"Fesseln des Schlendrians zerbrechen"

Westphalen und sein "König Schrohm" genannter Herrscher brachten interessante, bei Sammlern begehrte Münzen hervor



Die Reformen, die König Jerôme in Westphalen zwischen 1807 und 1813 nach
französischem Vorbild auf den Weg brachte, blieben unvollendet.




Der Stempel für das Zwanzig-Cent-Stück von 1810 wurde vom Pariser
Graveur Tiolier mit dem Namenskürzel HN für Hieronymus Napoleon versehen.




Der Mansfelder Bergsegenstaler und das goldene Zehn-Taler-Stück
von 1811 und 1810 sind mit dem Bildnis des Königs von Westphalen
und seinem Wappen geschmückt. (Fotos/Repro: Caspar)

Auf dem Wiener Kongress wurde beschlossen, das von 1807 bis 1813 bestehende Königreich Westphalen und weitere Territorien am Rhein und in Mitteldeutschland dem preußischen Königreich zuzuschlagen. Im frühen 19. Jahrhundert wurde die Landkarte im damaligen römisch-deutschen Reich neu gezeichnet. Durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 verloren viele geistliche und weltliche Fürstentümer sowie Reichsstädte ihre Souveränität und wurden anderen, größeren Territorialstaaten zugeschlagen. Im Sommer 1806 hauchte das Heilige Römische Reich deutscher Nation sein Leben aus. Der bisherige Kaiser Franz II. legte die Krone nieder und nannte sich Kaiser Franz I. von Österreich. Völkerrechtswidrig besetzten französische Truppen 1807 nach dem zwischen Frankreich und Preußen geschlossenen Tilsiter Frieden das hessische Kurfürstentum, das dem neu gebildeten und von König Jerôme regierten Königreichs Westphalen zugeschlagen wurde. Andere kurhessische Landesteile kamen an das neu gegründete Großherzogtum Frankfurt, dessen Existenz allerdings nicht von Dauer war. Kurfürst Wilhelm I. musste das Land verlassen und kehrte erst nach der Völkerschlacht bei Leipzig am 18. Oktober 1813 zurück, in der die französischen und sächsischen Truppen eine verheerende Niederlage erlitten hatten. Er setzte sich erfolgreich auf dem Wiener Kongress 1814/15 für die Beibehaltung seines kurfürstlichen Titels ein und hoffte, allerdings vergeblich, mit Blick auf eine Wiederherstellung des alten Kaisertums auf eines der nur den kurfürstlichen Wahlmännern zustehenden Erzämter.

Nach der Aufhebung der geistlichen und weltlichen Territorien im Zusammenhang mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 erlebte auch Westfalen tiefgreifende Veränderungen. Friedrich Wilhelm III. von Preußen zerbrach die "Fesseln des Schlendrians", wie man damals lobte, und wurde zunächst für seine nordwestdeutschen und rheinischen Gebietsverluste mit westfälischen und thüringischen Territorien abgefunden. Nach dem verlorenen Krieg von 1806/7 gegen Frankreich büßte er diese Gewinne wieder ein und musste auch den Verlust westlich der Elbe gelegener Städte einschließlich Magdeburgs und großer Ländereien hinnehmen. Durch den Frieden von Tilsit wurde Preußen zur Zahlung von 140 Millionen Francs als Kontributionen an das siegreiche Frankreich verpflichtet und wurde von dessen Truppen besetzt und drangsaliert.

In Kassel regierte von 1807 bis 1813 Jerôme (Hieronymus) das aus Teilen der preußischen Monarchie sowie aus Hessen-Kassel, Braunschweig-Wolfenbüttel und des Kurfürstentums Hannover zusammengewürfelte Königreich Westphalen. Der jüngste Bruder des französischen Kaisers Napoleon I. dokumentierte seine Würde auf Geldstücken aus Gold, Silber und Kupfer mit seinem Bildnis, Monogramm und Wappen. In volkstümlicher Erinnerung blieb Jerôme als "König Lustick", weil das angeblich das einzige deutsche Wort gewesen sein soll, das er kannte und sprach. Der Vorname des mit einer württembergischen Prinzessin vermählten königlichen Lebemanns wurde im nordhessischen Dialekt zu "Schrohm" verballhornt, womit ein Spaßvogel, Schalk und Schürzenjäger gemeint war. Nach Jerôme ist ein in Kassel und Umgebung beliebter Kräuterschnaps benannt.

Jerôme war ein für seine Zeit moderner Herrscher, der sein kleines, dem Rheinbund angehörendes Land nach französischem Vorbild in einen Musterstaat zu verwandeln suchte. Er schaffte die Folter und entehrende Todesstrafen sowie den Verkauf von "Landeskindern" an fremde Potentaten ab, wie es sein hessischer Vorgänger in Kassel getan hatte. Außerdem beschnitt er die Privilegien des Adels, was ihm in diesen Kreisen keine Freunde einbrachte. Der König von Westphalen machte mit dem üblichen Schlendrian Schluss, auch wenn er sich selber ein ausschweifendes Leben gönnte. Er übernahm verschiedene Reformen seines kaiserlichen Bruders, verzichtete auf die Leibeigenschaft der Bauern, gewährte seinen Untertanen Religionsfreiheit und verschaffte dem Code civil, den Napoleon I. 1804 in Frankreich dekretiert hatte, zu seinem Recht. Nach seiner Entmachtung im Ergebnis der Befreiungskriege von 1813 bis 1815 ging "König Schrohm" ins Exil, erlebte aber unter der Herrschaft seines Onkels Napoleon III. ein Comeback als Marschall von Frankreich sowie als Präsident des Senats mit dem Titel "kaiserlicher Prinz".

Numismatisches Interesse verdienen Neuerungen im westphälischen Münzwesen, aber auch bei den Maßen und Gewichten. Das kleine Königreich übernahm das nach der Revolution von 1789 eingeführte französische Dezimalsystem. Geprägt wurden Gold-, Silber- und Kupfermünzen mit dem Kopf des Königs, seinem Wappenschild und dem Monogramm HN, was nichts anderes als Hieronymus Napoleon bedeutet. Die gestalterisch und technisch anspruchsvollen Münzen waren für die alteingesessene Bevölkerung sehr gewöhnungsbedürftig. Man musste ihren Wert gegenüber den traditionellen Nominalen errechnen, und das führte zu Ärger, zumal die Untertanen des Königs von Westphalen weder lesen noch schreiben und rechnen konnten.

Das größte Nominal in dem neuen Geldsystem war ein ab 1808 geprägtes Zwanzig-Franken-Stück, das nach Entwürfen des Graveurs Tiolier in Paris und in Kassel geprägt wurde. Der darauf abgebildete König versprach sich von der Angleichung seiner Münzen an das französische System Vorteile für den Warenaustausch zwischen Westphalen und Frankreich. Allerdings machte Jerôme nicht die Rechnung mit seinen Untertanen, die das neue Geld ablehnten. Viel gravierender aber war, dass andere Mitgliedstaaten des Rheinbundes wie Bayern und Sachsen sowie weitere Fürstentümer und Kommunen nicht bereit waren, ihre Talerwährung aufzugeben und sich dem Franken-System anzuschließen. Jerôme sah sich daher gezwungen, in Clausthal neben den neuen Franken- und Centstücken wie bisher auch die guten alten Konventionstaler und ihre Teilstücke herstellen zu lassen.

So gut sie gemeint waren, den Neuerungen der Ära des "König Lustik" war kein langes Leben beschieden. Nach den Befreiungskriegen und der Vertreibung des "garstigen Hieronimus", wie man in Preußen das Mitglied der Dynastie Bonaparte abschätzig nannte, wurden die meisten Reformen zurück genommen. Ausgedient hatte auch das Dezimalsystem, und wenn Münzen aus der Zeit des Königreichs Westphalen auftauchten, hat man sie als Rohstoff zur Herstellung neuer Geldstücke eingeschmolzen. Das macht viele erhalten gebliebenen Stücke zu numismatischen Raritäten. Die auf ihre Throne in Hannover, Braunschweig und Kassel zurück gekehrten Herrscher rächten an den Parteigängern des bisherigen Regimes und taten alles, um die überwundene Zeit vergessen zu machen.

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