Hitlers Helfer in weißen Ärztekittel - Neuer Gedenkort an der Tiergartenstraße informiert über den nationalsozialistischen Krankenmord



Die neue Gedenkstätte an der Tiergartenstraße nennt die Opfer und die Täter des nationalsozialistischen Krankenmordes zwischen 1933 und 1945.



Der Erinnerungsort zeigt in blauer Farbe an einem Lageplan, wo sich die Zentrale der Aktion T 4 befunden hat.



Wo bis zur Kriegszerstörung und dem späteren Abriss die hochherrschaftliche Villa Tiergartenstraße 4 stand, erhebt sich heute die Gedenkstätte gleich neben der Philharmonie. (Fotos: Caspar)

An eine über Jahrzehnte weitgehend vergessene Opfergruppe der nationalsozialistischen Diktatur, die zu Hunderrausenden zählenden Kranken und Schwachen vom Kind bis zum Greis, erinnert eine neue Gedenkstätte an der Tiergartenstraße unweit der Philharmonie. Der von der Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit eingeweihte Gedenk- und Informationsort steht am Ort der früheren Planungszentrale für den organisierten Krankenmord zwischen 1933 und 1945. Die Aktion hatte den Tarnnamen T 4 nach der aus der Kaiserzeit stammenden hochherrschaftlichen Villa mit der Adresse Tiergartenstraße 4. „An die vom NS-Regime ermordeten Opfer der sogenannten ‚Aktion T4‘ zu erinnern heißt auch, der so unfassbar menschenverachtenden Unterscheidung zwischen ‚lebenswertem‘ und ‚lebensunwertem‘ Leben entgegenzutreten“, erklärte die Staatsministerin bei der Übergabe der Gedenkstätte an die Öffentlichkeit und betonte, jedes menschliche Leben sei es wert, gelebt zu werden. Der Gedenkort T4‘ konfrontiere uns heute mit der grauenvollen NS-Ideologie, die sich anmaßte, das einzelne Leben nach „Nützlichkeit“ und „Brauchbarkeit“ zu werten und zu behandeln.

Die nach Entwürfen von Ursula Wilms und Nikolaus Koliusis gestaltete Gedenkstätte besteht aus einer 24 Meter langen und 2,6 Meter hohen Wand aus Glas, dessen Blau als Farbe der Erinnerung gedeutet werden kann. Vor der Glaswand wird auf Monitoren und mit Reproduktionen von Dokumenten aus der NS-Zeit geschildert, was sich hinter der Aktion T 4 verbarg und wer die Vordenker und Vollstrecker der NS-Vernichtungsbürokratie von angeblich lebensunwertem Leben waren. An einzelnen Schicksalen schildert die Dokumentation, wer die Opfer des Vernichtungswahns waren und in welchen Krankenanstalten und so genannten Kinderfachabteilungen sie verhungerten, vergiftet oder vergast wurden. Den Angehörigen wurde vorgespiegelt, dass die in die tiefe Provinz des Deutschen Reiches sowie die von der Wehrmacht besetzten Länder verschleppten Kranken eines natürlichen Todes gestorben seien.

Besucher des Gedenk- und Informationsortes erfahren darüber hinaus, dass es vor allem von den Kirchen Widerstand gegen die Mordaktionen gab, und sie lernen, dass den wenigsten Mördern in weißen Ärztekittel und schwarzen SS-Uniformen nach dem Zweiten Weltkrieg etwas geschehen ist, von einigen hochrangigen Medizin-Funktionären abgesehen. Einer von ihnen, der Kinderarzt Prof. Dr. Catel, war als Leiter der Universitätskinderklinik Leipzig Obergutachter für den organisierten Krankenmord. Nach 1945 machte er Karriere als Leiter einer Kinderheilstätte im Taunus und lehrte als Ordinarius für Kinderheilkunde in Kiel. In einem als Reproduktion abgebildeten Interview mit dem „Spiegel“ sprach sich Catel dafür aus, der Gesetzgeber sollte in gewissem, genau definiertem Umfang die Tötung „vollidiotischer Kinder“ freigeben. „Freilich trifft auf die Maßnahmen, die ich für richtig halte, der Begriff ,Euthanasie’ eigentlich garnicht zu. Und das, was ich fordere, hat auch mit dem, was die Verantwortlichen im Dritten Reich als Euthanasie ausgaben, nichts zu schaffen. [...] Zunächst muß ärztlich festgestellt sein, daß bei dem betreffenden Kinde keine seelische Regung vorhanden ist. Solche Feststellungen sind bei der Geburt häufig noch nicht möglich“. In ihrer Todesanzeige lobte die Universität Kiel 1981 den unbelehrbaren und uneinsichtigen Mediziner so: „Durch seine wissenschaftlichen und publizistischen Aktivitäten hat er weit über den engen Wirkungskreis der Klinik hinaus in vielfältiger Weise zum Wohle kranker Kinder beigetragen“.

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