Aufbruch in die Neuzeit
Gemälde, Skulpturen, Grafiken und Drucke aus der Spätgotik werden in der Gemäldegalerie am Berliner Kulturforum gezeigt



Unter dem Titel "Spätgotik -Aufbruch in die Neuzeit" werden in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz am Kulturforum bis zum 5. September 2021 Gemälde, Skulpturen, Grafiken und Druckwerke aus dem 15. Jahrhundert gezeigt.



Maler, Bildschnitzer und Schreiner haben um 1420 am dreiteiligen Flügelaltar der romanischen, zum Teil noch spätantiken Kirchen St. Gereon in Köln zusammengearbeitet. Er ist eines der ältesten Objekte der Spätgotik-Ausstellung.



Konrad Witz verlegte den Besuch der sagenhaften Königin von Saba bei König Salomo in seine Zeit und kostümierte die biblischen Gestalten wie reiche Leute des 15. Jahrhunderts. Hans Multscher bemalte 1436 die Flügel des Wurzacher Altars mit der Kreuztragung, der Auferstehung und anderen Szenen aus dem Leben von Jesus Christus.



Maria legt ihrem geschundenen und verspotteten Sohn ein Lendentuch um, denn die Kriegsknechte haben ihm sein purpurnes Gewand geraubt. Die um 1450 gemalte Tafel gehört zur Karlsruher Passion, die Szenen aus dem Neuen Testament zeigt. Die Personen haben derbe Gesichter und kehren ähnlich auch auf anderen Schauplätzen wieder.



Der kolorierte Holzschnitt aus Thüringen oder Hessen entstand um 1440 bis 1450 und zeigt die Heilige Cutubilla (Kukukilla) in Nonnentracht, die am Spinnrocken sitzt und von Ratten bedrängt wird. Ein Engel nimmt das Garn und übermittelt der Schutzpatronin gegen Ratten und Mäuse die göttliche Gnadenbotschaft Gottes. Das aus Alabaster gefertigte "Martyrium der Heiligen Katharina" wurde um 1450 im mitteldeutschen Raum oder den südlichen Niederlanden geschaffen. Die für die private Andacht bestimmte Szene zeigt, wie Katharina als Opfer der Christenverfolgung unter den römischen Kaisern. Das zur Folter benutzte Rad wird von einem Engel zerbrochen. Der bärtige Kaiser und sein Henker können zwar das Leben der Heiligen beenden, aber sie lebt in Gott weiter, lautet die Botschaft.



Der Holzschnitt aus dem "Ständebuch" von Jost Ammann von 1568 zeigt eine Druckerei, daneben Ausschnitt einer so genannten Armenbibel des 15. Jahrhunderts mit lateinischen Texten und einmontierten Holzschnitten.



Tilman Riemenschneider "kupferte" um 1490 bis 1492 die Erscheinung Christi vor Maria Magdalena einem Bild von Martin Schongauer aus der Zeit um 1475 ab.



Die Berliner Staatsbibliothek entlieh ihre Gutenbergbibel in die Spätgotik-Ausstellung. Der kostbare Druck befand sich schon in der 1661 vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg gegründeten Büchersammlung, aus der die heutige Staatsbibliothek hervor ging. Die zweispaltigen Seiten und die farbige Ausschmückung erinnern an mittelalterliche Handschriften. Entstanden in Mainz zwischen 1454/55 aus der Zusammenstellung eigens dafür gegossener Lettern, die aus einer besonders haltbaren Bleimischung, betrug die ursprüngliche Auflage vermutlich 150 Papier- und 30 Pergamentexemplare. Nur noch wenige Originale sind in großen Bibliotheken erhalten. (Fotos/Repro: Caspar)

Künstler und Gelehrte der Renaissance, der Zeit der Wiedergeburt der Antike, schauten herablassend auf die baulichen und künstlerischen Hinterlassenschaften ihrer unmittelbaren Vorgänger. Ganz auf die römische und griechische Antike ausgerichtet, hatte in ihren Augen die Kunstepochen wenig Wert, die wir mit den Begriffen Romanik und Gotik beschreiben. Da man die mit Rund- beziehungsweise Spitzbögen und ebensolchen Gewölben ausgestatteten Kirchen, Burgen, Stadttore und sonstigen Bauwerke des Hoch- und Spätmittelalters nicht abreißen konnte, weil sie nicht mehr dem neuesten Kunstgeschmack entsprachen, ließ man sie stehen und nahm, wo es sich anbot, Erweiterungen und dekorative Veränderungen vor.

Während man schon vor langer Zeit das Bauen mit Rundbögen und schweren Säulen mit römischer Architektur in Verbindung brachte und daher für die Kunstepoche bis zum 14. Jahrhundert den Begriff Romanik verwendet, wurde alles, was danach mit dem Spitzbogen zu tun hatte, dem wichtigsten Merkmal gotischer Architektur, den sagenhaften Volk der Goten zugeordnet. Ursprünglich in Südschweden und auf der Ostseeinsel Gotland lebend, zogen sie bis ans Schwarze Meer, lehrten die Römer und andere Völker das Fürchten und bildeten Nachfolgestaaten des Römischen Reiches.

Sammlung Solly mit vielen Kostbarkeiten

Kunstwerke aus der Zeit der Spätgotik von 1430 bis 1500 sind noch bis zum 5. September 2021 in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz am Kulturforum im Berliner Bezirk Tiergarten zu sehen. Beteiligt sind neben der Gemäldegalerie auch die Skulpturensammlung, das Kupferstichkabinett, das Kunstgewerbemuseum sowie die Nationalgalerie und die Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek.. Mit hochkarätigen Leihgaben sind auch die National Gallery in London, das Rijksmuseum in Amsterdam und das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg vertreten. Einige Gemälde stammen aus der 1821 von Friedrich Wilhelm III. für eine halbe Million Taler angekauften Sammlung des englischen Holz- und Getreidehändlers Erward Solly, die mit Objekten aus königlichem Besitz die Grundlage der Berliner Gemäldegalerie bildeten. Die Staatlichen Museen nennen die von Vortragsveranstaltungen und einem Katalogband flankierte Ausstellung die erste umfassende Schau dieser Art im deutschsprachigen Raum. In abgedunkelten Räumen effektvoll ausgeleuchtet, werden rund 130 gemalte, geschnitzte und gedruckte Zeugnisse einer manchmal als dunkel und fremd bezeichnete Kunstepoche aus den Beständen der Staatlichen Museen sowie Leihgaben aus anderen Sammlungen gezeigt. Hinzu kommen kunstvoll gestaltete Goldschmiedearbeiten, die vor allem in Gottesdiensten zum Einsatz kamen.

Durch Gegenüberstellung der Kunstgattungen und Handschriften will die einzigartige, nach der coronabedingten Schließung der Berliner Museen nun wieder zugängliche Ausstellung das Aufblühen der bildenden Kunst und der Buchdruckerei als neues Medium an der Schwelle zur Neuzeit in ihrer bunten Vielfalt und breit angelegten Thematik erlebbar machen. Die meisten Werke in der gut besuchten Ausstellung befassen sich mit religiösen Themen. Ganze Altäre und Tafeln von ihnen schildern oft auf drastische, in die Gegenwart übertragene Weise das Leben und Leiden Jesu Christi und von heiligen Männern und Frauen. Für Kirchen und Klöster, aber auch weltliche und geistliche Fürsten sowie reiche Bürger waren einzelne, nicht immer mit dem Namen bekannte Künstler und ihre Werkstätten tätig. Sie schufen für die Menschen ihrer Zeit, die in der Regel weder lesen noch schreiben konnten, eine Art Bilderbibel, so wie man Szenen daraus auch auf Glasfenstern der Kirchen darstellte.

Übergangszeit zwischen Mittelalter und Neuzeit

Im Mittelpunkt der ungewöhnlichen, gut besuchten Dokumentation in den Räumen der Gemäldegalerie stehen künstlerische und technische Innovationen in der Übergangszeit zwischen Mittelalter und Neuzeit. Es geht um eine Epoche zwischen etwa 1430 und 1500 im deutschsprachigen Raum, die wie kaum eine andere von tiefgreifenden Veränderungen gekennzeichnet war. Bekannte Vertreter der Spätgotik wie Stefan Lochner, Konrad Witz, Niclaus Gerhaert von Leyden oder Tilman Riemenschneider, aber auch namentlich nicht näher bekannte Maler sind mit hochrangigen Arbeiten in der Ausstellung vertreten.

Anhand von Werken wie dem Wurzacher Altar von Hans Multscher, den Tafeln von Konrad Witz und Stefan Lochner oder auch den Kupferstichen des Meisters der Spielkarten zeigt die Ausstellung die durchgreifenden künstlerischen Veränderungen der Zeit ab 1430. Angeregt durch neue Themen und Formen in den Niederlanden veränderten und erweiterten sich seit den 1430er-Jahren die künstlerischen Ausdrucksmittel. Zunehmend zeigen die Künstler Szenen aus der Bibel und von Heiligenlegenden, als hätten sie Figuren der Gegenwart porträtiert. Nicht alle sehen lieblich und freundlich aus, manche Gesichter vor allem derer, die heilige Männer und Frauen quälen und zu Tode bringen, haben einen derben Ausdruck, so als würden sie sich an den Schmerzen der anderen ergötzen.

Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament

Die vom Germanischen Nationalmuseum Nürnberg nach Berlin entliehene "Die Verkündigung an Maria" von Konrad Witz beispielsweise zeigt die Muttergottes ganz unspektakulär in einem einfachen, unmöblierten Gemach lesend, in dem sich weder ein Stuhl noch ein Kissen oder ein Betpult befindet. Ihr verehrungswürdiger Stand wird lediglich durch den goldenen Heiligenschein und das blaue Gewand betont. Der gleiche Maler zeigt auf einem anderen Bild, wie die Königin von Saba den alttestamentarischen König Salomo besucht. Beide sind wie reiche Leute des 15. Jahrhunderts vor goldenem Hintergrund kostümiert. Die Szene bezieht sich auf das 1. Buch der Könige und das 2. Buch der Chronik. Dort wird erzählt, dass die Königin von Salomos Weisheit und dem Gerechtigkeitssinn überwältigt ist und ihm große Mengen Goldes sowie Spezereien (Gewürze, Delikatessen) und Edelsteine schenkt.

Oft entstanden Kunstwerke im 15. Jahrhundert in enger Zusammenarbeit verschiedener Gewerke. Die Ausstellung vereint mit Ausnahme der Architektur Schöpfungen in allen Medien und macht deutlich, wie etwa in der Goldschmiedekunst Modelle aus der Bildhauerei oder der Druckgrafik wiederholt wurden oder wie in der Werkstatt ein und desselben Künstlers sowohl Gemälde als auch Bildhauerarbeiten geschaffen wurden. Neben religiöser Kunst stieg auch die Nachfrage an profanen Motiven. Landschaften und vor allem Porträts wurden in der Spätgotik populär. Auch dazu zeigt die Ausstellung Beispiele das Doppelbildnis Wilhelms IV. Graf Schenk von Schenkensteins und der Agnes, Gräfin von Werdenberg-Trochtelfingen.

Inspiration durch den Buchdruck

Entscheidend für den Verlauf der europäischen Geschichte und Kultur war die Entwicklung der Druckgrafik und des Buchdrucks, insbesondere Johannes Gutenbergs Erfindungen der beweglichen Drucklettern und der Druckerpresse um 1450. Sie gestattete, Texte und Bilder in vergleichsweise hohen Auflagen zu vervielfältigen und unters Volk zu bringen. Neue Ideen und Bildmotive konnten so in kürzester Zeit von einem Ende des Kontinents an das andere gebracht werden. Jetzt war man nicht mehr auf mühsam mit der Hand geschriebene und illuminierte Bibeln und Codices angewiesen, sondern konnte in gedruckte Werke schauen. So entwickelte sich die Druckgrafik zu einer der wichtigsten Medien des 15. Jahrhunderts. Bilder wie die des Meister E. S. oder von der Hand Martin Schongauers dienten von Spanien bis Polen als Vorlagen für neue Kunstwerke - ob Gemälde, Glasmalereien, Skulpturen, Textilien oder Goldschmiedearbeiten.

INFO Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Verlag Hatje Cantz, deutsche und englische Ausgabe, 360 Seiten, 215 Abbildungen, ISBN (deutsch): 978-3-7757-4754-7, ISBN (englisch): ISBN 978-3-7757-4755-4, Preis: ca. 40 Euro, erhältlich im Webshop der Staatlichen Museen zu Berlin.

2. August 2021

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