Wie die Nazis zu Geld und Gold kamen
Neue Dokumentation in einem Berliner Betonbunker berichtet vom Weg der Deutschen in die Diktatur und den Untergang



Der im alten Kriegsbunker untergebrachte Lern- und Erinnerungsort zur Geschichte des Nationalsozialismus wird durch ehrenamtliche Arbeit vom gemeinnützigen Verein Historiale e.V. getragen, der im gleichen Bunker auch das Berlin Story Museum eingerichtet hat.





In den einzelnen Räumen finden mehr als 2300 Bilder und Dokumente auf 330 Tafeln Aufmerksamkeit. Hier wird gezeigt, wie das NS-Regime die mit viel Propagandagetöse die "Volksgemeinschaft" etabliert und die Jugend für seine Zwecke rekrutiert hat.



Nach dem gescheiterten Putsch vom 9. November 1923 und der kurzen Haft in der Festung Landsberg zog sich Hitler Ende 1924 nicht ins Privatleben zurück, wie manche Leute gehofft hatten, sondern gründete die NSDAP neu und konzentrierte sich ganz auf die "Ergreifung" der Macht, die am 30. Januar 1933 gelang.



Hitler lässt sich das bei Krupp in Essen hergestellte und mit der Eisenbahn transportierte Riesengeschütz "Schwerer Gustav" vorführen. Die 80-Zentimeter-Kanone wurde im Juni 1942 bei der Belagerung und Beschießung von Sewastopol eingesetzt.



Zu den Lieblingsbeschäftigungen des in Wien als Kunstmaler gescheiterten Diktators gehörten Planung und Bau neuer Städte sowie von Riesenbauten der Partei, der Regierung und des Militärs. Hier legt er 1938 den Grundstein für das Haus des Fremdenverkehrs in Berlin.



Soldaten der Roten Armee geleiten die wenigen Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz Ende Januar 1945 in die Freiheit.



Was vom Großdeutschen Reich und seinem Führer geblieben ist, schildert das Berlin Story Museum im Keller des ehemaligen Reichsbahnbunkers. (Fotos/Repro: Caspar)

Die neue, im ehemaligen Reichsbahnbunker am Anhalter Bahnhof in Berlin eingerichtete Ausstellung "Hitler - wie konnte es geschehen" ist eine Dokumentation zur Geschichte des Nationalsozialismus und zum unheilvollen Wirken seines Anführers, die in Berlin ihresgleichen sucht. Weder die Topographie des Terrors auf dem früheren Gelände der SS und Gestapo noch das Deutsche Historische Museum Unter den Linden und das Märkische Museum am Köllnischen Park, auch nicht die Gedenkstätte Deutscher Widerstand an der Stauffenbergstraße und die Ausstellungen auf dem Gelände des Denkmals für die ermordeten Juden Europas unweit des Brandenburger Tors beziehungsweise im Haus der Wannseekonferenz kommen, was die Menge und Qualität der in 38 Abteilungen auf drei Ebenen ausgestellten Dokumente, Bilder und Erläuterungen betrifft, an die Dokumentation im Bunker an der Schöneberger Straße 23 a unweit des Potsdamer Platzes heran.

Der massige Betonbau mit 2,13 bis vier Meter dicken Außenwänden war 1942 nach dem "Führersofortbefehl Bunkerbau" errichtet worden. Für 3500 Mitarbeiter der Bahn und Reisende ausgelegt, suchten in ihm am Ende des Krieges bis zu 12 000 Menschen Schutz vor Bombenangriffen. Während des Kalten Kriegs wurde der Bau als Lebensmitteldepot des Westberliner Senats genutzt. Der Verlag Berlin Story bereitet ein Buch über den zu neuem Leben erweckten Bunker und die neue Ausstellung vor, die Resultat privaten Engagements ist. Die Kosten von 1,3 Millionen Euro für die Wiederherstellung und Einrichtung des Betonkolosses und der Ausstellung müssen aus Spenden ohne staatliche Förderung gestemmt werden.

Absurde Verschwörungstheorien

Für die Ausstellung hätte kein besserer Ort gewählt werden können als der Bunker mit seinem Labyrinth aus Gängen und Räumen stets ohne Fenster. Leute, die unter Klaustrophobie leiden, sind hier fehl am Platz, und man muss gute Nerven, viel Zeit und eine Portion Vorwissen mitbringen, um mit dem schwierigen Thema klar zu kommen. Die Dokumentation in dem Gebäude, umfasst die Zeit von der Geburt Hitlers 1889 im österreichischen Braunau bis zu seinem Selbstmord am 30. April 1945 im Berliner Führerbunker unterhalb der Reichskanzlei. Gleich zu Beginn weist die Schau absurde Verschwörungstheorien zurück, nach denen sich der Diktator gar nicht erschossen, sondern in einem U-Boot nach Argentinien geflohen sein soll. Damit beantwortet dieses auch Hitlers angebliche Tagebücher erwähnende Entree weitere aus purer Dummheit resultierende Fragen, ob der Bunker hier derjenige ist, in dem Hitler seine letzten Tage verbracht habe, oder wo sich denn die Gaskammern befinden.

Beim Rundgang kann man mehr als 330 Tafeln mit über 2300 zum Teil unbekannten Bildern betrachten, doch wird man kaum alles schaffen, sondern wird sich in einzelne Aspekte des schwierigen Themas vertiefen. Eine Frage könnte sein, warum die damaligen Großmächte den Diktator gewähren ließen, ja mit ihm Geschäfte machten, warum sie ihm beim Landraub vor Kriegsbeginn nicht in den Arm gefallen sind, sondern sich von seinen Friedensschalmeien betören ließen. Eine andere nicht weniger peinliche Frage ist, warum sich kaum jemand von den politischen Eliten in Großbritannien und den USA für das Schicksal der Juden im Deutschen Reich und dem ihm "angeschlossenen" Österreich sowie den okkupierten Ländern interessierte und wie es sein konnte, dass Präsident Roosevelt den mit vielen erschreckenden Fakten belegten Massenmord an den europäischen Juden aus wahltaktischen Erwägungen ignoriert hat.

Raubgold nach Berlin gebracht

An anderer Stelle berichtet die Ausstellung über die Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung und darüber, wie das Deutsche Reich mit einem System von Konzentrationslagern überzogen wurde und wie Hitler und seine Leute nach und nach das Land auf seine Linie gebracht hat. Millionen jubelten ihrem neuen Heilsbringer zu, der die "Schmach von Versailles" zu bekämpfen angetreten war und das Deutsche Reich aus tiefster Erniedrigung in eine strahlende Zukunft führen wollte und dies, oberflächlich betrachtet, auch tat. Die dazu gezeigten Bilder und Filmsequenzen zeigen, dass die von Goebbels geleitete Propaganda auf fruchtbaren Boden waren und diejenigen, die im Widerstand waren, zur absoluten Minderheit gehörten. Wenn es hoch kommt, dann trauten sich nur wenige mutige Menschen, etwas gegen den braunen Wahn zu unternehmen. Ihnen setzt die Ausstellung ein Denkmal, nur muss man in andere Dokumentationen gehen, um mehr über dieses Thema zu erfahren.

Auf verschiedenen Tafeln wird berichtet, wie sich die NSDAP finanziert hat und wie die Deutschen auf dubiose Weise mit Hilfe von Krediten und Schuldverschreibungen in Erwartung neuer Größe und schneller Siege zur Bezahlung der Aufrüstung und des Krieges herangezogen und wie die Bewohner der okkupierten Länder nach Strich und Faden ausgebeutet wurden. So wurden nach dem "Anschluss" Österreichs im März 1938 die reichen Gold- und Devisenvorräte der Alpenrepublik beschlagnahmt. Dabei fielen sage und schreibe 78 267 Kilogramm Gold in die Hände der Nazis. Das war achtzehnmal dessen, was der Reichsbank zur Verfügung stand. Ein Teil der Barren lagerte in der Bank of England, die den Schatz anstandslos nach Berlin überführte. Auf ähnlichem Weg rissen Spezialeinheiten der Wehrmacht, Gestapo und SS sowie Beamte des Reichsfinanzministeriums weitere Raubgold-Bestände an sich, um die Rüstungsindustrie zu schmieren und kostspielige Großbauten zu finanzieren. Die grenzenlose Gier von Hitler, Göring und anderen Naziführern nach Kunstschätzen, die man jüdischen und anderen Sammlern angepresst und geraubt hatte, ist Thema weiterer Bild-Text-Tafeln. Bis heute findet das eine oder andere Kunstwerk seinen Weg zu den Erben jener ermordeten oder vertriebenen Menschen zurück.

Kleingeld macht auch Mist

Dass das Großkapital Geldgeber der Nazis war, gilt als unumstößliche Wahrheit. Die Ausstellung widerspricht und betont, entscheidende Finanzquelle seien die Mitglieder selbst gewesen. "Die NSDAP ist so knapp bei Kasse, dass der Reichsparteitag im wichtigen Jahr 1932 ausfällt, weil er nicht zu bezahlen ist." Neue Forschungen ergaben, dass das Geld für die Uniformierung und Bewaffnung braunen Schlägertruppe nicht aus der Rüstungswirtschaft und von den Großagrariern stammt. "Als Hitler aus der Haft entlassen wird, nimmt er einen Kredit auf, für den der Klavierproduzent Edwin Bechstein haftet. Hitler persönlich kann sich immer wieder Geld borgen und erhält kleinere Beträge geschenkt. Ab 1930 steigen die Tantiemen von ,Mein Kampf'. Goebbels erhält häufig Zuwendungen von Frauen." Weiter ist zu lesen, dass sich die NSDAP-Gaue in prekärer Lage befanden. Sie hatten viele Arbeitslose, und die Zentrale drohte, wenn die Nazis vor Ort nicht ihre Beiträge zahlen, werde der Führer, also Hitler, nicht zu ihnen kommen. "Der Parteietat stammt aus den Mitgliedsbeiträgen, erst 50 Pfennig, dann eine Mark pro Monat, und vom Eintritt bei den Veranstaltungen, 30 Pfennig normal, wenn Goebbels spricht 50 Pfennig, bei Hitler eine Mark - ungewöhnlich, wenn andere Funktionäre sprechen, nichts. Sozialdemokraten geben 1930 im Bezirk Oberrhein 47 Pfennig pro Monat für die Partei aus, NSDAP-Mitglieder durchschnittlich sechs Mark aus". Mit anderen Worten bewahrheitet sich der alte Satz, wonach Kleingeld auch Mist macht. Der Berliner Historiker und Journalist Sven Felix Kellerhoff, der zu den Ausstellungsmachern gehört und viele Bücher über die NS-Zeit sowie Hitlers letzte Tage im Bunker der Reichskanzlei veröffentlicht hat, wird demnächst in einem neuen Buch über die NSDAP dazu mehr Fakten veröffentlichen.

Die Feststellungen über die Geldquellen der Nazipartei wird manche Besucher verwundern, hatten sie doch in Ost und West gelernt, dass es vor allem das Großkapital war, das Hitler auf skrupellose Weise den Weg an die Macht ebnete. Das System der Spendensammelei, auf das die Ausstellung mit knalligen Plakaten aufmerksam macht, wurde nach 1933 massiv ausgebaut, und kaum jemand konnte sich den ihnen entgegen gehaltenen Büchsen und der Verpflichtung entziehen, einen Teil seines Einkommens und Umsatzes an die alles beherrschende Partei und den Staat abzugeben. Am 1. Juni 1933 führte der Reichsstand der deutschen Industrie die nach dem Führer der NSDAP und Reichskanzler benannte Adolf-Hitler-Spende ein. Mit den Geldern sollte offiziell der "nationale Wiederaufbau" unterstützt werden, tatsächlich aber standen die nicht geringen Mittel Hitler persönlich zur Verfügung. Angeregt wurde die Spende von dem Rüstungsindustriellen Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, dem Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht und dem Hitler-Vertrauten und Reichsleiter Martin Bormann sowie Vertretern großer deutscher Unternehmen. Dass führende Industriemagnaten ihren Namen für die ganz auf Hitler zugeschnittene Spende hergaben, wurde hat das NS-Regime ihnen mit lukrativen Aufträgen, Orden, Privilegien und prächtigen Titeln vergolten, was im Übrigen auch für andere Unterstützer des Regimes galt.

Die von Krupp geführte und von zahlreichen Wirtschaftskapitänen unterstützte Spendenorganisation verstand sich als Interessenbündnis auf Gegenseitigkeit zwischen der NSDAP und der Wirtschaft und sicherte dieser Einfluss auf die Politik zu. Mit den Jahren entwickelte sich die freiwillige Beteiligung an der Spende zu einer Zwangsabgabe, an der sich zahlreiche große und kleine Industriebetriebe, aber auch Banken, landwirtschaftliche Betriebe und Wirtschaftsverbände und selbst das Gaststättengewerbe beteiligen mussten. Die abzuführende Spendensumme wurde nach der Gesamtlohn- und Gehaltssumme des Vorjahres berechnet. Obwohl sich die Abgaben im Promillebereich bewegte, sollen bis Ende des NS-Regimes rund 700 Millionen Reichsmark zusammen gekommen sein.

Menschen wurden zu Bestien

Die Ausstellung geht weiteren Fragen nach, etwa die, warum so viele Menschen den populistischen Parolen der Nationalsozialisten folgten und sich "gleichschalten" ließen, wie sie zu Hitlers willigen Helfern wurden und warum der antifaschistische Widerstand keine Massenbewegung war. An vielen Bild- und Textdokumenten wird gezeigt, wie zahlreiche "Volksgenossen" zu menschlichen Bestien wurden und sich als Helden fühlten, als sie Scheiben jüdischer Geschäfte zerschlugen und Synagogen anzündeten, in den Konzentrationslagern Gefangene quälten, das Giftgas Zyklon B in die mit Juden aus ganz Europa gefüllten Gaskammern warfen oder wenn sie ihre Gewehre auf gefangene Soldaten und Zivilisten anlegten. Dargelegt wird ferner das Wüten der Gestapo, SS und der Blutjustiz und wie es dazu kam, dass ein großer Teil der deutschen Bevölkerung unerschütterlich an den Endsieg glaubten und in Treue fest zu ihrem Führer hielten, bis alles "in Scherben fiel", um eine Zeile aus dem Lied der Deutschen Arbeitsfront zu zitieren.

Die Ausstellung endet im Keller des Bunkers mit der "Dokumentation Führerbunker". Nachgestellt ist dort Hitlers Arbeitszimmer mit Polstermöbeln und einem Bildnis Friedrichs des Großen an der Wand. Es diente als Kulisse für den Film "Der Untergang" von 2004. Ergänzt wird die Schau im Keller des Anhalter Reichsbahnbunkers durch Filme, ein Modell des nach dem Zweiten Weltkrieg gesprengten Führerbunkers und anderes Anschauungsmaterial. Wer aus den Katakomben wieder ans Tageslicht kommt, wird um einiges klüger sein. Wer aber weiter an wilde Flucht- und Verschwörungstheorien glaubt, dem wird auch diese eindrucksvolle Dokumentation kaum helfen können - oder doch?

3. August 2017



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