„Man sollte ihnen keine Träne nachweinen“ - Erich Honecker trieb vor 25 Jahren auf zynische Weise zahlreiche Menschen in die Flucht



Als dem SED-Chef und Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker 1983 dieser jetzt im Deutschen Historischen Museum ausgestellte Teller geschenkt wurde, glaubte niemand, dass die DDR nur noch wenige Jahre existiert.



Auf Trödelmärkten findet man gelegentlich solche Spottbilder. Solange Honecker an der Macht war, achtete er peinlich darauf, dass Fotografen ihn stets vorteilhaft ablichteten. (Fotos: Caspar)

Wir blicken in diesen Wochen ganz besonders intensiv auf die Zeit vor 25 Jahren, als zahlreiche DDR-Bewohner auf die Straße gingen und dem Land den Rücken kehrten. Der SED-Chef und Staatsratsvorsitzende Erich Honecker heizte die Stimmung durch eine zynische Formulierung an, die sich nach ein paar Monaten gegen ihn persönlich richten sollte. In eine ADN-Kommentar gegen die Fluchtbewegung über Polen, die CSSR und Ungarn fügte Honecker, die oberste Instanz in allen Fragen der Propaganda, nach dem Satz „Sie alle haben durch ihr Verhalten die moralischen Werte mit Füßen getreten und sich selbst aus unserer Gesellschaft“ noch diese Formulierung ein: „Man sollte ihnen deshalb keine Träne nachweinen“. Auf diesen höhnischen und die Realitäten auf den Kopf stellenden Satz muss der SED- und Staatschef so stolz gewesen sein, dass er ihn in seinem Sprachrohr, der Aktuellen Kamera, verlesen ließ, was die DDR-Bürger und sogar SED-Genossen zusätzlich auf die Palme brachte.

Wie Günter Schabowski, der langjährige Chefredakteur des „Neuen Deutschland“ beziehungsweise 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED Berlin, in seinem Buch „Der Absturz“ (1991) bemerkte, habe der im SED-Zentralorgan und in anderen Blättern verbreitete Kommentar nicht nur bei vielen Angehörigen der Flüchtlinge Empörung ausgelöst. Realitätsferne und Zynismus, die aus den Worten sprachen, hätten den Parteisekretären in den Betrieben und vielen SED-Mitgliedern in ihrer Arbeits- und Lebenssphäre schwer zu schaffen gemacht. Nach Honeckers Sturz wurde von der Parteiführung versucht, den Schaden zu beheben, indem reumütig versichert wurde, jeder Flüchtling sei einer zu viel und es würden alle DDR-Bewohner gebraucht, um die krisenhafte Situation in den Griff zu bekommen. Der Vorgang ist neben vielen anderen Denk- und Merkwürdigkeiten in dem Buch von Burghard Ciesla und Dirk Külow „Zwischen den Zeilen. Geschichte der Zeitung ,Neues Deutschland’ aus dem Verlag das Neue Leben Berlin beschrieben (256 S., zahlr. Abb. 25,60 Euro ISBN 976-3-360-01920-2) beschrieben.

Schon bald wurde Honecker im Zuge einer von Politbüromitgliedern um Günter Schabowski angezettelten Palastrevolution angeblich aus Gesundheitsgründen abgesetzt, nicht ohne dass zuvor grünes Licht dafür bei Gorbatschow in Moskau eingeholt wurde. Dem bisherigen Partei- und Staatschef, der durch seine Halsstarrigkeit und Unbeweglichkeit und verbale Ausfälle die Staatskrise verschärft hatte, blieb die Spucke weg. Parteisoldat, wie er war, stimmte er der eigenen Entmachtung zu. „Sang und klanglos war die Ära Honecker zu Ende gegangen. Verbohrter menschlicher Ewigkeitswahn hatte sich jäh begrenzbar erwiesen“, beschrieb Schabowski die neue Lage. Der gesundheitlich angeschlagene Honecker hat sich von dem von seinen eigenen Genossen verantworteten tiefen Fall nicht mehr erholt. Er starb 1994 im chilenischen Exil, ohne eigene Schuld am Untergang seines Staates einzugestehen.

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"