Trügerische Ruhe vor dem Krieg
Neue Ausstellung über Berlin 1937 im neu gestalteten Untergeschoss des Märkischen Museums



Im Untergeschoss des Märkischen Museums am Köllnischen Park berichtet die bis zum 14. Januar 2018 laufende Ausstellung über das Leben in der Reichshauptstadt zwei Jahre vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Geöffnet ist sie Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, der Eintritt kostet 6, ermäßigt 4 Euro. Besucher unter 18 Jahre haben freien Eintritt, an jedem ersten Mittwoch im Monat ist für alle der Eintritt kostenlos.



Die blau-weiße Fahne mit dem Davidstern hat ein mutiger Mann, der 29-jährige Kaufmann Martin Friedländer, in der Linienstraße aus dem Fenster gehängt, um gegen die eben beschlossenen Nürnberger Rassengesetze zu protestieren. Der Mann verließ das Deutsche Reich und langte schließlich in Australien an, die Fahne im Gepäck. 1980 konnte sie der Jüdischen Abteilung des damaligen Berlins übergeben werden. Neben der Fahne ist ein Globus aus dem Arbeitszimmer des Propagandaministers und Berliner Gauleiters Joseph Goebbels zu sehen.



Ausstellungskurator Gernot Schaulinski erläutert die einzelnen Themenräume und weist darauf hin, dass Hitler 1937, von der Öffentlichkeit unbemerkt und sich als Friedensapostel ausgebend, mit Vertrauten konkrete Pläne für einen kommenden Krieg entwickelte.



Holzhandwerker beteiligten sich 1937 mit einer solchen Kiste an der Berliner Jubelfeier, die der Bevölkerung ein "völkisches" Bild von der Entwicklung der Stadt vermittelte.



Bei Abrissarbeiten wurde in einem Schmöckwitzer Bootshaus diese "Stürmer"-Ausgabe vom Sommer 1935 entdeckt und anschließend dem Haus der Wannseekonferenz übergeben, wo weitere Hetzblätter dieser Art ausgestellt sind.



Die Schreibmaschine mit der SS-Rune auf der Tastatur Nummer 5 erinnert auf ganz ungewöhnliche, aber auch eindrückliche Weise, dass in der 4,5 Millionen Einwohner großen Reichshauptstadt Terror und Willkür an der Tagesordnung waren. (Fotos: Caspar)

Plakate mit der Tastatur einer alten Schreibmaschine werben überall in der Stadt für die neue Sonderausstellung der Stiftung Stadtmuseum "Berlin 1937 - im Schatten von morgen" im Märkischen Museum am Köllnischen Park. Wenn man genau hinschaut, und dazu zwingt das Bild, erkennt man über der Taste mit der Ziffer 5 eine SS-Rune, das Zeichen von Himmlers schwarzuniformierter Terror- und Mördertruppe, die für zahllose Verbrechen in den Konzentrationslagern und Massaker in den von der Wehrmacht besetzten Ländern verantwortlich war. SS-Runen in aller Öffentlichkeit, geht denn das? Ja, sagt Paul Spies, der Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin, das Plakat und die Ausstellung sollen provozieren und wie ein Stachel wirken.

Für die im Untergeschoss des Hauses am Köllnischen eingerichtete Ausstellung wurden Räume frei geräumt, in denen bisher große Stadtmodelle sowie archäologische Funde und Zeugnisse aus der älteren Stadtgeschichte zu sehen waren. Die Ausstellung ist als Rundgang konzipiert, der mit Blick auf Stadtbilder, Lebensbereiche, Schauflächen, Angsträume und Geschichtsfelder unterschiedliche Themengebiete erschließt. Über 50 originale, zum Teil erstmals präsentierte Objekte aus dem Bestand des Stadtmuseums und von verschiedenen Leihgebern erzählen vom quirligen Alltag in der Reichshauptstadt und den Menschen dieser Zeit, von denen keiner wissen konnte, dass ein Krieg, der schlimmste aller bisherigen Kriege überhaupt, bevor steht und die Stadt, das Land und halb Europa schon bald in Trümmern liegen werden. Auf Touchscreens neben den historische Fotos, Filmausschnitten, Dokumenten und Gegenständen kann man herumblättern und Erläuterungen zu größeren Zusammenhänge einholen. Schilderungen aus Tagebüchern, Briefen und anderen Quellen schildern, dass es Menschen gab, die ein Schattendasein führten, die aufgrund der Rassengesetze ausgegrenzt und verfolgt wurden, bei denen man nicht einkaufen durfte und die ihre Arbeit und Wohnung verloren hatten, nur weil sie Juden waren.

Fund im Schmöckwitzer Bootshaus

Unter den Objekten befindet sich mit Teilen eines Schaukastens, in dem das nationalsozialistische Hetzblatt "Der Stürmer" des Nürnberger Gauleiters Julius Streicher präsentiert wurde, ein ungewöhnliches Schaustück. Die vom Zahn der Zeit lädierten, aber gut lesbaren Tafeln sind mit antisemitische Parolen, Karikaturen und Spottversen bedeckt. Sie wurden 2015 auf dem Dachboden einer zum Abriss bestimmten Ausflugsgaststätte in Berlin-Schmöckwitz gefunden und der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz übergeben. Im Märkischen Museum ist sie nun erstmals öffentlich zu sehen. Für die jüdische Bevölkerung muss es furchtbar gewesen sein, an den überall in und außerhalb Berlins aufgestellten Stürmerkästen vorbei gehen sowie Hohn und Spott anhören zu müssen. Mit den Resten des Stürmerkastens werden in der Ausstellung bösartig entstellenden Karikaturen von Juden gezeigt, verbunden mit einem Schmähgedicht, das so beginnt: "Oh Herr schick uns den Moses wieder, / Damit er seine Stammesbrüder / Heimführet in's gelobte Land."

Der Direktor der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz, Hans-Christian Jasch, erläuterte bei der Ausstellungseröffnung, die antisemitisch-pornografische Postille aus Nürnberg, der Stadt der Reichsparteitage der NSDAP, habe eine wichtige Funktion auf dem Weg der Juden in den Holocaust innegehabt. Die im Märkischen Museum gezeigte Ausgabe befasst sich mit dem Thema "Rassenschande", dem mit harten Strafen belegten Verkehr zwischen Juden und Nichtjuden. Konkret geht es um einen als Mädchenschänder und Meineidsanstifter bezeichneten Mann namens Sally Zeichner und andere so genannte Rassenschänder sowie um die Warnung an "arische" Frauen, sich nicht mit Juden einzulassen, weil sonst ihr Blut auf immer verdorben sein wird, wie der 1946 zum Tod verurteilte und hingerichtete Streicher felsenfest zu wissen glaubte.

Versprechen wurde eingelöst

Paul Spies löst mit der neuen Ausstellung ein Versprechen ein, mehr Ausstellungen zu historisch und politisch relevanten Themen zu realisieren. "Im Märkischen Museum spielte die NS-Geschichte bislang eine untergeordnete Rolle. Eine intensivere Auseinandersetzung des Stadtmuseums mit dieser Epoche sowie weiteren zeithistorischen und politischen Ereignissen und Themen ist überfällig. Mehr denn je muss und wird das Stadtmuseum Berlin relevante Themen aufgreifen, Antworten geben, Fragen stellen und immer auch Raum für Austausch, Dialog und Teilhabe bieten." Das sei in einer Zeit, in der sich Fakten, Werte und politische Positionen verändern und wir einen gesellschaftlichen Wandel, einen unerträglichen Ruck nach rechts erleben, besonders wichtig. Selbstverständlich sei das Märkische Museum in der Ausstellung zu 1937 Gegenstand kritischer Betrachtung. Es beteiligte vor 80 Jahren an der von den Nationalsozialisten instrumentalisierten 700-Jahr-Feier von Berlin, die im letzten Teil der Ausstellung behandelt wird.

Die bis zum 14. Januar 2018 laufende Sonderausstellung betrachtet kritisch großstädtische Lebenswirklichkeiten unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Diktatur und ergänzt damit die vielfältigen Ausstellungen in Berliner Dokumentations- und Erinnerungsorten über die Zeit zwischen 1933 und 1945. Sie ruft die Monate relativer Ruhe vor dem Krieg ins Gedächtnis, und sie tut das mit originalen Bildern, Dokumenten und Gegenständen aus den Beständen des Stadtmuseums und aus anderen Sammlungen. Dem Jahr 1937 waren die Olympischen Spiele von 1936 vorangegangen, es folgte mit 1938 ein Jahr, in dem sich Hitler Österreich, Teile der Tschechoslowakei sowie das Sudetenland okkupierte und am 9. November 1938 in der so genannten Reichskristallnacht zahlreiche Synagogen und Häuser in Flammen aufgingen und viele Juden ihr Leben verloren.

Was Berlin den Zugewanderten verdankt

Die Festwoche im August 1937 zur 700-Jahrfeier Berlins malte die Entwicklung der Stadt "vom kleinen Vorposten des Deutschtums im Osten zur Weltstadt und zur Hauptstadt eines fest begründeten und zum ersten Male in seiner Geschichte wahrhaft einheitlichen Volkes" in rosigen Farben aus. Bescheiden seien die Anfänge der Stadt in der Zeit der brandenburgischen Markgrafen gewesen, so lautete die Botschaft von damals, doch schon immer hätten sich die Berliner ihrer Feinde erwehrt und für Ruhe, Ordnung und Sicherheit gesorgt. Unter den Hohenzollern sei es langsam aufwärts gegangen. Beschützt durch eine starke Armee und geleitet von weitsichtigen Staatsmännern habe sich die Stadt zu einer aufstrebenden Metropole gemausert, in der es sich gut leben ließ. Dass an dieser Entwicklung in hohem Maße zugewanderte Juden, Franzosen und Leute aus Böhmen Anteil hatten, ja dass die preußische Haupt- und Residenzstadt ohne sie ohne Glanz und Ausstrahlung geblieben wäre, wurde in der Lobhudelei selbstverständlich ausgeblendet.

Als 1987 die Siebenhundertfünfzigjahrfeier im geteilten Berlin begangen wurde, mochte man sich an das Jubiläum von 1937 nur ungern erinnern. Zwar wurden beiderseits der Mauer Fragen nach dem Sinn solcher Veranstaltungen und der Berechtigung des historisch ziemlich wackligen Bezugs auf eine Urkunde aus dem Jahr 1237 gestellt. Doch der Wille der Politiker überwog, die Werte der eigenen Gesellschaft herauszukehren und der anderen Seite zu zeigen, was man aus der Geschichte gelernt und wie man die Zukunft gestalten will. Zwei Jahre später fiel die Mauer, und 1990 war Deutschland einig Vaterland.

Die Ausstellung wird von einem breit gefächerten Begleitprogramm flankiert. Ein besonderer Höhepunkt ist die Inszenierung der PRIVATOPER BERLIN mit verbotener Musik der 1930er Jahre in der Großen Halle des Märkischen Museums. Der Blog Chronik Berlin 1937 erweitert die Ausstellung um historische Fakten und Schlaglichter auf die Zeit vor 80 Jahren. Studierende des Masterstudiengangs Public History der Freien Universität Berlin betreuen das Projekt in Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum Berlin. Zur Ausstellung Berlin 1937 - im Schatten von morgen ist im Verlag M eine gleichnamige, reich illustrierte Publikation erschienen (179 Seiten, 18,90 Euro, ISBN 978-3-939254-43-0). Parallel dazu erschien im gleichen Verlag das Buch "Berlin 1937/1947" mit Fotografien von Harry Croner.

4. Mai 2017

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