Vom Wert alter Münzbücher
In numismatische Zeitschriften und dicke Folianten aus der Barockzeit zu schauen, ist alles andere als Zeitverschwendung



Vornehme Herren verlustieren sich beim Anblick von Münzen, die sie extra gebauten Kabinettschränken entnehmen. Nur wer vermögend war, konnte sich ein solches Hobby leisten.



Die barocke Allegorie schildert den Segen, den alte Münzen für die Geschichtsschreibung hat, verkörpert durch die Numismatica, eingerahmt vom antiken Götterboten Merkur und dem Gott Saturn, der für Ordnung, Maß und Vergänglichkeit steht.



Das 1735 von Michael Lilienthal veröffentlichte Thaler-Cabinet war für lange Zeit eines der wenigen Nachschlagewerke für Sammler, die sich auf Großsilbermünzen spezialisiert haben.





Die von 1729 bis 1750 von Johann David Köhler publizierte Zeitschrift "Der Wöchentlichen Historischen Münz-Belustigung" enthält eine Fülle von lesenswerten Abhandlungen über antike, mittelalterliche und neuzeitliche Münzen sowie Medaillen aus dem In- und Ausland. In größeren Münzkabinetten kann man die Folianten studieren und für Darstellungen numismatischer und allgemein historischer Art nutzen.



Münzjournale und Kataloge aus dem 18. Jahrhundert bieten mehr als barocken Schwulst, sondern enthalten viele Details, die für die Beurteilung von Münzen und Medaillen hilfreich sein können. Allerdings sind die weitschweifigen Texte nicht jedermanns Sache. Erstaunlich ist die fotografische Genauigkeit bei der Wiedergabe der betreffenden Prägungen. Die braunschweigischen Glockentaler von 1643 werden in den "Münzbelustigungen" von allen Seiten betrachtet und kommentiert, ebenso kleine Silbermedaille von 1719 mit einem Prägeengel, die bei der Hochzeit des sächsischen Kurprinzen Friedrich August (III.) mit der Kaisertochter Maria Josepha unters Volk ausgestreut wurde.







Die sächsischen Klappmützentaler, böhmischen Joachimsthaler und braunschweigischen Wildemanntaler waren im frühen 18. Jahrhundert wohl noch so häufig vorhanden, dass Michael Lilienthal sie als gemein oder gewöhnlich einstufte.





Hingegen befand der Verfasser des Talerbuchs von 1735, dass Münzen mit einem besonders tragischen und/oder spektakulären Hintergrund selten und begehrt sind. Hier als Beispiele ein Taler mit dem Bildnis des 1634 ermordeten kaiserlichen Generalissimus Albrecht von Wallenstein und des englischen Lordprotektors Oliver Cromwell, auf dessen Konto die Hinrichtung von König Karl I. im Jahr 1649 geht. Fotos/Repros: Caspar

Die Frage wird oft gestellt, was von heute nur noch antiquarisch beziehungsweise als Reprint erhältlichen Büchern mit kuriosen Namen wie Talerkabinette oder Münzbelustigungen zu halten und wie ihr wissenschaftlicher Wert einzuschätzen ist. Dazu kann man nur sagen - sie zu lesen hat noch niemandem geschadet, auch wenn es manchen schwer fällt, die Frakturschrift zu entziffern und den nicht selten barock-weitschweifig formulierten Inhalt zu verstehen. Die Autoren schrieben die Folianten für eine kleine, aber feine und zudem finanziell gut gestellte Sammlerschaft, die wissen wollten, was sie in Händen halten und was ihnen noch fehlt. Hilfe kam unter anderem von Michael Lilienthal und seinem Katalog "Vollständiges Thaler-Cabinet das ist Historisch-critische Beschreibung derjenigen zweylöthigen Silber-Münzen, welche unter dem Namen Der Reichs-Thaler bekannt sind".

Der Band hat in der dritten Auflage von 1735 nicht weniger als 450 Seiten und dazu noch drei unpaginierte Register. Erfasst hat Lilienthal, der im Hauptberuf evangelischer Pfarrer war, mehr als 1500 Taler und talerförmige Münzen. Die Aufzählung beginnt analog zur Hierarchie der feudalen Ständegesellschaft von damals mit den Geprägen der römisch-deutschen Kaiser und der russischen Zaren und geht über zu den Münzen aus den damaligen Königreichen Frankreich, England, Schweden, Ungarn, Böhmen, Dänemark, Polen und Preußen. Berücksichtigt sind ferner die Taler der deutschen Kurfürsten, gefolgt von den geistlichen Fürsten mit dem Papst an der Spitze. Mit den Talern der Fürsten, Markgrafen, Pfalzgrafen und anderen Standesherren sowie mit städtischen Münzen schließt Lilienthal sein Nachschlagewerk ab, das wegen der immensen Kosten auf Abbildungen auf Kupferstichen verzichten musste. Da jedes Stück beschrieben wird, ist es auch heute möglich, bestimmte Objekte zu identifizieren.

Lesen und verstehen bedarf einiger Übung

Das Talerbuch und ähnliche Publikationen sind schon lange überholt, besitzen aber kulturgeschichtliche Bedeutung, weil es das Interesse von Sammlern der Barockzeit an Talern und gleichwertigen Geprägen unterstreicht. Unser Wissen über alles, was mit Münzen und Medaillen und darüber hinaus mit Geschichte, Ökonomie und Sozialkunde zu tun hat, nahm in den vergangenen Jahrhunderten erheblich zu. Dessen ungeachtet sind die alten Drucke nicht zu verachten. Sie sind eine wichtige Fundgrube, doch hat man bisweilen Mühe, sich durch die oft mit lateinischen Passagen versetzten Texte zu kämpfen und zu verstehen.

Waren zunächst antike Münzen bei Forschern und Sammlern beliebt und wurden sie, wenn man keine Originale bei der Hand hatte, gelegentlich auch nachgeahmt oder frei erfunden, so wandte man sich im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts neueren Münzen zu - erst denen aus dem Mittelalter und dann auch den zeitgenössischen Geprägen. So kamen Taler-, Dukaten- und Groschenkabinette in Mode. Für sie hat man unter diesem Namen dicke Kataloge mit barock-weitschweifigen und sich heute kurios lesenden Beschreibungen gedruckt. Als Orientierungshilfe für ihr Steckenpferd standen Sammlern seit dem frühen 18. Jahrhundert neben gedruckten Katalogen wie Lilienthals Talerbuch auch etliche Münzzeitschriften zur Verfügung. Berühmt wurden die in Nürnberg zwischen 1729 bis 1750 von Johann David Köhler veröffentlichten "Wöchentlichen Historischen Münzbelustigungen", in denen Münzen und Medaillen barock-umständlich und jedesmal mit einem Kupferstich geschmückt vorgestellt werden.

Köhlers "Münzbelustigungen" und andere Publikationen werden manchmal als numismatische Kuriosa und überholt abgetan, doch wenn man sich mit ihnen näher befasst, dann findet man interessante Hinweise auf die Hintergründe einer Emission, über die Personen, die sie veranlasst haben, und über Bilder, Wappen und Inschriften, die sie schmücken. In diesen Abhandlungen finden sich manche unser Bild vom Leben in alten Zeiten bereichernde Anekdoten, während man kritische Reflexionen über die Fürstenherrschaft und die elende Lebenslage des Volkes von ihnen nicht erwarten darf. Die Kupferstiche, mit denen die Schriften ausgestattet sind, begeistern durch ihre Präzision und eignen sich gut zur Illustration in heutigen Publikationen.

Hier selten und dort gewöhnlich

Indem Lilienthal seltene und häufige Münzen gegenüberstellt, richtet er eine interessante Rangfolge auf. Dass Seltenheiten und Häufigkeiten heute anders beschaffen sind als in der Barockzeit, liegt angesichts der großen Verluste bei Münzen aller Art durch Einschmelzungen zum Zweck der Gewinnung von neuem Hartgeld und aus anderen Gründen auf der Hand. Unter den von Lilienthal anno 1735 pauschal als häufig eingestuften Talern und vergleichbaren Silbermünzen befinden sich "hauptrare" und ganz gewöhnliche Stücke. Lilienthal zufolge sind 1. die ausländischen Taler insgemein seltener als die einheimischen, ausgenommen die französischen Taler sowie die sächsischen und lüneburgischen. 2. sind die Taler aus dem 15. und frühen 16. Jahrhundert unstreitig unter die raren zu zählen, ausgenommen die Schlickischen Joachimsthaler und die alten sächsischen Klappmützentaler. 3. sind die Taler der geistlichen Stände in Deutschland seltener als die der weltlichen, von den salzburgischen Talern abgesehen. 4. sind die Taler mit vielen Köpfen rarer als mit einem, ausgenommen die Stücke aus Sachsen. 5. sind die Taler mit einer Fürstin darauf, mit Ausnahme der russischen Münzen, selten, ebenso solche mit Mann und Frau darauf oder mit Mutter und Sohn. 6. sind die Taler von ausgestorbenen Häusern oder Orten, die das Münzregal verloren haben, ebenfalls rar. Das gleiche gilt 7. für Herren, die nur kurze Zeit regiert haben, und 8. für Fürsten und Herren, "so einen unglücklichen Ausgang ihres Unternehmens und Lebens gehabt", also auf nicht natürlichem Wege Regierungszeit und Leben beendet haben. Der Punkt 9 zählt "symbolische Taler" zu den Raritäten, die in verschiedener Zeit nacheinander geprägt wurden und doch zusammen gehören, schwer zusammen zu bringen, und 10. "Thaler, so andern zum Schimpf geschlagen sind, oder dadurch man auf andre gestichelt hat, machen sich rar", womit Spottmünzen und umgravierte Stücke satirischen Inhalts gemeint sind. An elfter und zwölfter Stelle werden fehlerhafte Taler und solche mit einem besonderen Beinamen wie Brömsen-Taler oder Bettler-Taler genannt.

Wie jeder Sammler und Forscher weiß, ist diese Einteilung überholt, aber es gut zu wissen, wie man früher über rare und hauptrare beziehungsweise gewöhnliche und gemeine Münzen gedacht und wie man sie bewertet hat.

25. Februar 2021

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