Genialer Seiteneinsteiger
Erinnerungen in der Humboldt-Universität an Heinrich Schliemann, den Ausgräber von Troja und Mykene, und den Schatz des Priamos



Die bis zum 23. September 2021 laufende Ausstellung "Die Selbstinszenierung des Troja-Ausgräbers Heinrich Schliemann in der Medienlandschaft des 19. Jahrhunderts" im Lichthof der Humboldt-Universität würdigt den aus armen Verhältnissen in Mecklenburg stammenden, in Russland reich gewordenen Geschäftsmann, der schon in seiner Jugend, von den Erzählungen des Homer inspiriert, den unbändigen Wusch hatte, das sagenhafte Troja zu finden und auszugraben.



Links ein fantasievoll nachgebautes "Trojanisches Pferd", in der Mitte schildert der "Kladderadatsch", wie Schliemann auch das sagenhafte Rheingold aufspürt, rechts stellt er seine Forschungen der Gelehrtenwelt vor.



Das Foto von Sophia Schliemann mit dem Schmuck aus Troja ging um die Welt. Die Grafik in der Mitte zeigt Heinrich und Soph Schliemann bei der Bestimmung und Sortierung der Funde, daneben Blick in eine Vitrine mit wichtigen Stücken.



Heinrich Schliemann schenkte 1881 den berühmten, aus vielen Goldgegenständen bestehenden Schatz des Priamos dem damaligen Völkerkundemuseum in Berlin. Weil das "Troja-Gold" 1945 von der Roten Armee als Kriegsbeute mitgenommen wurde und sich immer noch dort befindet, kann das Museum für Vor- und Frühgesichte nur Kopien zeigen.



Mit Eigentumsfragen an den Fundstücken und Entschädigungen hatte Schliemann viel zu tun. Das Marmorrelief mit dem Sonnengott Helios vom Athenatempel in Ilion (Troja) hatte Schliemann am 13. Juni 1873 entdeckt, nachdem der Grundstücksbesitzer Frank Calvert ihn bereits 1868 auf ihn aufmerksam gemacht hatte. Dieser fühlte sich übervorteilt, denn Schliemann zahlte ihm eine zu geringe Ablösesumme. Das Relief wird heute in der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin im Alten Museum auf der Museumsinsel gezeigt.



Die Tafel schmückt ein Haus in Fürstenberg an der Havel, in dem Heinrich Schliemann seine Kaufmannslehre absolvierte. Rechts eine goldene Totenmaske, die der berühmte Ausgräber 1874 in Mykene fand und Agamemnon, dem Anführer der Griechen im Trojanischen Krieg, zuschrieb. Die Maske ist in der Mykenischen Sammlung des Archäologischen Nationalmuseums in Athen ausgestellt, eine Kopie wird Museum im unterhalb der Grabungsstätte von Mykene gezeigt.



Die DDR plante für 1990 Gedenkmünzen zum einhundertsten Todestag des Archäologen Heinrich Schliemann, doch kamen sie über das Planungsstadium nicht hinaus.





Das Neue Museum mit dem darin befindlichen Museum für Vor- und Frühgeschichte und dem Ägyptischen Museum wurde nach seinem die alte Substanz weitgehend berücksichtigenden Wiederaufbau 2009 der Öffentlichkeit übergeben. Zu den dort gezeigten Highlights gehören die Büste der altägyptischen Königin Nofretete und ein kegelförmiger Goldhut, der in der späten Bronzezeit von Priestern im Zusammenhang mit dem Sonnenkult getragen wurde. So weit möglich, wurden die historischen Räume, hier der Niobidensaal, wiederhergestellt. (Fotos/Repros: Caspar)

Noch bis zum 23. Oktober 2021 wird im Lichthof des Hauptgebäudes der Berliner Humboldt-Universität Unter den Linden eine Ausstellung zur Erinnerung an Heinrich Schliemann und seine Ausgrabungen in Troja mit zahlreichen historischen und aktuellen Bildern von dem Fundstätten und Berichten aus den damaligen Medien gezeigt. Die Dokumentation wurde durch die Warburg-Melchior-Olearius-Stiftung gefördert und vom Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin, dem Berliner Antike-Kolleg, dem Schliemann-Museum in Ankershagen und Professor Rüstem Aslan gestaltet. Der 1822 in Neubukow als Sohn eines Pfarrers in ärmlichen Verhältnissen geborene Schliemann war ein Sprachgenie und kam in Russland zu großem Reichtum. Unverdrossen und gegen den Mainstream, wie wir heute sagen würden, glaubte er, der nie eine akademische Ausbildung genossen hat, sondern sich vom armen Ladenjungen zum Millionär heraufgearbeitet hat, den Erzählungen des sagenhaften Homer über den Trojanischen Krieg und war von dem Wunsch beseelt, die dort beschriebene Stadt Troja und weitere Orte samt Hinterlassenschaften der beteiligten Helden irgendwann zu finden.

Armer Junge, in Russland reich geworden

In Russland als Handelsmann reich geworden und in Nordamerika mit der Vermarktung des dort gefundenen Goldes und mit dem Import von Tee befasst, lernte Schliemann bei seinen vielen Reisen die halbe Welt kennen. Er verfasste seine Tagebücher in der Sprache des Landes, das er gerade besuchte, und war ein wahrer "Selfmademann von pionier-amerikanischen Ausmaß", wie C. W. Ceram seinem mehrfach aufgelegten Buch "Götter, Gräber und Gelehrte. Roman der Archäologie" schreibt. Irgendwann eignete er sich in Windeseile auch die neugriechische und altgriechische Sprache an, um sich endlich den Traum einer Kindheit zu erfüllen, das sagenhafte Troja zu finden und auszugraben. Nachdem er das Terrain erkundet hatte, grub er ab 1870 in Troja und meldete drei Jahre später in deutschen und ausländischen Zeitungen, er habe dort einen sensationellen Goldschatz entdeckt. Zu seiner Zeit hielt man Homer für eine mythische Figur und zweifelte an dem, was von ihm überliefert ist. Mit seinen Funden an die Öffentlichkeit zu treten und sie mit der Ilias und dort vorkommenden Figuren in Verbindung zu bringen, war mutig und trug Schliemann manchen Tadel, aber auch viel Bewunderung ein.

Heinrich Schliemann wäre ein Mann des Radios, des Films und des Fernsehens gewesen, hätte es diese Medien schon gegeben, schreibt Ceram. Seine Funde in Troja hätten "einen Wirbel nicht allein in der Kleinwelt Gebildeter" entfacht, sondern bei jedermann. Ceram, der eigentlich Kurt Wilhelm Marek heißt, zitiert einen Museumsdirektor, der mit Blick auf Zeitungsberichte von 1873 die Stimmung so beschrieb: "Zur Zeit dieser Berichte herrschte bei den Gelehrten wie beim Publikum eine große Aufregung. Überall, im Hause und auch auf der Straße, im Postwagen und auf der Eisenbahn, wurde von Troja geredet. Man war voll des Staunens und des Fragens."

Grandiose Medienereignisse

Geschickt und zielstrebig nutzte Heinrich Schliemann die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sich stark entwickelnde Massenpresse im In- und Ausland und das große Interesse der Öffentlichkeit an archäologischen Grabungen, um den "Mythos Troja" in die Welt zu tragen und sich als Visionär und Geschichtsforscher zu inszenieren. Seine Grabungen auf dem Hügel von Hisarlik Tepe in der türkischen Provinz Canakkale, heute Unesco-Weltkulturerbe, und die Schenkung wertvoller Fundstücke an das deutsche Volk waren grandiose Medienereignisse, die er gut für sich und seine Sache zu nutzen wusste. Erfolgreich griff der geniale Vermarkter seiner selbst in die Presseberichterstattung ein und ließ sich gern von Zeitungen bitten, seine Grabungserfolge publizieren zu dürfen. In dem berühmten Mediziner und Frühgeschichtsforscher Rudolf Virchow hatte er einen prominenten Fürsprecher und eine Art Türöffner, um seine Erkenntnisse der gelehrten Welt von damals nahebringen zu können. Nach und nach verstummten Kritiker und Nörgler, von denen es nicht wenige gab, wie die Ausstellung zeigt. Sie misstrauten dem Außenseiter und Seiteneinsteiger und bezweifelten die Zuordnung seiner Fundstücke zu den sagenhaften Erzählungen des Homer.

Den Nerv der Zeit getroffen

Den Nerv der Zeit treffen, habe Schliemann als rastloser Reisender und geübter Tagebuchschreiber die literarische Gattung der Reiseberichte genutzt, um seine Grabungen als packende Abenteuer zu erzählen, heißt es auf einer Tafel in der Ausstellung. Die von ihm hergestellten Verbindungen von Grabungsfunden mit Namen aus Homers Dichtung, etwa "Haus des Priamos" oder "Skälisches Tor", sollten die Wirkungsmacht seiner Grabungen erhöhen. Diese Zuschreibungen hat Schliemann später revidiert. Kurz vor seinem Tod im Jahr wurde deutlich, dass es sich bei den sagenhaften, wie durch einen großen Zufall erst ganz am Ende der Ausgrabungen entdeckten Goldfunde um die Hinterlassenschaften eines Herrschers handelt, der lange Jahre vor Priamos gelebt hat. Da war aber die Zuschreibung in der Welt, und sie wird dort auch bleiben!

In seiner Medienoffensive setzte Schliemann geschickt auch seine zweite Frau Sophia in Szene, so ein Tafeltext in der Ausstellung. Sie sei bei zahlreichen Ausgrabungen dabei gewesen und habe persönlich die von ihm herausgeschnittenen Gegenstände in ihr großes Umschlagetuch gepackt und fortgetragen, was nachweislich nicht stimmte. Ein Foto ging um die Welt, das Sophia mit dem Kopfschmuck aus dem Schatz des Priamos zeigt. Ihrem Mann ging es nicht bei seiner Pressekampagne nur zu zeigen, was er alles entdeckt und ausgegraben hat und was an Homers Beschreibungen wahr ist. Vor allem war er an der Wertschätzung der akademischen Fachkollegen interessiert, die ihm, dem archäologischen Dilettanten mit unermesslichen finanziellen Ressourcen, vielfach verweigert wurde. Deshalb drang er streng darauf, dass seine Berichte in renommierten Blättern abgedruckt werden, und wenn man das ihm verweigerte, konnte er fuchsteufelswild werden. Allen Widerständen zum Trotz avancierte Schliemann, und die Ausstellung zeigt das an Beispielen, durch gezielte Werbung in eigener Sache zu einem der bekanntesten Ausgräber überhaupt.

Preziosen als Kriegsbeute nach Moskau gebracht

Im Museum für Vor- und Frühgeschichte, das im Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel eingerichtet ist, gibt es manche Lücken, die beim ersten Hinsehen nicht sogleich ins Auge fallen. Das betrifft vor allem Schliemanns "Schatz des Priamos", der gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf Stalins Befehl von der Roten Armee als Kriegsbeute nach Moskau mitgenommen wurde und sich im Moskauer Puschkinmuseum befindet. Zwischen der deutschen und der russischen Regierung geführte Verhandlungen um die Rückführung der goldenen Preziosen führten bisher zu keinem Erfolg, so dass man sich mit Kopien begnügen muss.

Heinrich Schliemann hatte die Aufsehen erregenden trojanischen Funde 1881 "dem Deutschen Volke zu ewigem Besitze und ungetrennter Aufbewahrung in der Reichshauptstadt" geschenkt. Kaiser Wilhelm I. bedankte sich bei dem zum Berliner Ehrenbürger ernannten Ausgräber und legte fest, dass die Fundstücke im Museum für Völkerkunde für immer ausgestellt werden sollen. Das Neue Museum, die letzte Kriegsruine auf der Museumsinsel, wurde von 1999 bis 2009 nach Plänen des britischen Architekten David Chipperfield zu neuem Leben erweckt. Im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört, war das Gebäude mit der ins Deutsche übersetzte lateinische Giebelinschrift "Nur der Unwissende hasst die Kunst" jahrzehntelang ohne Dächer und mit offenen Mauern Wind, Frost und Wetter ausgesetzt. In der Endzeit der DDR gab es Pläne, das zwischen 1841 und 1859 nach Plänen von Friedrich August Stüler im Auftrag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. errichtete Haus unter Zuhilfenahme alter Fotos und Pläne weitgehend in alter Schönheit zu rekonstruieren. Von diesem Plan rückten die Staatlichen Museen zu Berlin in den neunziger Jahren ab. 1997 gewann David Chipperfield einen Wettbewerb mit seinen Plan, nach dem Prinzip des "behutsamen Weiterbauens" das Neue Museums als Kombination von altem Gemäuer und originaler Innenausstattung mit modernen, dem Altbau jedoch angepassten Zutaten neues Leben einzuhauchen.

Rückgabe an die Spree Berlin verweigert

Während des Zweiten Weltkriegs zunächst in einem Berliner Banktresor und dann im Flakturm im Ortsteil Tiergarten, bekannt auch als Zoobunker, eingelagert, fielen drei mit dem trojanischen Gold gefüllten Kisten der Kunstbeutekommission der Roten Armee in die Hände. Der damalige Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, Wilhelm Unverzagt, konnte den Abtransport nicht verhindern. Offiziell hat die sowjetische Seite behauptet, dass die antiken Goldschmiedarbeiten als Kriegsverlust anzusehen sind, weshalb die Suche nach ihnen unterblieb.

Erst in den späten 1980er Jahren sickerte durch, dass sich der Schatz im Moskauer Puschkinmuseum befindet, und so konnten die zuständigen Stellen seine Existenz nicht mehr abstreiten. Berliner Museologen haben ihn 1994 vor Ort gesehen, doch ihr Antrag auf Rückgabe hatte keinen Erfolg. Stattdessen hat man die Fundstücke 1996 erstmals in einer großen Schliemann-Ausstellung in Moskau öffentlich gezeigt. Seither werden die Goldgefäße und der Schmuck im Puschkinmuseum gezeigt. Wer also die Originale sehen möchte, muss dorthin fahren, aber die Kopien im Museum für Vor- und Frühgeschichte tun es auch.

Beim Wiederaufbau des Neuen Museums blieb so weit als möglich die historische Substanz erhalten. Was alt und was neu ist, können auch Laien kennen. Kriegsbeschädigungen nicht übertüncht, verkittet oder nach alten Fotos und Zeichnungen ergänzt, sondern in ihrem torsohaften Zustand erhalten. David Chipperfield und seine Kollegen haben nach eigenen Aussagen für jeden Raum ein eigenes Konzept entwickelt, um den Zauber des alten Stülerbaues zu neuem Leben zu erwecken und den Geist des 19. Jahrhunderts in unsere Zeit hinüber zu retten." Alle Bau- und Restaurierungsmaßnahmen erfolgten in Abstimmung mit der Denkmalpflege, die auch bei allen anderen Bauvorhaben auf der 1999 zum UNESCO-Weltkulturerbe erhobenen Museumsinsel mitwirkt.

10. Oktober 2021

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