Erfasst, verfolgt, vernichtet - Topographie des Terrors erinnert an die Krankenmorde im Nationalsozialismus



Wer von den Nationalsozialisten als „Ballastexistenz“ eingestuft wurde, hatte zum Leben keine Chance. In der Topographie des Terrors werden die Opfer und die Täter genannt.



Im Außenbereich berichtet die Topographie des Terrors, wie es den Nationalsozialisten gelang, nach 1933 im „roten“ Berlin Fuß zu fassen. (Fotos: Caspar)

Eine bis zum 13. Juli 2014 laufende Ausstellung erinnert in der Topographie des Terrors an die Ermordung von kranken und behinderten Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus. Im Außenbereich der Gedenkstätte im Berliner Bezirk Kreuzberg informiert außerdem eine Bilderwand auf den Mauerresten der ehemaligen Gestapozentrale, wie es den Nazis gelang, im „roten“ Berlin Fuß zu fassen und die Reichshauptstadt zu ihrem Herrschaftszentrum zu machen.

Die von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde in Verbindung mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der Stiftung Topographie des Terrors gestaltete Dokumentation berichtet, wie nach der Errichtung der NS-Diktatur Kranke und Behinderte durch Nahrungsentzug, Überdosen von Medikamenten und Vergasen ermordet wurden. 400 000 Menschen wurden auf Weisung von so genannten Erbgerichtshöfen zwangsweise sterilisiert und 200 000 in über das ganze Reich verteilten Anstalten ermordet. Gegenüber den Angehörigen hat das verantwortliche Personal die wahren Mordmotive verschleiert. Die als Geheime Reichssache eingestufte Aktion trug die Bezeichnung T 4 nach der Zentrale des organisierten Krankenmordes in der Berliner Tiergartenstraße 4. In deren Nähe entsteht aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags neben der Philharmonie am Kulturforum ein zentraler Gedenkort, auf dem gut sichtbar die systematische Ermordung von Kranken und Behinderten im Deutschen Reich zwischen 1933 und 1945 erinnert wird.

Die Ausstellung berichtet, wer die Opfer vom Kind bis zum Greis waren und wer den Massenmord organisiert und durchgeführt hat. Dem Tod geweiht waren nach damaliger Sicht Schizophrene, Epileptiker, Schwachsinnige und andere als „Ballastexistenzen“ eingestufte Menschen, aber auch solche „nicht deutschen oder artverwandten Blutes“. Speziell für Kinder eingerichtete „Fachabteilungen“ suggerierten den Eltern zu Unrecht, dass die Schützlinge dort besonders gut versorgt und betreut werden. Die Dokumentation schildert darüber hinaus, wie Familienangehörige auf die Todesnachrichten reagierten und wie sie nach dem Ende des NS-Regimes oft vergeblich versuchten, Aufklärung über das Schicksal ihrer ermordeten Eltern, Geschwister und Kinder zu erlangen. Lange war es üblich, die Namen der Ermordeten zu anonymisieren. Davon sind die Ausstellungsmacher jetzt abgerückt, denn sie wollen den Opfern einen Namen geben. Die Dokumentation zeigt, dass es Widerstand vor allem in christlichen Gemeinden gegen den von der NS-Führung als Wohltat für das deutsche Volk gepriesenen Krankenmord gab und sich Ärzte dem Ansinnen verweigerten, die ihnen anvertrauten Patienten zu ermorden oder zu sterilisieren. Es wird zudem gezeigt, dass nach 1945 den wenigsten am Massenmord beteiligten Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern etwas geschehen ist, ja dass einige prominente T 4-Gehilfen ihre Karriere fortsetzen konnten und sogar als Experten im Deutschen Bundestag angehört wurden. Die Sonderausstellung in der Topographie des Terrors über den nationalsozialistischen Krankenmord ist täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei.

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