Auf dunkel Wegen nach Berlin
Staatliche Museen geben koloniales Raubgut zurück und sind um gutes Einvernehmen mit den Herkunftsländern bemüht / Eröffnungsrede des Bundespräsidenten



Das Humboldt Forum ähnelt außen dem alten Barockschloss, aber das Innenleben ist, vom originalgetreu wiederhergestellten Schlüterhof und einigen anderen Bauteilen abgesehen, modern und funktional auf die neuen Aufgaben als Museum und Begegnungsstätte zugeschnitten.





An versteckter Stelle wird in einem Raum mit Namen von Schlossbaumeistern anhand farbiger Reproduktionen daran erinnert, dass der in der Honecker-Ära erbaute und den 1990er Jahren wieder abgerissene Palast der Republik nicht nur Schauplatz von SED-Parteitagen und internationalen Konferenzen sowie bis 1990 Sitz der DDR-Volkskammer war, sondern auch beliebte Restaurants hatte und gut besuchte Show-Veranstaltungen sah und eine Bildergalerie mit Werken des sozialistischen Realismus besaß.



Der mit Glasperlen und Kaurischnecken verzierte Thron aus dem Königreich Bamum wird in der Abteilung "Koloniales Kamerun" des Ethnologischen Museums gezeigt.



In Schaumagazinen sind unter anderem Elfenbeinarbeiten ausgestellt, die schon in der kurfürstlichen Kunstkammer standen. Daneben Objekte, die von Händlern, Sammlern und Soldaten aus Afrika nach Europa und damit auch nach Berlin gebracht wurden. In den Vitrinen wird die Sammlungsgeschichte der Objekte erzählt und ihre neue Interpretation als Kulturobjekte, Kunst und historische Zeugnisse dokumentiert.



Das riesige Auslegerboot von der Insel Luf, die zum deutschen Kolonialreich gehörte und heute Teil von Papua-Neuguinea ist, wurde 1903 von einem deutschen Geschäftsmann gekauft und an das Berliner Völkerkundemuseum weitergegeben. Die Bewohner von Luf, die unter den deutschen Kolonialherren zu leiden hatten, streben einen Nachbau an.





Im Ausstellungsteil über den Buddhismus ist unter anderem der Prozessionsstier Nandi als Reittier des Gottes Shiva zu sehen, Bronzereliefs zeigen die hohe Kunstfertigkeit bei der Anfertigung von Metallgüssen und Steinfiguren.



Was von den Benin-Bronzen an Nigeria zurückgegeben wird und was eventuell im Humboldt-Forum gezeigt wird, steht noch nicht fest. Grundsätzlich aber sind die Staatlichen Museen bei diesen und anderen Objekten zur Restitution bereit.



An verschiedenen Stellen im Humboldt Forum und an der Fassade kann man noch aus der Barockzeit stammende Skulpturen betrachten, die vor dem Abriss des alten Hohenzollernschlosses 1950/51 ausgebaut beziehungsweise aus dem Trümmerschutt geborgen wurden. Solche Stücke dienten heutigen Bildhauern als Vorlage zur Abfertigung von Kopien. (Fotos/Repro (Benin-Bronzen): Caspar)

Im Westflügel des Humboldt Forums wurden am 22. September 2021 feierlich die neuen Ausstellungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz mit einer Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und weiteren Ansprachen eröffnet. Vier Jahre waren nötig, um die aus Afrika, Asien, Australien, Ozeanien, Amerika und anderen Weltengegenden stammenden Objekte zu restaurieren und aus ihrem bisherigen Standort in den Dahlemer Museen in die Mitte der Hauptstadt zu bringen. Jetzt werden sie mitsamt ihrer Herkunftsgeschichte in neuer, auch durch Videos und digitalen Angeboten ergänzter Form präsentiert. Auf über 8.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche und in mehr als 30 Ausstellungsmodulen werden rund 10.000 Exponate gezeigt und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Vor dem Westflügel des neuen Kulturstandortes wurden andere Ausstellungen wie "Berlin global", "Schrecklich schön" und "Archäologische Funde und Schlosskeller" eröffnet, es folgen der Ostflügel und weitere Suiten mit weiteren Ausstellungen.

Ein wahrer Ort der Weltkulturen

"Mit den Sammlungen Afrikas, Asiens Ozeaniens und Amerikas im Humboldt Forum und jenen zur Kunst- und Kulturgeschichte Europas und des Nahen Ostens auf der Museumsinsel wird die Mitte der Stadt zu einem wahren Ort der Weltkulturen", betonte Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, bei der Eröffnung der beiden Museen. "Endlich sprechen die Objekte, endlich sind wir in der Lage, den Besucherinnen und Besuchern zu zeigen, wie wir Weltkultur verstehen und ausstellen wollen, was wir mit dem multiperspektivischen Blick auf unsere Sammlungen meinen und wie wir mit den Herkunftsländern und Ursprungsgesellschaften zusammenarbeiten." Das Humboldt Forum sei ein Ort, an dem man ganz im Sinne seiner Namensgeber mehr als bisher über die Welt erfährt und gleichzeitig angeregt wird, über sich nachzudenken. Diese Kraft und Botschaft gehe von den vielen hier gezeigten Objekten aus. Kulturstaatsministerin Monika Grütters betonte: "Mit den wunderbaren Sammlungen beider Museen rücken wir im Herzen unserer Hauptstadt nicht uns selbst in den Mittelpunkt, sondern die Kulturen der Welt. So wird das Humboldt Forum künftig vor allem Wissen über die Kulturen Afrikas, Amerikas, Asiens und Ozeaniens vermitteln. Ich erwarte, dass es damit auch Maßstäbe für einen sensiblen Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten setzt." Als internationaler Treffpunkt kultureller Vielstimmigkeit werde das Humboldt Forum mit seinen eintrittsfreien Dauerausstellungen hoffentlich dazu beitragen, Neugier auf das Andere und damit auch eine Haltung der Toleranz und Weltoffenheit zu kultivieren. Mit der Eröffnung des Westflügels ergehe die Einladung an uns, im Geiste der Brüder Humboldt Weltbürgerinnen und Weltbürger zu sein und gemeinsam eine Zukunft der Verständigung zu gestalten.

Koloniales Raubgut lange nicht hinterfragt

Viele Objekte kamen als koloniales Raubgut auf verschlungenen, oft kriminellen Wegen nach Berlin. Noch vor Jahren war dies auch bei den Berliner Museen, und nicht nur dort kein großes Thema. Man war froh, solche einmaligen, vielfach fragilen Objekte zu besitzen und an ihrem Beispiel das Leben und die Hinterlassenschaften der indigenen Völker, wie man heute sagt, erzählen zu können. Mit großer Anstrengung wurde ihre dubiose, lange nicht hinterfragte Provenienz ermittelt mit dem Ergebnis, dass eine Rückgabe unumgänglich ist. Das betrifft unter anderem die berühmten, aus dem ehemaligen Königreich Benin stammenden Bronzen, deren Rückgabe nach Nigeria die Staatlichen Museen für das kommende Jahr vorbereiten. Die Umstände, wie diese einzigartigen Kunstwerke im späten 19. Jahrhundert von britischen Kolonialtruppen erst geraubt und dann über den Kunsthandel nach Berlin gelangten, lassen den Museen keine Wahl. Die Staatlichen Museen zu Berlin, und nicht nur sie, unternehmen große Anstrengungen, die Herkunft solcher Raubkunst zu erkunden, und sie sind mit dieser mit den Ursprungsländern koordinierten Arbeit, die auch Restitutionen einschließt, auf Jahre und Jahrzehnte ausgelastet.

Mit der Eröffnung des Humboldt Forums wird die noch nicht sehr alte Debatte über die Erwerbungen mit neuer Kraft fortgeführt, sie ist mitnichten eine Last, sondern bietet neue Chancen für ein gutes, freundschaftliches Miteinander zwischen den Völkern sowie ihren kulturellen und musealen Einrichtungen, hieß es bei der Eröffnung der beiden Ausstellungen, denen weitere folgen werden. Dass einige Objekte sehr alt sind, zeigen in einem Schaumagazin ausgestellte Elfenbeinarbeiten aus der kurfürstlichen Kunstkammer. Die Sammlung solcher als exotisch und wundersam empfundenen Stücke begann im 17. Jahrhundert. Dass deutsche Museen in Machenschaften damaliger Kolonialherren verstrickt waren, wird nicht verschwiegen und kann an verschiedenen Stellen sowie im Ausstellungsführer aus dem Prestel-Verlag München nachgelesen werden (158 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 12,50 Euro, ISBN 978-3-7913-7933-3).

Pazifik mit Schiffen erschlossen

Beim Gang durch die Ausstellungen sieht man Holzfiguren und Masken aus Kamerun sowie Elfenbeinobjekte und traditionelle Kleidung aus Namibia, die dem afrikanischen Kontinent im Zusammenhang mit kolonialer Eroberung und Herrschaft geraubt wurden und in Europa als Zeugnisse angeblich primitiver Kulturen vorgeführt wurden. Die Objekte fordern auf, Fragen der Herkunft und den Sammlungsbedingungen und der Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und dessen Wirkungen bis heute zu beantworten. An anderer Stelle wird geschildert, dass die Weite des Pazifiks für die lokale Bevölkerung nicht als trennend erlebt wurde, sondern mit Schiffen überwunden wurde. Bis heute sind sie Teil ihrer Identität und bekunden herausragende Navigations- und Baukünste. Viele Besucherinnen und Besucher dürften diesen Aspekt der Völkerkunde, heute Ethnographie genannt, neu und spannend sein. Weiter geht es im Rundgang nach Asien und speziell auch zur chinesischen Hofkunst, die durch einen Thronsaal und dazu gehörige Objekte repräsentiert wird, und zu Rekonstruktionen von 1.500 Jahre alten buddhistischen Höhlentempeln samt einer Vielzahl von Götterbildern aus Stein, Keramik und Metall.

In seiner Rede zur Eröffnung der neuen Ausstellungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin nannte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das wieder aufgebaute Berliner Stadtschloss, genauer gesagt das Humboldt Forum das Zentrum der neuen Mitte unserer Hauptstadt. "Im großen Projekt der Neuerfindung dieser Mitte Berlins ist es der architektonische Schlussstein. Zugleich ist es inhaltlich erst ein Anfang. Dieses Schloss und dieses Forum sind - allein schon durch Lage, Geschichte und selbst gesetzte Mission - ein Ort von nationaler Bedeutung. Aber: Dieser Ort wirft im Augenblick noch mehr Fragen auf als er Antworten gibt. Die offenen Fragen, die dieser Ort uns stellt, sind offene Fragen unserer Nation, auch Fragen an unsere Nation."

Sehr schnell und freudig Besitz ergriffen

Manche fänden dieses Schloss, schon weil es so viele Fragen aufwirft, unbefriedigend und kritikwürdig, andere wünschten sich, es wäre nie gebaut worden, sagte Steinmeier und betonte: "Aber es steht jetzt hier. Nach all den vielen Jahren der erbitterten Debatten, nach verworfenen, neuen, schließlich beschlossenen Planungen ist es fertig gebaut. Die Berlinerinnen und Berliner, Gäste aus aller Welt, sie nehmen es bereits in Besitz. Sie flanieren durch die Höfe und sitzen draußen in der Sonne, besuchen die Ausstellungen, die bereits zu sehen sind. Schon Hunderttausend waren hier, bevor die erste Ausstellung eröffnet war."

Er sei immer dankbar gewesen, das Wachsen und Werden des Humboldt Forums zu begleiten: baulich aus nächster Nähe im Außenministerium und auch inhaltlich. Dieses Forum sei noch nicht fertig, aber es sei von heute an ein Herzstück in der Museumslandschaft Berlins. "Aber es ist eben erst ein Anfang. Es ist nicht der Abschluss, es ist der Beginn eines Projektes. So wie unsere Gegenwart ganz erkennbar eine Zeit des Umbruchs und der Anfänge ist. Hier, in diesem Forum, sollen sich nicht nur Wissenschaft, Kunst und Kultur begegnen. Es soll ein Ort des internationalen Dialogs werden, des kritischen und selbstkritischen Denkens und der Auseinandersetzung in der Welt und mit der Welt", sagte Steinmeier und fügte hinzu, um fehlende Kritik müsse man sich nicht sorgen.

Der Redner rief den Streit und das Ringen um diesen Ort in Erinnerung, um einen Ort, der uns keine Ruhe lässt und der ein demokratischer Ort werden soll. Schon ein kleiner Blick zurück in die Geschichte lasse ahnen, welchen Ehrgeiz, welche Sehnsüchte, welche Machtgelüste dieser Ort im Lauf der Jahrhunderte geweckt hat: Kloster, Residenz von Fürsten, Königen, Kaisern, Aufmarschplatz und Palast der Republik, als "Palazzo Prozzo" verspottet und zugleich beliebter Ausflugsort, Sitz der einzig frei gewählten Volkskammer und dem Abriss geweihte Asbestruine, Bühne für Künstler, Humboldt Forum. "Dieser Ort spiegelt wie kaum ein zweiter unsere Geschichte wider, die Irrtümer, die Abgründe, die Gewaltherrschaft und den Neuaufbau. Und er erinnert uns daran: Nur zu einem Bruchteil, gerade einmal drei Jahrzehnte, ist unsere Geschichte die Geschichte eines wiedervereinten, freien und demokratischen Deutschland." Die Berliner Mitte verneige sich, zusammen mit der Humboldt Universität, doppelt vor Alexander und Wilhelm von Humboldt. Wer die Namensgebung des Forums, diese Hommage an die preußische Aufklärung, beim Wort nimmt, der weiß: Der Name ist Verpflichtung.

Rückgabe als Signal der Veränderung

Auf die neu eröffneten Ausstellungen eingehend, sagte der Bundespräsident: "Wir wissen heute, dass die Herkunftsgeschichte vieler der Kunstwerke und Kultgegenstände aus Afrika, aus Asien, Lateinamerika, die in unseren Museen gezeigt werden, noch im Dunklen liegt oder noch nicht offengelegt ist. Schlimmer noch, dass nicht wenige eben nicht rechtmäßig ,erworben' wurden, dass dahinter eine Geschichte von Unterwerfung, Plünderung, Raub und Mord steht. Wenig ist eindeutig - und wie viel Forschung hier noch notwendig ist, das zeigt die Debatte um das so wunderbar kunstfertige Luf-Boot geradezu exemplarisch." Die Rückgabe bedeutender Benin-Bronzen, die gemeinsam mit Nigeria verhandelt wurde, sei ein Signal der Veränderung. Die Diskussion um Herkunft und Rückgabe, um neue Formen von Museumskooperation, auch Hilfe beim Aufbau eigener Museen, wird mit diesen Ländern zu führen sein, nicht nur von uns Deutschen, sondern von allen europäischen Ländern mit Kolonialgeschichte. "Dieser Prozess wird schmerzhaft, so viel steht fest. Aber wir Europäer haben eine Verantwortung vor dieser Geschichte: Jedes Land für sich, aber auch wir alle gemeinsam. Jedes Land für sich muss seine Lehren ziehen aus dieser Vergangenheit, aber auch wir alle gemeinsam als Europäer: Denn es geht dabei um unsere Zukunft. Es liegt an uns, dieses Gebäude mit Sinn, mit Leben, mit Debatte zu füllen. Wenn ich mir heute etwas wünsche, dann das: Möge es Ihnen, möge es den Besucherinnen und Besuchern, möge es uns allen gemeinsam gelingen"

Siehe auch Einträge auf dieser Internetseite vom 21. Juli und 22. September 2021

28. September 2021

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