zeigen. Und er hielt zu ihm, als die Deutschen und andere Völker aufstanden, die französische Fremdherrschaft abzuschütteln. Nach der verlorenen Völkerschlacht von Leipzig am 18. Oktober 1813 wurde der sächsische König gefangen genommen und in Berlin interniert. Seine Rückkehr 1815 nach Dresden gestaltete sich zwar zu einem Triumphzug. Aber Sachsen, das zu den Verliererstaaten der Befreiungskriege zählte, wurde auf dem Wiener Kongress zugunsten Preußens halbiert. Hatte Friedrich August III./I. in jungen Jahren zunächst eine aufgeklärte, reformorientierte Politik betrieben, die seinem Land ökonomisch und kulturell zugute kam, so vertrat er mit zunehmendem Alter streng konservative, ja reaktionäre Positionen, verbunden mit der Unterdrückung und Verfolgung progressiver Kräfte. Sachsen entwickelte sich in seiner Ära politisch zu einem der rückständigsten deutschen Staaten, wurde aber Dank des sprichwörtlichen Fleißes seiner Einwohner und ihres Erfindungsreichtums zum Vorreiter der industriellen Revolution in Deutschland und genoss als Hort der schönen Künste hohes Ansehen. Die Ausstellung „Friedrich August der Gerechte - Kurfürst und König von Sachsen“ ist täglich außer Dienstag von 10 bis 18 Uhr im Hausmannturm des Dresdner Residenzschlosses geöffnet.

Helmut Caspar

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