Der Genius des Dichters -
Wie Frankfurt an der Oder zu seinem Kleist-Nationaldenkmal kam



Das Kleist-Denkmal im Frankfurter Gertraudenpark fand vor über hundert Jahren nicht nur Beifall. Kritiker unterstellten dem 1910 enthüllten Monument, allzu beliebig zu sein.



Das Kleistmuseum in der ehemaligen Garnisonschule zu Frankfurt an der Oder erhält in den kommenden Jahren einen Anbau, in dem weitere Zeugnisse aus dem Leben des Dichters präsentiert werden.



Eine Gedenktafel in einem Haus mitten in der Oderstadt erinnert daran, dass in dem Vorgängerbau Heinrich von Kleist geboren wurde. (Fotos: Caspar)

Im Park an der Gertraudkirche ehrt die alte Universitätsstadt Frankfurt an der Oder seit hundert und einem Jahr ihren großen Sohn, den Dichter Heinrich von Kleist. Das Bronzemonument wurde von dem Bildhauer Gottlieb Elster geschaffen und nicht zum einhundertsten Todestag des Dramatikers und Erzählers aufgestellt, sondern schon ein Jahr davor. Man mochte sich nicht gern des tragischen Freitodes des Dichters gemeinsam mit Henriette Vogel am 21. November 1811 am Kleinen Wannsee bei Berlin erinnern und wählte das Jahr 1810 als Bezugspunkt, in dem Kleist am „Prinzen von Homburg“ schrieb und als Journalist in Opposition zu damaligen preußischen Eliten stand. In jüngster Zeit wurde das Monument restauriert und von dicken Schmutzschichten befreit, aber auch gegen vandalische Anschläge durch Graffiti-Schmierer geschützt, die so viele Denkmäler und Gedenkstätte im Land verunstalten.

Der feierlichen Enthüllung am 25. Juni 1910 waren jahrelange Auseinandersetzungen über Sinn und Aussehen des durch Sammlungen unter Verehrern des Dichters finanzierten Monuments vorangegangen. Im Jahre 1906 hatte ein Komitee zur Errichtung eines Kleist-Denkmals in der Oderstadt veröffentlicht und um Spenden gebeten, damals das übliche Verfahren, um Projekte außerhalb der Staatsdenkmäler finanzieren zu können. Als Motto stand über dem Appell ein Gedicht von Friedrich Hebbel aus dem Jahre 1840: „Er war ein Dichter und ein Mann wie Einer, / Er brauchte selbst dem Höchsten nicht zu weichen, / An Kraft sind Wenige ihm zu vergleichen, / An unerhörtem Unglück, glaub’ ich, Keiner“.

Der aus einer altadligen Offiziersfamilie stammende Heinrich von Kleist ist dieser spärlich bekleidete Jüngling wahrlich nicht, der da auf dem Sockel sitzend, ganz ins Land der Poesie entrückt zu sein scheint. Vielmehr ist es der Genius des Dichters. Ein Lorbeerkranz schmückt den Kopf der überlebensgroßen Figur, und die Harfe in der rechten Hand weist auf seine künstlerische Profession. In einem zeitgenössischen Kommentar wurde hervorgehoben, dass sich das Denkmal „in seiner schlichten Eigenart auf das Glücklichste von den ausgetretenen Bahnen unserer Monumentalplastik“ entfernt. Doch gab es auch kritische Stimmen wie diese: „Ein undifferenzierter Genius mit Lorbeerkranz und Harfe, ohne jede Charakteristik, ohne Kraft und Feuer. Der Traum von einem Kleist-Nationaldenkmal ist ausgeträumt. Im Park wird sich ein Gedenkstein erheben, an dem der Name besagt, wem er gehört und bei dem jedermann sich denken kann, was er will“. Das ist richtig beobachtet, denn die Figur hätte auch das Grab eines x-beliebigen Industriellen der Kaiserzeit schmücken können oder sich auch als Gartenplastik gut gemacht, so allgemein und überzeitlich ist die Darstellung aufgefasst.

Um Missverständnissen vorzubeugen, erklärt die Inschrift DEM ANDENKEN HEINRICHS VON KLEIST, wer hier geehrt wird. Darüber befindet sich das einer Miniatur von Peter Friedel aus dem Jahre 1801 nachempfundene Bildnismedaillon. Zusätzliche Erläuterungen geben die Bronzereliefs an den drei übrigen Flächen des Steinsockels mit Szenen aus berühmten Kleist-Werken - Käthchen von Heilbronn, Der Zerbrochene Krug und Prinz Friedrich von Homburg. Letzterer zitiert den berühmten Schlusssatz „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ aus dem gleichnamigen Drama.

Heinrich von Kleist ist an verschiedenen Stellen in seiner Geburtsstadt präsent. Da das Geburtshaus des Dichters in der Großen Oderstraße im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, hat man an seinem Nachfolgebau eine Erinnerungstafel angebracht. Sammelstätte von allem, was mit Heinrich von Kleist zu tun hat, ist das Kleist-Museum, das 1968 in der ehemaligen Garnisonschule in der Faberstraße als Kleist gewidmete Gedenk- und Forschungsstätte eingerichtet wurde und ab 2012 einen modernen Anbau erhält. 1977 wurde im Hof des Kleist-Museums eine von Wieland Förster anlässlich des 200. Geburtstages des Dichters geschaffenes Plastik aufgestellt. Die expressive Bildhauerarbeit unterscheidet sich fundamental von der idealen Jünglingsfigur im Gertraudpark. Der nackte Mann hat kein Gesicht, er wächst aus dem Stein heraus, der Nacken des nach oben gerichteten Kopfes wird vom rechten Arm gestützt, die linke Hand ist wie schützend über den Körper gelegt. Die Sandsteinskulptur, mit der Wieland Förster Größe und Tragik Heinrich von Kleists ausdrückte, erhielt 1980 an der Südostecke der Frankfurter Marienkirche einen neuen Aufstellungsort.

Im Kleist-Museum erfährt man, dass der berühmte Sohn der Stadt schon sehr jung in die preußische Armee eintrat, ihn aber schon ein paar Jahren später quittierte und die Karriere als Offizier mit der unsicheren Laufbahn als Schriftsteller eintauschte. An der Frankfurter Universität Viadrina studierte er in den Fächern Physik, Mathematik, Kulturgeschichte und Naturrecht und erteilte nebenbei den Töchtern des Frankfurter Kompaniechefs August Hermann von Zenge Privatunterricht. Die Beziehung zu dessen Tochter Wilhelmine von Zenge führte im Frühjahr 1800 zur Verlobung. Im Sommer desselben Jahres brach Kleist nach nur drei Semestern sein Studium ab und ging auf Reisen. Sie führten ihn unter anderem 1801 mit seiner Stiefschwester Ulrike über Dresden nach Paris, später ohne sie in die Schweiz. An seinem Plan, am Thuner See als Landwirt das Rousseausche Ideal „Zurück zur Natur“ zu verwirklichen, scheiterte 1802 seine Verlobung mit Wilhelmine von Zenge. Im gleichen Jahr ging Kleist nach Weimar und lebte Anfang 1803 bei Christoph Martin Wieland und lernte bei ihm auch Goethe und Schiller kennen. Erst 1804 gelang dem Siebenundzwanzigjährigen der Eintritt in den preußischen Staatsdienst.

Nachdem Preußen bei Jena und Auerstedt im Oktober 1806 im Krieg gegen Frankreich eine entscheidende Niederlage erlitten hatte, wurde es von den Truppen des Siegers, Napoleon I., okkupiert, und es begann eine Periode der politischen und geistigen Erneuerung, in denen die Stein-Hardenbergschen Reformen durchgesetzt wurden. Zwischen 1807 und 1809 weilte der Dichter in Dresden, wo er mit Adam Müller die Zeitschrift „Phöbus“ herausgab. 1810 veröffentlichte er mit den „Berliner Abendblättern“ die erste Berliner Tageszeitung. Bereits nach einem halben Jahr musste das Blatt, in dem sich Kleist unter anderem auch als Kriminalreporter mit guten Verbindungen zur Berliner Polizei betätigte, wegen Schwierigkeiten mit der Zensur eingestellt werden.

Literarisch überaus produktiv aber ohne den gewünschten Erfolg, an menschlichen Bindungen zweifelnd und über die politische Lage in seinem von Frankreich abhängigen und dazu noch stark verkleinerten Heimatland entsetzt, nahm sich Heinrich von Kleist gemeinsam mit der unheilbar kranken Henriette Vogel vor 200 Jahren am Kleinen Wannsee bei Berlin das Leben. „Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein“, steht als Zitat aus dem „Prinzen von Homburg“ auf dem Grabstein. Auf die lange vernachlässigte, vor wenigen Jahren erst wieder hergerichtete Gedenkstätte weisen an der Straße ein Bronzerelief und eine Holztafel hin, diese mit der Aufschrift „Frieden hier suchte des Dichters ruhelose Seele / Schone darum die Natur, die ihn hier liebend umfängt“. Eine kleine Steintafel am Grab erinnert auch an Henriette Vogel, Kleists Gefährtin im Leben und im Tode.

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