"Ich saß auf einem Steine..."
Der mittelalterliche Minnedichter Walther von der Vogelweide schmückt deutsche und österreichische Münzen von 1930





Der Minnedichter Walther von der Vogelweide auf einem deutschen Dreimarkstück und einem österreichischen Doppelschilling aus dem Jahr 1930.



Die Miniatur aus der Heidelberger Liederhandschrift zeigt den Minnesänger, wie er, auf einem Stein sitzend, über Gott und die Welt nachdenkt. Foto: Universitätsbibliothek Heidelberg, Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse



Der 750. Todestag von Walther von der Vogelweide war 1980 der Bundesrepublik Deutschland die Prägung eines Fünfmarkstücks wert, das von Mathias Furthmair gestaltet wurde. (Fotos: Caspar)

Sammlern von Münzen der Weimarer Republik ist das 1930 in einer Auflage von 300 000 Exemplaren in allen sechs deutschen Münzstätten geprägte Dreimarkstück "Walther von der Vogelweide" bestens bekannt. Es wurde anläßlich des 700. Todestages des mittelalterlichen Minnesängers nicht nur für das Deutsche Reich, sondern mit veränderter Rückseite auch im benachbarten Österreich geprägt. Gestalter des Geldstücks war der Berliner Maler, Grafiker und Bühnenbildner Eddy (Edmund) Smith (1896-1957), der auch Briefmarken, Münzen und Medaillen entwarf. Der Künstler nahm sich eine berühmte Miniatur in der Manesseschen Liederhandschrift aus dem frühen 14. Jahrhundert zum Vorbild, die sich im Besitz der Heidelberger Universitätsbibliothek befindet und daher auch Große Heidelberger Handschrift genannt wird. Das zu dem farbigen Bild passende mittelhochdeutsche Gedicht beginnt mit folgenden, ins Neuhochdeutsche übertragenen Worten: "Ich saß auf einem Stein / Und schlug Bein über Bein, / Den Ellenbogen setzt' ich auf / Und schmiegt in meine Hand darauf / Das Kinn und eine Wange", und tatsächlich sitzt der Poet mit leicht geneigtem Kopf auf einem grün bewachsenen Hügel. Von den Beinen geht eine unbeschriebene Schriftrolle nach oben, in Richtung Himmel. Dass die Bildseite der Minnesänger-Münze mit der eines österreichischen Zwei-Schilling-Stücks von 1930 übereinstimmt, ist ein einmaliger Vorgang, denn solche Parallelprägungen suchen in der Münzgeschichte beider Länder ihresgleichen. Beide Münzen unterscheiden sich nur durch die Rückseiten, die deutsche Version zeigt den Reichsadler, die des Nachbarlandes ist mit den Wappenschildern der österreichischen Bundesländer geschmückt.

Würzburg, Wartburg, Wien

Die Initiative für die ungewöhnliche, schon bald zum Politikum avancierte Gemeinschaftsprägung ging vom Oberbürgermeister von Würzburg, Hans Löffler aus, der auch die Ausgabe einer Sonderbriefmarke vorschlug und deutsch-österreichische Gedenkfeiern, Wanderwochen und Gesangsdarbietungen plante. In seinem Antrag an das Reichsfinanzministerium betonte der Kommunalpolitiker, die Bedeutung des großen deutschen Minnesängers bedürfe keiner näheren Begründung. "Besondere Hervorhebung verdient, dass sein Name mit den verschiedensten Stätten deutscher Kultur, so mit Würzburg und der Wartburg, mit Wien, Innsbruck und, was nicht vergessen werden darf, mit den südlich davon gelegenen, abgetretenen Landstrichen deutscher Zunge (Bozen) auf das Engste verbunden ist.[...] Ich bitte daher ergebenst sich damit einverstanden zu erklären, dass ich den Reichskunstwart beauftrage, zur Herstellung eines entsprechenden Münzbildes das Erforderliche zu veranlassen."

Angesprochen wurde in dem Brief Reichskunstwart Edwin Redslob, über dessen Schreibtisch seit seinem Amtsantritt im Jahr 1920 die Entwürfe für die Kurs- und Gedenkmünzen der Weimarer Republik gingen. Bis zu seiner Entlassung zu Beginn der Nazidiktatur 1933 war der Kunsthistoriker und Museumsmann mit seinem dem Reichsinnenminister in Berlin unterstellten Amt auch für die Gestaltung von Briefmarken und Geldscheinen, Preismedaillen des Reichspräsidenten und einzelner Reichsministerien, ferner von Siegeln, Wappen und Fahnen zuständig. Als Reichskunstwart hatte Redslob darüber hinaus für die Ausgestaltung offizieller Feierlichkeiten zu sorgen, und außerdem kümmerte er sich um "Großbauten" und Gedenkstätten des Deutschen Reiches.

Grenzen galten für den Ritter nicht

Der aus Weimar stammende Edwin Redslob hat sich mit großer Hingabe und viel Ideenreichtum der Gestaltung von Münzen und Medaillen gewidmet und war eifrig bemüht, passende Bilder und Inschriften für die einzelnen Ausgaben zu finden. Sein amtlicher Nachlass wird im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde verwahrt. Die Dokumente sind wichtige Quellen für die Klärung der Frage, wie es zur Prägung der Kurs- und Gedenkmünzen der Weimarer Republik kam, warum bestimmte Künstler als Gestalter gewonnen wurden und andere nicht, warum dieses Motiv angenommen und ein anderes abgelehnt wurde und warum man bestimmten Jubiläen durch Sonderprägungen "adelte" und anderen nicht. Walther von der Vogelweide, der um 1170 wahrscheinlich in Österreich geboren wurde und nach 1229 starb, wurde im Jubiläumsjahr 1930 in Deutschland und in Österreich als ein Künstler deutscher Zunge gefeiert, der die Spruchdichtung seiner Zeit um neue Ausdrucksformen, Wörter und Wendungen bereicherte.

Für den Ritter und Parteigänger der kaiserlichen Zentralgewalt, der eine zeitlang am Hof in Wien lebte und in oder um Würzburg ein ihm vom Kaiser geschenktes Lehen besaß, galten die nach dem Ersten Weltkrieg gezogenen Grenzen nicht, und so lag es nahe, eine gemeinsame Prägung aufzulegen. In dem Gedenken an den Minnesänger sah man die politische Möglichkeit gesehen, Ziele der deutschen Politik nach dem Ersten Weltkrieg, nämlich den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und die Zurückgewinnung abgetretener Gebiete, darunter das im Ergebnis des Ersten Weltkriegs an Italien abgetretene Südtirol mit Bozen als Hauptstadt, zu propagieren.

Lebhafte Zustimmung für Gemeinschaftsaprägung

Höchste deutsche Stellen, die lange vor Hitler für einen "Anschluss" Österreichs an das Reich eintraten, unterstützten den Plan für die gemeinsame Münze. So notierte Reichskunstwart Edwin Redslob über eine Sitzung des Österreichisch-Deutschen Volksbundes unter der Leitung des Reichstagspräsidenten Paul Löbe am 20.Februar 1930, dass sein, Redslobs, Vorschlag, ein einheitliches Geldstück zu drei Reichsmark beziehungsweise zwei Schilling in Berlin und Wien zu prägen, "lebhafte Zustimmung" gefunden habe. Löbe wolle die Idee dem österreichischen Bundeskanzler Johann Schober unterbreiten, die dann erwartungsgemäß in Wien auf fruchtbaren Boden fiel. Folgerichtig wurde, erstmals und nie wieder in der Münzgeschichte beider Länder, die Gedenkmünze mit dem Bildnis Walthers von der Vogelweide "als Symbol der gemeinsamen Kulturleistungen des Deutschtums im Reich und in Österreich" realisiert, wie es in einem Dankschreiben des österreichischen Bundesministers der Finanzen vom 24. Juli 1930 für die Überlassung der für die Prägung notwendigen Werkzeuge heißt.

Als die Bundesrepublik Deutschland 1980 den 750. Todestag des Minnesängers mit einem von Mathias Furthmair gestalteten Fünfmarkstück ebenfalls unter Verwendung der Vorlage in der Manesseschen Liederhandschrift feierte, wurde dies damit begründet, die Münze von 1930 sei nur noch Münzsammlern in Erinnerung sei und man wolle jetzt eine "bedeutende Persönlichkeit aus einer weit zurückliegenden Kulturepoche" würdigen. Wie ein Blick in das Buch "Geldkunst Kunstgeld - Deutsche Gedenkmünzen seit 1949. Gestaltung und Gestalter" (Osnabrück 2006) ergibt, gab es außer der in einer Auflage von 500 000 in München geprägten Münze nach einem von Mathias Furthmair auch andere Entwürfe, darunter zwei, die Elemente aus der Miniatur, nämlich das Wappenschild des Minnesängers, eine Leier und ein Schriftband adaptierten, auf das bekannte Minnesängerbild aber verzichteten. Während die deutsche Münz von 1930 die Randschrift EINIGKEIT UND RECHT UND FREIHEIT als Zitat aus dem Deutschlandlied von Heinrich Hoffmann von Fallersleben besitzt, hat man sich 1980 für den Ausspruch WOL VIERZEC JAR HAB ICH GESUNGEN ODER ME entschieden. Edwin Redslob, der sich immer auch um passende Randschriften bemühte, hätten diese Worte auf dem Münzrand sicher gefallen.

29. Mai 2021

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