"O die Wohnungen des Todes"

Neue Silbermünze und Briefmarke zu Ehren der Dichterin Nelly Sachs wurden dem Jüdischen Museum Berlin übergeben



Mit der von Georg Mann gestalteten Silbermünze und der von Daniela Haufe
und Detlef Fiedler entworfenen Briefmarke ehrt Deutschland Nelly Sachs,
die ihr ganzes Schaffen den verfolgten und ermordeten Leidensgenossen gewidmet hat.




Schlicht und doch überzeugend ist das Bronzedenkmal auf dem Berliner Koppenplatz, in dessen
Bodenplatte mahnende Worte von Nelly Sachs verewigt sind. (Repro/Foto: Caspar)


Anfang April 2016 fand im Jüdischen Museum an der Lindenstraße in Berlin die feierliche Übergabe einer neuen Zwanzig-Euro-Münze aus Silber und einer Briefmarke zu 70 Cent zum 125. Geburtstag der Dichterin und Literaturnobelpreisträgerin des Jahres 1966 Nelly Sachs statt. Bei dem Entwurf für die Briefmarke haben Daniela Haufe und Detlef Fiedler ein Foto der Dichterin verwendet, die schon früh in ihrer Heimat mit dem Schreiben begonnen hatte. Das Modell für das in einer Auflage von 1,2 Millionen in Stuttgart mit dem Kennbuchstaben F geprägten Silberstücks schuf Georg Mann aus Halle. Seine Idee, Stacheldraht als Sinnbild der Unfreiheit mit einem Vogel als Allegorie auf die Freiheit zu verbinden, hat der Jury so gut gefallen, dass sie das Modell mit dem ersten Preis ausgezeichnet hat. Das von den üblichen Münzporträts abweichende und daher ungewöhnliche Motiv ist die bildliche Antwort eine Anspielung auf die Umschrift "Kommt einer von Ferne", die einem Gedicht der am 10. Dezember 1891 in Berlin als Tochter eines wohlhabenden Gummifabrikanten geborenen Leonie Sachs, genannt Nelly, entnommen ist. Die Randschrift "Friede du leiseste aller Geburten" entstammt einem weiteren Gedicht der Künstlerin, die 1940 mit ihrer pflegebedürftigen Mutter als eine der letzten deutschen Juden nach Schweden fliehen konnte und dort lange unter erbärmlichen Umständen lebte. Sie starb am 12. Mai 1970 in Stockholm und ist dort auf dem Jüdischen Friedhof bestattet.

Für Nelly Sachs war der Tod ein Lehrmeister, ihre Metaphern waren nach eigenen Worten ihre Wunden. Sie verarbeitete die vielen Schicksalsschläge, die sie erleben musste, mit expressiven Gedichten und weiteren Werken. So wurde sie zu einem wichtigen Sprachrohr ihrer "von den Nazis verfolgten und ermordeten Schwestern und Brüder des jüdischen Volkes", wie sie schrieb. Sie war mit vielen bedeutenden Autoren ihrer Zeit bekannt und befreundet und empfing zahlreiche Literaturpreise. Ihre Werke in vier Bänden erschienen im Suhrkamp Verlag, der Nachlass wird in der Königlichen Bibliothek Stockholm verwahrt. Lange hat man die Dichterin in der alten Heimat nicht wahrgenommen, und sie selber nach einigem Zögern kam nur zweimal, nämlich 1960 und 1965, anlässlich von Preisverleihungen in die Bundesrepublik Deutschland, wo man sich mit der so genannten Bewältigung der Vergangenheit und mit Wiedergutmachung schwer tat und Probleme mit einer sprachgewaltigen Autorin hatte, die den Deutschen einen Spiegel vorhielt. Anderen Künstlern ist es damals ähnlich ergangen. Nelly Sachs mied die Öffentlichkeit und weigerte sich, ausführlichere Angaben über ihr Leben zu machen. An Walter A. Berendsohn, der an ihrer Biographie arbeitete, schrieb sie: "Meine Bücher enthalten alles, was vielleicht einer oder der andere wissen will über mein Leben... Ich aber will, daß man mich gänzlich ausschaltet - nur eine Stimme, ein Seufzer für die, die lauschen wollen ... Ich selbst will meine Einsamkeit!"

Die öffentlichkeitsscheue Künstlerin wird auf dem Koppenplatz im Herzen von Berlin geehrt. Ein leerer Tisch, ein stehender und ein umgestürzter Stuhl - drei verlassene Möbelstücke auf einem Parkettfußboden, alles aus Bronze auf einem niedrigen Sockel in einer Grünanlage - mit diesem Denkmal für die verschleppten und ermordeten Juden Berlins hat der Bildhauer Karl Biedermann viel Lob bekommen. Nichts ist von den ehemaligen Bewohnern übrig geblieben als ein paar bescheidene Möbelstücke. Überzeugender konnte ein Künstler die Leere nach dem Mord an den Juden nicht darstellen. Die Inschrift um die viermal fünf Meter große Bodenplatte zitiert Nelly Sachs mit diesen Worten aus einem 1947 veröffentlichten Gedicht "O die Wohnungen des Todes, / Einladend hergerichtet / Für den Wirt des Hauses, der sonst Gast war. / O ihr Finger, / Die Eingangsschwelle legend, / Wie ein Messer zwischen Leben und Tod - / O ihr Schornsteine, / O ihr Finger, / und Israels Leib und Rauch durch die Luft!". Das Jüdische Museum Berlin besitzt einige Hinterlassenschaften aus dem Besitz von Nelly Sachs. Gezeigt werden unter anderem die Eheringe ihres Vaters, der schon vor der Errichtung der NS-Diktatur verstorben war, sowie ihrer Mutter, aber auch die goldene Nobelpreis-Medaille mit eingraviertem Namen, die Nelly Sachs 1966 in einer Schatulle mit einer Urkunde überreicht wurde.

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