Goethe und die geprägte Form
Der Weimarer Dichter und Minister wandte erhebliche Mittel für seine Kunst - und Münzsammlungen sowie naturkundliche Objekte auf



In seinem Haus am Frauenplan in Weimar empfing Johann Wolfgang von Goethe Besucher aus vielen Ländern, und manchen zeigte er mit großem Vergnügen auch seine Münz- und Medaillensammlung.



Von altgriechischen Münzen während seiner Italienreise begeistert, brachte Goethe während seines langen Lebens eine stattliche Sammlung an Münzen und Medaillen zusammen, die in Weimar aufbewahrt wird und mitsamt seiner vielen klugen Äußerungen zu numismatischen und kunstgeschichtlichen Fragen des Ministers und Dichters publiziert sind. Die Silberprägungen werden in der Ausstellung des Münzkabinetts im Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel gezeigt.







Die Sterbemedaille aus dem Jahr 1832 zeigt, wie Goethe von einem Schwan zu den Sternen getragen wird. Weiniger dramatisch geht es auf dem Fünfmarkstück von 1932 zum einhundertsten Todestag des Dichters, das zu den besonders begehrten Gedenkmünzen der Weimarer Republik gehört. Die Bundesrepublik Deutshland und die DDR ehrten Goethe mit interessanten Gedenkmünzen.



Für die Medaillen der Päpste hatte Goethe ein besonderes Faible. Diese würdigt Pius IV. stellt die Engelsburg in Rom dar.(Fotos/Repros: Caspar)

Johann Wolfgang von Goethe hatte ein intensives Verhältnis zum Geld. Als Minister war er für den Staatshaushalt des kleinen Herzogtums Sachsen-Weimar und Eisenach und für Steuerfragen zuständig, doch kümmerte er sich auch um den ständigen Fluss der Einkünfte aus seinen Veröffentlichungen und wandte darüber hinaus viele Taler und Dukaten für seine Sammlungen auf. Als der Dichter 1832 mit fast 83 Jahren starb, war er ein schwerreicher Mann. Neben seinem Wohnhaus am Weimarer Frauenplan und seinem Gartenhaus an der Ilm vererbte er seine Kunst-, Münz- und Naturaliensammlungen und dazu ein Kapital in Höhe von 58.000 Reichstalern. Insgesamt hat man sein Einkommen auf 140.000 Taler geschätzt. Alles in allem dürfte Goethe nach heutigem Maßstab ein mehrfacher Millionär gewesen sein.

Eine Ausstellung im Goethehaus Frankfurt am Main ging 2012 der Frage nach, wie der Geheime Rat und Minister sein Geld verdiente und ausgab, was er von alten und neuen Münzen hielt und welche Bedeutung er den damals neuen und misstrauisch beobachteten Geldscheinen beimaß. Die Schau schilderte darüber hinaus, welche Wünsche der vielseitige Künstler, Naturwissenschaftler und Politiker an die Ökonomie hatte und wie er diese in seinem literarischen Werk sowie in unzähligen Briefen dokumentiert hat. Die mit interessanten Zeugnissen der Münz-, Geld-, Wirtschafts- und Industriegeschichte bestückte Ausstellung würdigte eine wenig bekannte Facette in Goethes Werk, und sie warf ein Schlaglicht auf Ereignisse und Meinungen zur Zeit der frühen Industrialisierung, an deren Entwicklung in seinem kleinen Herzogtum Goethe namhaften Anteil hatte.

Der tägliche Wahnsinn beim Rechnen und Bezahlen

Die Ausstellung erinnerte an den täglichen Wahnsinn vor und nach 1800 im Umgang mit Münzen, Maßen und Gewichten, als man in Deutschland bei Reisen zahlreiche Staats- und Zollgrenzen passieren und sein Geld immerzu in neue Währungen umwechseln musste und es mit voneinander differierenden Maß- und Gewichtseinheiten zu tun hatte. Ein kiloschwerer Geldgürtel, eine Auswahl von Münzen der Goethezeit sowie Grafiken, Bücher und Briefe machen in der Ausstellung begreiflich, warum kluge Leute damals alles daran setzten, die sehr teure, umständliche und der wirtschaftlichen Entwicklung hinderliche Zersplitterung zu überwinden, wobei Bezüge zu aktuellen Vorteilen und Risiken der 2002 ins Leben gerufenen Gemeinschaftswährung Euro durchaus gewollt waren. Das vom Freien Deutschen Hochstift herausgegebene Buch zur Ausstellung enthält Beiträge international renommierter Literaturwissenschafter sowie Spezialisten für die Wirtschafts- und Buchgeschichte (280 Seiten, ISBN 9783981459920, 25 Euro).

Im Laufe seines ungewöhnlich langen Lebens hat Weimars berühmtester Bürger mehr als 26 000 Kunstgegenstände sowie 24 000 naturkundlich interessante Objekte zusammengetragen, ergänzt durch rund 2000 Münzen und ebenso viele Medaillen meist aus der Zeit der Renaissance. Dieser großartige, mit hohem finanziellem Einsatz geschaffene Besitz blieb dank günstiger Umstände in Weimar erhalten. Der Bestand wurde 2000 von Jochen Klauß in zwei von der Deutschen Gesellschaft für Medaillenkunst und der Stiftung Weimarer Klassik publizierten Bänden mit zahlreichen Bildern beschrieben (737 Seiten, zahlreiche Schwarzweißfotos, ISBN 3-7861-2369-1).

Unendlicher Frühling an Blüten und Früchten der Kunst

Während seiner Reise nach Italien vom September 1786 und Mai 1788 kam der junge Goethe unter anderem mit antiken Münzen in Berührung und war gleich Feuer und Flamme. Nachdem er sie in Palermo gesehen hatte, notierte er enthusiastisch: "Welch ein Gewinn, wenn man auch nur vorläufig übersieht, wie die alte Welt mit Städten übersäet war, deren kleinste, wo nicht eine ganze Reihe der Kunstgeschichte, wenigstens doch einige Epochen derselben uns in köstlichen Münzen hinterließ. Aus diesen Schubkasten lacht uns ein unendlicher Frühling von Blüten und Früchten der Kunst, eines in höherem Sinne geführten Lebensgewerbes und was nicht alles mehr hervor. Der Glanz sicilischer Städte, jetzt verdunkelt, glänzt aus diesen geformten Metallen wieder frisch hervor". Goethe fügte hinzu, leider hätten wir, womit er sich wohl selber meint, in unserer Jugend nur die Familienmünzen besessen, die nichts sagen, und die Kaisermünzen, welche dasselbe Profil bis zum Überdruss wiederholen und Bilder von Herrschern sind, die eben nicht zu den Musterbildern der Menschheit gehören. "Sicilien und Neugriechenland lässt mich wieder ein frisches Leben hoffen".

Nach Weimar zurückgekehrt, baute er systematisch eine Sammlung der numismatischen Hinterlassenschaften untergegangener Kulturen auf, schaute sich aber auch nach Medaillen der italienischen Renaissance und namentlich der Päpste um und brachte mit Hilfe seiner Freunde viele schöne Stücke in seinen Besitz. Umfangreich ist die Korrespondenz, die er mit Sammlern, Händlern und anderen Personen unterhielt, und auch seine Tagebücher verraten, wie sehr ihm an seinem "numismatischen Talisman" gelegen war und warum die Beschäftigung mit alten Münzen und Medaillen für ihn so etwas wie "Öl für den Lebensdocht" war. Aus schriftlichen Hinterlassenschaften und Äußerungen von Freunden und Besuchern ist zu entnehmen, dass Unterhaltungen über Münzen und Medaillen zu Goethes Tagesablauf gehörten.

Der Rost macht erst die Münze wert

Es war eine besondere Auszeichnung des Hausherrn, wenn er Besuchern seine im Haus am Weimarer Frauenplan untergebrachten Schätze zeigte. Dabei achtete der Gastgeber streng darauf, dass seine numismatischen Lieblinge am Rand und nicht grob in der Mitte angefasst werden. So nimmt Goethe in seinem Roman "Wahlverwandtschaften" gebildete Menschen aufs Korn, die sich roh "selbst gegen die schätzbarsten Kunstwerke verhalten. [...] Niemand weiß eine Medaille am Rand anzufassen; sie betasten das schönste Gepräge, den reinsten Grund, lassen die köstlichsten Stücke zwischen Daumen und Zeigefinger hin- und hergehen, als wenn man Kunstformen auf diese Weise prüfte". Passend dazu finden wir in der "Klassischen Walpurgisnacht" im Faust II die vielzitierte Feststellung des Thales "Das ist es ja, was man begehrt: / Der Rost macht erst die Münze wert".

Goethes besondere Liebe galt den Medaillen der Päpste, die der Reihe nach zusammenzubekommen es großer Mühe bedurfte. Er hatte sie im Zusammenhang mit der Arbeit an der Autobiographie von Cellini kennen und lieben gelernt. Im August 1803 notierte er: "Die Originalfolge von Päpsten von Martin V. bis Clemens XI., also bis zum ersten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts, wurde mir nicht allein zu eigen, sondern auch dazwischen Kardinäle und Priester, Philosophen, Gelehrte, Künstler, merkwürdige Frauen, in scharfen, unbeschädigten Exemplaren, teils gegossen, teils geprägt, aber wundersam und bedauerlich: unter manchen Hunderten kein Cellini. Aufgeregt war man nun auch hier, das Geschichtliche zu studieren...".

Die Beschäftigung mit Münzen und Medaillen und das Lesen numismatischer Werke waren für den vielseitig interessierten, rastlos tätigen Minister, Dichter und Naturforscher so etwas wie das "nahrhafteste Öl für den Lebensdocht", wie es in einem Brief von 1806 in einem Brief an den Weimarer Regierungsrat, Archivar und Bibliothekar Christian Gottlob von Voigt heißt. Goethes Wohn- und Schaffensort, die herzogliche und ab 1815 großherzogliche Residenzstadt Weimar, war klein und eng. Verbindungen aber bestanden in die große weite Welt durch intensive Korrespondenzen und Gespräche mit Besuchern, die sich im Haus am Frauenplan die Klinke in die Hand gaben. Hinzu kam die Lektüre von numismatischer und kunstgeschichtlicher Literatur. "Mein einziger Trost ist der numismatische Talisman, der mich, auf eine bequeme und reizende Weise, in entfernte Gegenden und Zeiten führt", schrieb Goethe 1803 an seinen Dichterkollegen Friedrich Schiller.

Zur Not auch Kopien und Abgüsse

Nach der Rückkehr aus Italien bemühte sich der Dichter, selber eine Münzen- und bald schon eine Medaillensammlung aufzubauen. Dank seiner finanziellen Möglichkeiten, aber auch vielfältiger Verbindungen bis nach Italien, Frankreich und in andere Länder war er dabei sehr erfolgreich. Aus schriftlichen Hinterlassenschaften und Äußerungen von Freunden und Besuchern ist zu entnehmen, dass Unterhaltungen über Münzen und Medaillen zu Goethes Tagesablauf gehörten, und es war eine besondere Auszeichnung, wenn Goethe seinen Besuchern die am Weimarer Frauenplan untergebrachten Schätze zeigte.

Eine numismatische Kollektion aufzubauen, war zu Goethes Zeiten nicht einfach, denn der Kunst- und Münzhandel steckte vor über 200 Jahren noch in den Kinderschuhen. Es bedurfte vielfältiger Korrespondenzen und langen Wartens, um bestimmte Stücke zu finden und anzukaufen. Die Preise waren damals moderater als die von heute, und manchmal kostete ein alter Taler oder eine schöne Medaille etwas mehr als der Metallpreis. Ein Blick in Goethes Sammlung und seine Schriften zeigt, dass nicht immer Originale erhältlich waren. Das scheint aber nicht gestört zu haben, denn der Dichter begnügte auch mit Nachgüssen und Abformungen. Für ihn standen die künstlerische Aussagekraft und die Bildkomposition sowie die Möglichkeit im Vordergrund, die Stücke mit anderen Schöpfungen der Kunst und Kultur vergleichen zu können. Deshalb bemühte er sich auch um die so genannten Mionnetschen Schwefelpasten. Diese Abdrücke waren ihm für seine Studien über antike Münzen ebenso wichtig wie die oft schwer erhältlichen Originale.

Das gleiche gilt für Abgüsse römischer Münzen aus in Bronze oder Messing und für die so genannten Paduaner, also jene vorzüglich geprägten Nachbildungen alter Römermünzen, die der in Padua tätige italienische Renaissance-Medailleur Antonio Cavino schuf. "Welcher Freund alter Münzkunde macht es sich nicht zur Freude, die Cavinischen Arbeiten zu sammeln, um an der täuschenden Nachbildung sein Gefühl für die Originale immer mehr zu schärfen". Offensichtlich ging es dem Dichter und Sammler nicht so sehr darum, kostbare Originale in seinen Besitz zu bringen, sondern mehr um die Möglichkeit, an ihnen die Kunst der "Alten" zu studieren und sie mit anderen Hinterlassenschaften der antiken Völker zu vergleichen.

An jedem Stück viel gelernt

Hinsichtlich seines Nachlasses verpflichtete der Dichter seine Erben, "diese meine Sammlungen konserviert zu sehen. Einige davon, namentlich meine Münzen und Medaillen - deren Werth in historischer und artistischer Hinsicht nicht genug zu schätzen ist - , wünschte ich für die hiesige Bibliothek resp. Münzkabinett akquiriert zu sehen nach billigem Anschlag". So hat es ein enger Freund, der schon erwähnte Kanzler Friedrich Theodor von Müller, am 19. November 1830 notiert und dazu das Bekenntnis des Dichters festgehalten, er habe seit 60 Jahren jährlich wenigstens hundert Dukaten auf den Ankauf von Merkwürdigkeiten gewendet, noch weit mehr habe er geschenkt bekommen. "Ich habe nicht nach Laune und Willkür, sondern jedesmal mit Plan und Absicht und zu meiner folgerechten Bildung gesammelt und an jedem Stück meines Besitzes etwas gelernt". Goethes Erben haben sich an die Verfügung gehalten, und so blieben seine Sammlungen und darin auch die Münzen und Medaillen in Weimar geschlossen erhalten.

Die Betrachtung von Münzen, und damit waren immer auch Medaillen gemeint, sei für ihn, da er keine Möglichkeit habe, größere Kunstwerke zu sehen, eine "besonders belehrende Unterhaltung, indem man die Kunstgeschichte aus ihnen sehr gut studieren kann, besonders wenn sich das Auge an Marmor hinlänglich geübt hat", schrieb er im gleichen Jahr an Marianne von Eyenberg und wies auf das Kabinett im nahe gelegenen Gotha und andere Sammlungen hin, in denen man Münzen studieren könne. Außerdem standen dem Münz- und Kunstsammler numismatische Bücher und Zeitschriften für seine Forschungen und zur Bestimmung seiner Schätze zur Verfügung. Vom Nutzen der Beschäftigung mit Münzen und Medaillen überzeugt, betonte Goethe 1814 gegenüber dem Kanzler Friedrich Theodor von Müller, der Mensch mache sich nur irgend eine würdige Gewohnheit zu eigen, an der er sich die Lust an heiteren Tagen erhöhen und in trüben Tagen aufrichten könne. "Er gewöhne sich z. B. täglich in der Bibel oder im Homer zu lesen, oder eine Medaille oder schöne Bilder zu schauen, oder gute Musik zu hören. Aber es muss etwas Treffliches, Würdiges sein, woran es sich so gewöhne, damit ihm stets und in jeder Lage der Respekt dafür bleibe". In den "Urworten, orphisch" gab der Dichter seiner Meinung über numismatische Ewigkeitswerte so Ausdruck: "Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt / Geprägte Form, die lebend sich entwickelt".

30. April 2021

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