"Heiter bis wolkig"
Stiftung Stadtmuseum bittet zu "Sankt Luther" in die Berliner Nikolaikirche und schildert, wie man den Reformator verstanden und vermarktet hat



Das Lutherdenkmal neben der Berliner Marienkirche ist nur provisorisch aufgestellt und bekommt demnächst eine repräsentativere Umgebung.



Für die Reformationsausstellung bereitgestellte Kunstwerke werden in der Nikolaikirche durch Streifen in Pinkfarbe hervorgehoben.



Museumsdirektor Paul Spies, Brigitte Faber-Schmidt von Kulturland Brandenburg sowie Pfarrer Bernd Krebs und Kurator Bernd Henkys freuen sich auf ein großes Echo der Ausstellung "Sankt Luther".



Im Streit zwischen "denen und denen" um den rechten Glauben und noch viel mehr um Macht und Einfluss ging es zur Lutherzeit und danach oft gefährlich zu, wie der Holzschnitt zeigt, auf dem Luther die Gläubigen aus dem Höllenschlund führt.



Als wäre er ein Prophet steht Martin Luther unter einem Triumphbogen. Eine solche Ehrenpforte hat man 1717 zur Zweihundertjahrfeier in einer Kirche in Augsburg errichtet. (Fotos: Caspar)

Martin Luther ist Kult, fünfhundert Jahre nach der Veröffentlichung seiner spektakulären Thesen wider den Ablasshandel und für die Reform der Papstkirche ist es hierzulande kaum möglich, an seinem Bildnis oder einem Spruch von ihm unbeeindruckt vorbeizukommen. Neben der Berliner Marienkirche hat sein aus dem 19. Jahrhundert stammendes Bronzedenkmal eine neue Aufstellung gefunden. Dass zu dem Monument noch eine Treppe sowie acht Assistenzfiguren von Zeitgenossen des Wittenbergers gehörten, wird auf einer Bild-Text-Tafel berichtet. Die acht Begleitfiguren waren im Zweiten Weltkrieg zu Rüstungszwecken eingeschmolzen worden. Kurz vor Kriegsende zerstörten Bomben den Neuen Markt neben der Marienkirche und beschädigten auch das Lutherdenkmal. Am rechten Schuh des Reformators und über die ganze Figur verteilt kann man auch heute noch Beschädigungen und Einschüsse sehen. Ein paar hundert Meter weiter kann man in der Nikolaikirche sehen, wie die Statue künftig präsentiert werden soll, nämlich als Kombination des historischen Bronzestandbildes und eines "spiegelnden" Abgusses aus Aluminium. Beide Statuen stehen dann auf der zehn mal zehn Meter großen Fläche der ehemaligen Denkmalanlage. In den Boden eingelassene LED-Leuchten ergeben Zitate berühmter Personen der Geschichte und Gegenwart und laden zur Auseinandersetzung mit Luther und seinem Erbe ein. Teile des historischen Fundaments wurden 2015 von Archäologen freigelegt und sind jetzt durch rote Streifen im Straßenbelag angedeutet.

Ort der Besinnung und des Dialogs

Die Ausstellung "Sankt Luther - Reformator zwischen Inszenierung und Marketing" in der Nikolaikirche läuft als Beitrag der Stiftung Stadtmuseum zum Reformationsjubiläum bis zum 28. Mai 2017. Kurator Albrecht Henkys beschreibt ihre Grundstimmung als "heiter bis wolkig" und deutet damit an, dass im 16. Jahrhundert und danach vieles im Zusammenhang mit der Kirchenrevolte des Martin Luther aus dem Ruder gelaufen ist und zu schweren Verwerfungen, zu Religionskriegen und schrecklichen Exzessen "zwischen denen und denen" geführt hat. Die Dokumentation von Bildern und Büchern sowie kostbaren Textilien und Reliquien wird in der leicht abgedunkelten Sakristei gezeigt. Darüber hinaus sind im Hauptraum der als Museum genutzten Nikolaikirche zahlreiche Kunstwerke zu sehen, mit denen sich wohlhabende Stifter im Jahrhundert der Lutherschen Reformation als fromme, gottesfürchtige Menschen präsentiert haben. Größtes Exponat der Ausstellung ist die Nikolaikirche selbst, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, danach lange Zeit brach lag und in den 1980-er Jahren wieder aufgebaut wurde.

Wie Paul Spies, der Direktor der Stiftung Stadtmuseum, erklärt, war und ist die Nikolaikirche ein Ort der Besinnung und des Dialogs und ein erstklassiger Kulturstandort im Zentrum Berlins. Die vielen Gedenktafeln an der Vorderfront des Gotteshauses mit den markanten spitzen Türmen deuten an, dass hier nicht nur gepredigt und gesungen, sondern auch trefflich um die Gegenwart und Zukunft unseres Landes und seiner Bewohner gestritten wurde. Pfarrer Bernd Krebs, der Beauftragte für das Reformationsjubiläum und den Kirchentag 2017 in Berlin, weist darauf hin, dass sich Luther nicht gegen Verklärung und Vermarktung als geistlicher Übervater und Nothelfer wehren konnte und dass im Streit um die Wahrheit viele schlimme Dinge geschehen sind. Weitere Ausstellungen in Eisenach und der Berliner Topographie des Terrors befassen sich mit der Art und Weise, wie Luther für die nationalistischen und rassistischen Ziele der Nazis missbraucht wurde und wie in beiden deutschen Staaten führende Vertreter der "Deutschen Christen" nach dem Ende der Hitlerdiktatur ihre Karrieren fortsetzen konnten, als sei nichts geschehen.

Zerstückeltes Gewand und ein Stück Wandputz

Wenn man sich in die Details der Ausstellung vertieft, sieht man, dass es in der nachreformatorischen Zeit noch manche Anklänge an katholischen Reliquienkult und Heiligenverehrung gegeben hat. Dass es dergleichen rund um "Sankt Luther" gegeben hat, zeigen winzige Stofffetzen, die als Reliquien unter Verehrern des Reformators verteilt und von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Luther trug 1545, ein Jahr vor seinem Tod, das liturgische Gewand bei der Weihe des Fürsten Georg III. von Anhalt 1545 zum ersten Bischof von Merseburg. Angetrieben von glühender Verehrung und dem Drang, etwas ganz Persönliches aus dem Besitz des Theologen zu berühren, wurde die Kasel "fast bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt", wie Albrecht Henkys in einem Büchlein zur Ausstellung und zu Phänomen der Lutherverehrung schreibt.

In den vergangenen 500 Jahren hat man den Reformator wie einen alttestamentarischen Propheten und als Zentralfigur der Christenheit gefeiert. Man hob ihn als Sinnbild deutsch-nationaler Tugenden auf den Podest und entwickelte geradezu einen Heiligenkult um ihn. Wie langlebig Legenden sind, zeigt der berühmte Tintenfleck in Luthers Studierzimmer auf der Wartburg. Schon vor Jahrhunderten schreckten Besucher nicht davor zurück, an der Wand zu kratzen und ein wenig Putz einzustecken. Die Ausstellung in der Berliner Nikolaikirche zeigt einen solchen Brocken. Ohne Zweifel ist die Fünfhunderjahrfeier der Reformation ein guter Anlass, die Irrungen und Wirrungen, die Vereinnahmungen und Verfälschungen rund um Martin Luther aufzuzeigen und den Mann seines Nimbus zu entkleiden, der über Reliquien schrieb: "es ist alles tod ding, das niemand heiligen kan." Helmut Caspar

30. März 2017

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