Pantheon der Berliner Geschichte
In der Berliner Nikolaikirche blieben zahlreiche Grabmäler erhalten, und es werden immer wieder weitere restaurierte Bildwerke gezeigt



Ein Messbildfoto aus dem Jahr 1919 zeigt die ursprüngliche Ausstattung der Nikolaikirche als Pantheon der Berliner Geschichte.



Das Epitaph aus dem Jahr 1556 für zwei kurfürstliche Räte mit dem über die Ausgeburten der Hölle triumphierenden Christus werden dem Bildhauer Hans Scheußlich zugeschrieben.



Das restaurierte Grabmal des 1721 verstorbenen Festungskommandanten Carl Constantin von Schnitter lässt ahnen, wie prachtvoll weitere Seitenkapellen ausgestaltet wurden.



Vom Schlossbaumeister und Bildhauer Andreas Schlüter geschaffen, erinnert das Grabmal an den 1701 verstorbenen Goldschmied Daniel Männlich und seine Frau.



Die restaurierungsbedürftige Grabkapelle des Ministers Johann Andreas von Kraut im Turmbereich ist ein Werk des Barockbildhauers Johann Andreas Glume. (Fotos: Caspar)

Nur Experten wissen, dass die im Zweiten Weltkrieg bis auf die Umfassungsmauern zerstörte Nikolaikirche, die seit 1938 staatlich ist und keinen Gottesdienst mehr sah, eigentlich gar nicht mehr existieren dürfte. Die mächtige Ruine störte die Partei- und Staatsführung der damaligen DDR und sollte abgerissen werden. Der Gründungsort der Stadt sollte in einen Gondelteich verwandelt werden, und auf dem früheren Schlossplatz in der Nähe wollte man nach Moskauer und Warschauer Vorbild ein riesiges Haus der Kultur und des Volkes bauen. Vor allem der Berliner SED-Chef Paul Verner machte sich für die Beseitigung des selbst noch in seinem torsohaften Zustand ohne die spitzen Türme eindrucksvollen Bauwerks stark. Zum Glück besannen sich die DDR-Oberen eines Besseren. Sie ließen die Sprengladungen aus den Kirchenmauern ziehen und reservierten das ganze Areal für einen noch zu schaffenden "politisch-kulturellen Bereich". Mag sein, dass man sich nicht mit der Kirche anlegen wollte und deshalb die Ruine, in der sich schon wilde Vegetation gebildet hatte, erst einmal stehen ließ. In beiden Teilen Berlins waren in den Nachkriegsjahren bereits so unendlich viel abgerissen worden, dass es opportun erschien, bei der Nikolaikirche einen Wiederaufbau zu wagen.

Bis in die 1980-er Jahre hinein standen von der Nikolaikirche nur die Umfassungsmauern. Um sie herum hatten nur wenige Häuser den Krieg überstanden. Mit Blick auf die Siebenhundertfünfzigjahrfeier von 1987 wurde das Viertel rund um die Nikolaikirche aus dem Boden gestampft, und zwar in "harmonischer Verbindung Alt und Neu", wie es in einer denkmalpflegerischen Zielstellung von 1982 heißt. Es ergebe sich die Möglichkeit, "in diesem Bereich stadtbekannte Bauten und Bildkunst mit besonderem Erinnerungswert wiedererstehen zu lassen", und diese Chance wurde gut genutzt.

Die Ursprünge der Nikolaikirche reichen in das frühe 13. Jahrhundert, die Gründungszeit Berlins, zurück. Propst Symeon, der 1237 und 1244 in Urkunden mit seinem Namen und Hinweisen auf die Schwesterstädte Cölln und Berlin unterzeichnet hatte, predigte in der Nikolaikirche, deren aus Granitquadern gebildeter Westbau aus der Zeit um 1230 an die frühen Stunden der Stadt erinnert. Wenn man alte Darstellungen der Nikolaikirche betrachtet, sieht man, dass sie über Jahrhunderte nur einen Turm besaß und dass nur ein bescheidener Dachreiter die Stelle des anderen einnahm. Im Zuge einer umfassenden Erneuerung der Nikolaikirche hat der damalige Stadtbaumeister Hermann Blankenstein im späten 19. Jahrhundert auf den Turmunterbau zwei schlanke Spitzen gesetzt. Die Turmspitzen, die die Nikolaikirche heute schmücken, sind denen von Blankenstein nachempfunden.

Der Wiederaufbau der Nikolaikirche stand Mitte der 1980-er Jahre unter hohem Zeitdruck, denn er sollte zum Stadtjubiläum 1987 abgeschlossen sein. Eine große Herausforderung war der Bau der Gewölbe, die nach alter Handwerkerkunst Ziegel für Ziegel gemauert wurden, und zwar ohne technische Hilfsmittel, wenn man von elektrischen Aufzügen einmal absieht. Als die Gewölbe über der eindrucksvollen Hallenkirche und den Seitenkapellen fertig waren, ging es an die Ausgestaltung im Inneren. Hier entschloss sich das damalige Institut für Denkmalpflege der DDR zu ungewohnt bunten Farben, über die seinerzeit heftig gestritten wurde. Doch konnten Restauratoren den Nachweis erbringen, dass die roten, grünen, blauen, gelben und schwarzen Ausmalungen authentisch sind.

Nach und nach wurden die wertvollen Epitaphien eingebaut, sofern sie den Krieg überstanden hatten. Sie erinnern an reiche und einflussreiche Familien und gehören zu den Spitzenleistungen Berliner Grabmahlskunst. Die an Pfeilern und Wänden hängenden und in Seitenkapellen aufgestellten Epitaphien aus Stein und Holz machen die Kirche zu einem Pantheon der Berliner Geschichte. Die beschädigten beziehungsweise in Fragmenten erhaltenen Grabmäler erinnern an führende Persönlichkeiten der Berliner Geschichte - Hofbeamte, Militärs, Geistliche und Gelehrte, und die zu Herzen gehenden Inschriften nennen auch ihre Gemahlinnen und zählen ihre vielen Kinder auf, die um die Toten weinen. Unter den besonders wertvollen Kunstwerken befinden sich reich figurierte Grabplatten aus der Renaissance-Zeit sowie das mit einem vergoldeten Doppelbildnis und der Figur des Todes geschmückte Grabmal des kurfürstlichen Goldschmieds Daniel Männlich, eines der wenigen Werke, das der Hofbildhauer Andreas Schlüter für einen Bürgerlichen geschaffen hat.

Wer mit einigen Abständen die Nikolaikirche besucht, wird stets neue Exponate sehen. Es handelt sich um Grabmäler, die Restauratoren aus Fundstücken in den Steinmassen der Kriegsruine zusammengesetzt haben. Beim Rundgang kann man auf einer Tafel lesen, dass die Stiftung Stadtmuseum an weiteren Spolien dieser Art interessiert ist und die Berliner bittet, sie zurückzugeben, falls diese Stücke noch auffindbar sind.

LITERATURTIPP: Grabmalskunst aus vier Jahrhunderten. Epitaphien und Grabdenkmäler in der Nikolaikirche zu Berlin. Katalog der Sepulkralplastik. Hrsg. Vom Märkischen Museum Berlin, Argon Verlag Berlin 1994 (ISBN 3-87024-270-1)

18. Januar 2017



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